Politisch engagierte Senioren im Rems-Murr-Kreis

In den vergangenen Monaten haben viele Menschen deutschlandweit gezeigt, dass sie nicht einer schweigenden Menge angehören wollen. Darunter sind zahlreiche ältere Menschen. Manche waren immer politisch aktiv, andere werden es jetzt erst.

Gruppen wie „Omas gegen rechts“ sind auf zahlreichen Demos zu sehen, so zum Beispiel im Februar in Stuttgart. Foto: Simone Schneider-Seebeck

Gruppen wie „Omas gegen rechts“ sind auf zahlreichen Demos zu sehen, so zum Beispiel im Februar in Stuttgart. Foto: Simone Schneider-Seebeck

Von Simone Schneider-Seebeck

Rems-Murr. Das Engagement gegen Rechtsextremismus der vergangenen Wochen zieht sich querbeet durch alle Altersgruppen. Zahlreiche ältere Mitmenschen sind vertreten. So sind etwa Mitglieder der Gruppe „Omas gegen rechts“ auf zahlreichen Demonstrationen und Kundgebungen zu sehen. Manche von ihnen haben schon immer Flagge gezeigt, andere beteiligen sich nun zum ersten Mal öffentlich. Was bewegt diese älteren Menschen?

Margrit Schatz hat sich schon immer für Politik interessiert. Ihre Familie wanderte von Deutschland in die USA aus, als sie sechs Jahre alt war. Ihr Vater sei ein hochpolitischer Mensch gewesen, erinnert sich die Weissacherin. „Bei uns wurde immer über Politik geredet.“ Die mittlerweile 75-jährige Margrit Schatz studierte Ende der 1960er-Jahre in Washington DC internationale Politik. „Unsere Generation ist laufend auf die Straße gegangen, für Gerechtigkeit und gegen Krieg.“ Ihren Mann Bernd Hecktor, der die Backnanger Friedensinitiative vor über 40 Jahren mitbegründete, hat Schatz immer tatkräftig unterstützt.

Auch bei Dorothea Seifert war die Familie recht politisch, nur: „Mein Vater war halt Straußianer“, meint sie und lacht. „Ich bin gegen den Irakkrieg neun Wochen lang jeden Tag auf der Straße gestanden“, denkt die 63-jährige Dorothea Seifert zurück.

Alltagsrassismus empört die Frauen

Unpolitisch waren die beiden nie, sie setzen sich allerdings auch durchaus kritisch mit der Rolle des Menschen auseinander. Was sie beide entsetzt: Die Menschen werden aufgehetzt, meinen die beiden Frauen. „Es ist kaum zu fassen, was auf der Welt los ist.“ Viele Menschen seien gezwungen, zu fliehen. Dorothea Seifert engagiert sich für Asylsuchende und weiß, wovon sie spricht. Der Alltagsrassismus und die Ungerechtigkeit gegenüber Menschen, die als „anders“ wahrgenommen werden, empören beide. „Der allgemeine Rechtsdrall in Europa ist beängstigend“, so Seifert.

Seiferts Töchter sind zwar ebenfalls politisch interessiert, jedoch nicht aktiv. „Was ich mache, fanden sie immer gut“, erzählt sie, auch wenn die Töchter in der Schule immer wieder Bemerkungen über die Aktivitäten ihrer Mutter zu hören bekamen. Bei den anstehenden Kommunalwahlen steht sie für die Offene Grüne Liste in Weissach auf der Kandidatenliste. „Unsere Kinder waren immer mit auf den Demos“, sagt Margrit Schatz. Das hat nachhaltigen Eindruck gemacht. Ihre Tochter war weltweit für soziale Projekte tätig, ihr Sohn unterrichtet Politik und vermittelt seinen Schülern dies nicht nur in der Theorie, sondern mit verschiedenen Aktionen.

