Raus in die Natur – auch mit Handicap
Projektauftakt „Inklusive Wanderbotschafter im Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald“: Treffen der Initiatoren und Interessenten
Menschen mit Behinderung haben mal kleinere, mal größere Hürden zu überwinden – ob im Alltag oder in der Freizeit. Wollen sie eine Tour in der Natur machen, müssen sie sich gut überlegen, was sie erwartet und wie die Strecke beschaffen ist. Um eine Auswahl an rollstuhlgeeigneten Wegen zu erarbeiten, hat sich nun das Projekt „Inklusive Wanderbotschafter im Naturpark“ formiert. Bei der Auftaktveranstaltung kamen Initiatoren und interessierte, mögliche Mitstreiter in Murrhardt zusammen.

© Jörg Fiedler
Kurzbesprechung beim Auftakt in der Festhalle (von links): Projektkoordinatorin Andrea Bofinger mit Projektleiterin Ines Vorberg sowie Simon Maier vom Kreisjugendring Rems-Murr. Fotos: J. Fiedler
Von Christine Schick
MURRHARDT.Achim Gresser aus Backnang weiß schon zu Beginn, dass er als inklusiver Wanderbotschafter aktiv werden möchte. Mit seiner Frau und / oder mit seiner Hündin Mila ist er in seiner Freizeit gerne draußen unterwegs. Dabei ist angesichts seines Rollstuhls oder auch Trikes (drei Räder) bei unbekannten Strecken immer die Frage, ob er wirklich gut durchkommt, erzählt er. „Ich fände es schön, durch das Projekt auch neue Wege und Gebiete kennenzulernen“, sagt er. Gleichzeitig könne er seine Erfahrungen einbringen. Andreas Varnhorn hat sich von Obersulm aus auf den Weg gemacht, um beim Projektauftakt dabei zu sein. Auch er ist oft sportlich, teils mit dem Handbike auf Achse, und kann sich vorstellen, Strecken fürs Projekt zu erkunden.
In einer Gesprächsrunde, die Peter Reichert, Pressesprecher des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter (BSK) moderiert, skizzieren die Partner, was sie erreichen möchten und wie das Projekt ablaufen soll. Initiatorin und Leiterin Ines Vorberg, die dem BSK Bereich Althütte vorsteht, hat sich vor einiger Zeit schlau gemacht, ob barrierefreie Routen im Naturpark angeboten werden. „Es gibt schon welche, aber sie sind mit 15 bis 20 Kilometern viel zu lang“, sagt sie. „Ein echtes Problem ist, dass dabei keine barrierefreien Toiletten ausgewiesen sind.“ Deshalb schlägt sie vor, das Vorgehen umzudrehen – zu überlegen, wo die Infrastruktur stimmt (Parkplatz, WC oder Gaststätte), und von dort aus mögliche Wanderwege von drei bis fünf Kilometern zu erkunden und zu testen.
Bernhard Drixler, Geschäftsführer des Naturparks, ist davon überzeugt, dass vom Projekt zuvorderst mobilitätseingeschränkte Menschen, längerfristig gedacht aber alle profitieren. „Wir wissen ja nicht, ob wir morgen auch zu dieser Gruppe gehören“, meint er. Zudem gewinne mit einer älter werdenden Gesellschaft das Thema immer mehr an Bedeutung. Er und sein Team wollen dabei mit Blick auf die Natur, Kulturlandschaft und ihre Menschen gleichermaßen als Kümmerer und Netzwerker unterstützen. „Der Naturpark soll einer für alle sein.“
Weiterer Partner des Projekts ist der Kreisjugendring Rems-Murr (KJR). Simon Maier engagiert sich beim KJR schon lange für die Themen Inklusion und Barrierefreiheit. Als Rollstuhlfahrer muss er Reisen bis ins Kleinste vorbereiten und durchplanen. „Man ruft dann im Hotel an, bittet darum, dass bestimmte Dinge abgemessen werden, merkt aber bei der Ankunft, dass es doch nicht hinhaut.“
Barrierefreiheit fängt schon bei der Anfahrt zur geplanten Tour an
Seiner Erfahrung nach ist die Grundvoraussetzung beziehungsweise das Grundproblem die Mobilität, sprich überhaupt erst einmal zum Waldweg zu kommen. „Das heißt, es muss beispielsweise auch eine S-Bahn geben, die barrierefrei ist.“
Dies ist ein Punkt, den die künftigen inklusiven Wanderbotschafter durchaus zu berücksichtigen haben, wie Andrea Bofinger erläutert. Die Projektkoordinatorin, bei der alle Fäden zusammenlaufen, macht deutlich, dass auf die ehrenamtlichen, künftigen inklusiven Wanderbotschafter – Rollstuhlfahrer und Menschen mit Bezug zum Thema – „schon Arbeit“ zukommt. Nach einer Einführung zum Evaluierungsinstrument, ein sechsseitiger, vom Landesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen entwickelter Erhebungsbogen, gilt es, Aspekte wie Anfahrt, eigenes Gefährt, Begleitung, Streckenbeschaffenheit, WC und Rahmenbedingungen zu dokumentieren. Als kleine Gegenleistung gibt es eine Aufwandsentschädigung sowie ein Survivalpack mit Maßband, Sonnenschutz, Mückenspray, Regencape, Erstehilfeset sowie Speicherstick für Fotos. „Mitmachen kann im Grunde jeder“, sagt Ines Vorberg, wobei es nicht von Nachteil sei, sich zumindest ein wenig in der Gegend auszukennen – auf einen Empfang für digitale Helferlein im Wald ist nicht immer Verlass. Was die Teilnehmer sich jeweils zutrauen, müssen sie in Eigenverantwortung abschätzen.
„Absolutes Traumziel des Projekts wäre, dass in jeder Kommune des Naturparks eine Einzelroute aufgestellt werden kann“, sagt Andrea Bofinger. Unabhängig von der Anzahl sollen die erkundeten Strecken mit einem Flyer dokumentiert und auch digital fürs Netz aufgearbeitet werden.
Dass solch ein Projekt auch Chancen für Menschen mit und ohne Behinderung bietet, Berührungsängste abzubauen, sich kennenzulernen und gegenseitig zu sensibilisieren, wie Simon Maier anmerkt, spiegelt sich auch im anschließenden Gespräch mit dem Publikum wider. Roland Luther vom Schwäbischen Albverein Waiblingen berichtet beispielsweise von einem ähnlichen Ansatz früherer Tage und dass man sich gerne mal einem Treffen der Projektgruppe anschließen wolle. Roland Noller, Behindertenbeauftragter im Rems-Murr-Kreis, regt an, auch auf die Gruppe der Senioren zuzugehen. Positiv aufgenommen haben die Akteure auch eine Nachfrage aus dem Netz, die als Reaktion des Livemitschnitts der Podiumsrunde auf dem BSK-Facebookauftritt eintrudelte: „Coole Idee, cooles Projekt. Soll das ausgebaut werden? Ist sowas also für andere Bundesländer geplant?“
Der Tenor – die Initiative freut sich über Nachahmer, jetzt geht es aber erst mal fürs Projekt im Naturpark los.
Teilhabe für Behinderte Info Ehrenamtliche Wanderbotschafter werden geschult und mit einem Wander- und Erfassungspaket ausgestattet. Sie testen und bewerten Wege im Naturpark, die künftig als rollstuhlgeeignete Routen angeboten und ausgeschildert werden. Kurze Strecken von drei bis fünf Kilometern Länge sollen mit Rollstühlen und Gehhilfen auch eigenständig nutzbar sein. Diese Wege sollen am Startpunkt über Behindertenparkplätze verfügen und sich in direkter Nähe zu geeigneten Toiletten und/oder Gastronomiebetrieben befinden. Durch die ausgeschilderten Strecken soll die Teilhabe von Menschen mit Behinderung, insbesondere von mobilitätseingeschränkten Menschen, mit Blick auf Freizeit und Naturerlebnisse ermöglicht werden. Zentrale Ansprechpartnerin ist Andrea Bofinger, Telefon 07191/9789029, wanderbotschafter@stil-sicher.eu. Das Projekt des Bundesverbandes Selbsthilfe Körperbehinderter ist auf drei Jahre angelegt und wird von der Aktion Mensch gefördert. Eingebunden sind auch die Naturpark-Mitgliedskommunen, sodass Anregungen zu Problemen weitergegeben werden können. Weitere Infos: www.naturpark-sfw.de/erleben/barrierefreie-angebote/inklusive-wanderbotschafterinnen.
© Jörg Fiedler
Der Projektauftakt und die Podiumsrunde in der Murrhardter Festhalle können live im Netz mitverfolgt werden – auch eine mögliche Form von Teilhabe.