Rasselbande im Kindergarten in Althütte

Wenn Sandra Kaiser Kindergärten in Althütte besucht, erklingen dort nicht nur fröhliche Kinderstimmen. Mit Trommeln, Singen und Klatschen führt sie die Kinder von vier bis sechs Jahren bei der musikalischen Früherziehung spielerisch an Töne und Rhythmen heran.

Rasselbande im Kindergarten in Althütte

© Alexander Becher

Von Katharina Riener

Althütte. „Kling, klang, kling, klang, kling, klang, die Stunde fängt jetzt an, kling klang, kling, klang, kling, klang, das weiß doch jedermann!“ So begrüßen sich die Kinder am Donnerstagnachmittag im Kindergarten Kunterbunt in Althütte singend und stellen sich dann noch mal selbst vor. Die sieben Kindergartenkinder sind alle fünf Jahre alt, Musikpädagogin Sandra Kaiser ist 44 und die Puppe Maja auf ihrem Schoß erst vier. Kaiser nutzt sie als Türöffner, wie es auch in der Logopädie oder Ergotherapie üblich ist. „Gerade wenn die Kinder neu sind, fällt es ihnen oft leichter, mit der Puppe zu sprechen als mit mir“, erklärt die One-woman-Show hinter der Musikschule Kaiser in Althütte. Dann wird Musik gemacht mit Klanghölzern, Rasseln und Triangeln, die Trommel wird als Soloinstrument angeschaut und ausprobiert, es wird gesungen, geklatscht, getanzt, gespielt und sich ganz viel bewegt.

Nach der kurzen Theorie gibt es gleich wieder etwas Bewegung

Einmal pro Woche treffen sich die Kinder zu einer 45-minütigen Unterrichtsstunde, die auch einen theoretischen Teil umfasst. Darin werden kindgerecht die Noten kennengelernt und es wird geübt, Unterschiede in der Musik wie Höhe und Tiefe von Tönen zu benennen. Die Theorie wird nie länger als zehn Minuten behandelt, danach gibt es gleich wieder etwas Bewegung. „Sonst greift das nicht“, weiß Kaiser; die maximale Konzentrationsspanne von Fünf- bis Sechsjährigen liegt im Schnitt bei 15 Minuten.

Ziel der musikalischen Früherziehung bei Kaiser ist es, Kinder spielerisch an Musik heranzuführen. Sie sollen Gelegenheit bekommen, Musik bewusst aufzunehmen und selbst zu machen. Ganz ohne Leistungserwartungen, das Mitmachen ist immer freiwillig und die Kinder sind mit viel Begeisterung dabei. Nach dem Unterricht erzählt der fünfjährige Paul, dass er „alles toll fand“ und ihm auch alles am besten gefallen hat. Leonie, ebenfalls fünf, konnte im Theorieteil gut zwischen hohen und tiefen Tönen unterschieden, mag aber die Spiele am liebsten. Freundin Lea findet „das Singen am besten und das Tanzen auch“. Eine Studie der Uni Ulm wies nach, dass musikalische Früherziehung die sprachlichen Voraussetzungen von Vier- bis Sechsjährigen zum Schulstart verbesserte. Darüber hinaus konnten auch positive Auswirkungen bei der Verhaltens- und Emotionskontrolle festgestellt werden. Und natürlich fällt es später leichter, ein Instrument zu erlernen, je früher man musikalische Bildung erfährt.

Sandra Kaiser führt Kindergartenkinder spielerisch an Musik heran. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Sandra Kaiser führt Kindergartenkinder spielerisch an Musik heran. Fotos: Alexander Becher

Für Kaiser steht fest: „Schon Neugeborene kommen mit einem musikalischen Potenzial auf die Welt. Sie reagieren auf Rhythmen in Musik und Bewegung, schlafen zum Beispiel ein, wenn sie gewiegt werden. Schließlich nehmen Babys einen Rhythmus schon vor der Geburt wahr: den Herzschlag ihrer Mutter.“ 2022 schloss sie ihre Ausbildung für pränatales Singen und Musizieren mit Schwangeren ab. Bei Kaisers Kursen für Babys von vier bis 18 Monaten wird deswegen mit den Eltern gesungen, auch werden rhythmisches Sprechen und Kniereiterverse geübt. Denn „nur in Kombination mit Bewegung lernen Kinder die Musik ganzheitlich kennen“, so Kaiser.

Unterwegs in den kleineren Gemeinden

Musik als Beruf, erzählt die Fachfrau strahlend, sei schon immer ihr Traum gewesen, seit sie mit 16 anfing, Flöte zu unterrichten. Als Kaiser mit 18 ihr Abitur machte, hatte sie mit dem Gedanken gespielt, Querflöte zu studieren, „aber eine Zukunft als Berufsmusikerin war mir einfach zu unbeständig, gerade weil ich schon immer einen Kinderwunsch hatte“. Stattdessen schlug sie erst mal eine redaktionelle Laufbahn in der PR-Abteilung des Medizinverlags Thieme ein. „Erst mit der Geburt meines ersten Kindes habe ich den Sprung dann gewagt“, sagt Kaiser. Noch während der Elternzeit ließ sie sich musikpädagogisch fortbilden, kündigte dann ihren Job und fing ganz klein an. Erst mit einem Kurs, dann mit zweien, eben so, wie es ihr erstes Kind und später das kleine Geschwisterchen zuließen. „Ohne die viele Unterstützung meines Mannes hätte ich nie damit anfangen können, mir diesen Traum zu erfüllen.“ Die Musikschule Kaiser ist inzwischen so alt wie das erste Kind, 17 Jahre, und Kaiser fast täglich dafür unterwegs. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, schließlich bietet Kaiser aktuell in fast allen Kindergärten in Althütte musikalische Früherziehung an. Ausgenommen ist nur der Waldkindergarten, weil der Unterricht draußen nicht möglich ist. Außerdem gibt sie ihre Kurse in den Kindergärten in Sechselberg, Hohnweiler und Lippoldsweiler und im Musikgarten in Spiegelberg. „Ich klappere vor allem die kleinen Gemeinden ab, in die die großen Musikschulen selten kommen, weil sie in größeren Kommunen wie Backnang genug zu tun haben, so Kaiser. Sie möchte ein Angebot schaffen, das die natürliche musikalische Veranlagung der Kinder ab dem Säuglingsalter weckt und fördert, ohne dass die Eltern weit dafür fahren müssen. Konkurrenz zu den Musikvereinen gibt es dabei nicht. Vielmehr arbeitet man miteinander wie im Musikgarten Spiegelberg oder einander zu. Dabei spielt Kaisers Spezialisierung auf die musikalische Früherziehung eine entscheidende Rolle. Sie erzählt: „Nach der musikalischen Früherziehung kommen einige Kinder in der Grundschule zu mir in die Flötenklasse. Und einige von denen, die dabeibleiben, treten irgendwann in ihre örtlichen Vereine ein.“ Doch die Kooperation mit Vereinen wie dem Musikverein Spiegelberg dient nicht nur der gegenseitigen Selbsterhaltung. „Wir versuchen, eine funktionierende Jugendarbeit im musikalischen Bereich aufzubauen, um jedem Kind den Zugang zu musikalischer Bildung und einem Instrument zu ermöglichen.“ Teilhabe von sozial schwachen Kindern liegt ihr am Herzen, ihre Kurse können auch über Bildungsscheine abgerechnet werden.

Kostenloses Projekt ermöglicht Kindern den Zugang zu musikalischer Ausbildung

Die musikalische Früherziehung ganz über die Gemeinde zu betreiben ist nicht möglich. Dafür sei kein Geld da. „Ich kann das auch verstehen, öffentliche Gelder werden an vielen, auch vielen wichtigeren Stellen gebraucht“, und in Deutschland werde eben immer zuerst an der Musik gespart. In anderen Ländern geht das auch anders, Kaiser erzählt begeistert vom Stellenwert, den Musik in Venezuela erfährt. Dort ermöglicht das öffentlich finanzierte Projekt „El Sistema“ (zu deutsch: Das System) unter dem Motto „Musik für sozialen Wandel“ seit 1975 Kindern und Jugendlichen unabhängig von Einkommen und Herkunft der Eltern den Zugang zu Musik und musikalischer Ausbildung. Durch das kostenlose Erlernen eines klassischen Instruments werden Chancen und Entwicklung verarmter Kinder gefördert. „El Sistema“ brachte das weltberühmte Symphonieorchester Simón Bolívar hervor. Mittlerweile werden auch die Jugendorchester des Programms „Teresa Carreño“ und das Jugendorchester von Caracas international gefeiert.

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Erstellt:
31. Oktober 2023, 06:00 Uhr

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