Engagement ist keine Frage des Alters

Für den Murrhardter Hochschullehrer im Ruhestand Titus Simon ist es keine Frage des Alters, sich zu engagieren. „Als Rentner ist man auch gefordert, beizutragen und das Signal zu setzen, dass antidemokratische Kräfte nicht die Mehrheit sind“, sagt er. Und so ist es für ihn selbstverständlich, auf Kundgebungen entsprechend Flagge zu zeigen. Dazu kommt, dass ihn das Thema Rechtsextremismus schon fast das ganze Leben lang begleitet, angefangen von seiner Arbeit in einem Jugendhaus, wo er bereits in Berührung mit rechtsorientierten Jugendlichen kam, bis zu zwei Studien zum Thema Rechtsextremismus im ländlichen Raum in den Jahren 2009 und 2017.

Der Vorfall im Raum Potsdam (Anmerkung der Redaktion: das Treffen rechtsgerichteter Kräfte, bei dem Pläne zur „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund thematisiert wurden) sei für ihn ein Grund gewesen, wieder die Stimme zu erheben. „Derlei Treffpunkte gibt es in Ostdeutschland viele“, weiß der Experte. Und nicht nur das. Deutschlandweit existieren dazu sogenannte völkische Siedlungen insbesondere im ländlichen Raum.

Daher sei es für ihn ein wichtiger Akt der Selbstvergewisserung demokratischer Kräfte, Gesicht zu zeigen und auch die Stimme zu erheben – wie kürzlich bei der Kundgebung „Demokratie kennt keine Alternative“ in Murrhardt (wir berichteten), bei der alle demokratischen Parteien vertreten waren.

Titus Simon steht damit nicht allein. Seine Frau unterstütze ihn ebenfalls bei diesem Einsatz. Zudem habe er den Eindruck, dass Menschen, die bereits in den 1980ern für Frieden auf die Straße gegangen seien, nun wieder dabei sind.

Annäherung der Generationen

„Die Demokratie bietet am meisten Freiheit“, ist ein Ehepaar überzeugt, das sich in der Gruppe „Omas gegen rechts“ engagiert, aber anonym bleiben möchte. „Wir sind für den Demokratieerhalt und fürchten, dass sie in Gefahr ist.“ Bereits früher sind sie für ihre Überzeugungen auf die Straße gegangen, etwa bei den Demonstrationen gegen Stuttgart 21. Aus eigenen Erfahrung kennen die beiden die Bereicherung, die der Kontakt mit anderen Kulturen bringt, und möchten diese Vielfalt nicht verlieren. Das generationenübergreifende Engagement bei den aktuellen Demonstrationen sagt ihnen dabei sehr zu. „Omas und Opas haben schon einiges an Lebenserfahrung“, da wirke es auch gegenüber Jüngeren einfach glaubwürdiger, wenn man sich engagiert. „Da finden sich viele drin wieder.“ Zahlreiche Menschen seien so auch mit den beiden ins Gespräch gekommen.

Dass die aktuellen Krisen Menschen unabhängig von ihrem Alter bewegen, zeigt auch Gertrud Gehring. Mit ihren 87 Jahren sei sie „noch nie groß in Erscheinung getreten“, wie sie erzählt. Dennoch war sie bei der Murrhardter Kundgebung Anfang Februar dabei. Allerdings nicht aus politischen Gründen, für sie steht der Einsatz für den Frieden im Vordergrund, insbesondere in Bezug auf den aktuellen Konflikt zwischen Israel und Palästina. „Man muss darauf drängen, dass es für alle Volksgruppen eine Lösung gibt, nicht nur für eine“, ist ihre Meinung. Dass sie sich für das Wohl aller Menschen einsetzt, ist ihr von jeher ein Anliegen. Sie ist bereits seit 50 Jahren in der Ökumene tätig.

Sich für ein Anliegen einzusetzen, hat offensichtlich nichts mit dem Alter zu tun. Vielmehr kann es sogar dazu betragen, dass sich Generationen einander annähern und somit gemeinsam Spaltung und Hetze entschieden entgegentreten.

Zum Artikel

Erstellt:
15. März 2024, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen