„IBA-Tag Bauen“ in Backnang: Recycling funktioniert auch auf der Baustelle
Beim „IBA-Tag Bauen“ in Backnang geht es um die Frage, wie künftig klimafreundlicher gebaut werden kann. In einer Ausstellung und zwei Workshops werden neue Materialien vorgestellt und es wird gezeigt, wie Teile von alten Häusern in neuen Gebäuden wiederverwendet werden können.

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Kein Spielzeug, sondern Baumaterial: Eva Herrmann präsentiert in der Ausstellung Material-Lab Bausteine der Stuttgarter Firma Triqbriq, die mit einem Stecksystem miteinander verbunden werden. Foto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Die Frage, wie man den Energieverbrauch und damit den CO2-Ausstoß beim Heizen von Gebäuden reduzieren kann, beschäftigt die Baubranche schon seit vielen Jahren, die Standards wurden immer weiter verbessert. Vergleichsweise selten geht es hingegen um die Treibhausgase, die bereits in der Bauphase freigesetzt werden. Dabei machen diese rund 40 Prozent der gesamten Gebäudeemissionen aus. Für Andreas Hofer, den Intendanten der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2027, ist deshalb klar: „Wir werden die Energiewende nicht schaffen, wenn wir nicht auch in diesem Bereich den Verbrauch reduzieren.“
Wie das gelingen kann, war Thema des „IBA-Tag Bauen“, der gestern im Rahmen des vierwöchigen IBA-Festivals in Backnang stattfand. Dabei wurde deutlich: Es gibt bereits viele gute Ideen, wie durch neue Materialien oder geänderte Prozesse nachhaltiger gebaut werden kann, allerdings führen diese oft noch ein Nischendasein.
„Bauteiljäger“ gehen auf die Pirsch
Das gilt etwa für die Baustoffe, die in der Ausstellung Material-Lab in einer ehemaligen Kaelble-Halle in der Wilhelmstraße neben dem Technikforum präsentiert werden. Zu sehen sind dort zum Beispiel Ziegelsteine, die nicht mehr bei hohen Temperaturen gebrannt, sondern kalt gepresst werden. Das spart eine Menge Energie. Auch traditionelle Baustoffe wie Lehm und Stroh erleben in moderner Form eine Renaissance. Und es gibt auch Ansätze, die etwas abenteuerlich klingen: So präsentierte Eva Herrmann vom IBA-Team ein neuartiges Bitumen, wie es zum Abdichten von Dächern verwendet wird. Statt wie üblich aus Mineralöl wurde die schwarze Masse hier aus der Cashewfrucht gewonnen. Das sei nicht nur nachhaltiger, sondern eröffne den Erzeugern in Afrika und anderen Ländern der Südhalbkugel auch neue Einnahmequellen, erklärte Herrmann.
Um nachhaltiges Bauen ging es auch in zwei Workshops, an denen sich überwiegend Architekten und andere Fachleute aus der Baubranche beteiligten. Kerstin Müller und Jasmin Amann aus Basel stellten dabei die Idee des „zirkulären Bauens“ vor. Während Recycling in vielen Lebensbereichen längst selbstverständlich ist, ist es in der Baubranche noch immer üblich, das Material beim Abriss von Gebäuden zu entsorgen und für Neubauten ausschließlich neue Baustoffe zu verwenden.
Umdenken schon in der Planung
Dass es auch anders geht, hat Kerstin Müller in der Schweiz bereits bewiesen. Mit ihrem Baubüro „in situ“ hat sie in Winterthur die „Kopfbau Halle 118“ realisiert, deren Material zu 70 Prozent aus Abrissgebäuden stammt. Ob Stahlträger, Fenster oder Fassadenelemente – fast alles wurde vor der Entsorgung gerettet und in das neue Gebäude integriert. Beim Bau wurde dadurch nur halb so viel CO2 freigesetzt wie bei vergleichbaren Neubauten.
Eine solche Bauweise erfordert allerdings schon in der Planung ein Umdenken. „Man muss vom vorhandenen Material ausgehen und nicht von einem leeren Blatt“, erklärt Jasmin Amann, die sich selbst als „Bauteiljägerin“ bezeichnet. Und manchmal müsse man auch kreativ sein: Weil die Fluchttreppe, die sie von einem Abrissgebäude bekommen hatte, für ihr geplantes Haus eigentlich zu hoch war, hat sie kurzerhand noch eine Dachterrasse draufgesetzt.
Damit die Bauteiljagd in der Praxis nicht zu aufwendig wird, wäre es hilfreich, wenn das Material, das beim Abriss oder Umbau von Gebäuden übrig bleibt, systematisch erfasst und katalogisiert wird. Einige Städte in der Schweiz tun das bereits, wie Kerstin Müller berichtete. Und sie stellen auch Lagerflächen zur Verfügung, denn oft vergehen einige Monate, bis sich eine passende Nachnutzung für die alten Bauteile findet.
Beim Workshop durften sich die Teilnehmer dann auch selbst als „Bauteiljäger“ versuchen. In Dreierteams begaben sie sich in den schon ziemlich verfallenen Gemäuern der ehemaligen Lederfabrik Hodum auf die Pirsch nach Bauelementen, die sich für eine neue Verwendung an anderer Stelle eignen würden. Eine Gruppe entschied sich zum Beispiel für die Stahlstützen im Obergeschoss, einer anderen hatten es die Zwischenwände aus Metall und Glas angetan.
Aus alten Ziegelsteinen werden neue Fliesen
Eine andere Form des Materialrecyclings stellten Freia Achenbach und June Fàbregas in ihrem Workshop vor. Die beiden Industriedesigner vom Stuttgarter Büro „anima ona“ experimentieren mit sogenannten Geopolymeren. Dabei werden Ziegel und anderer Bauschutt fein gemahlen und mit einer Lauge zersetzt. Aus der Masse, die dabei entsteht, stellen sie zum Beispiel Fliesen her. Auch als Zementersatz seien Geopolymere geeignet, erklärt Fàbregas. „So werden 70 Prozent CO2 eingespart.“
Bei den Teilnehmern des Backnanger IBA-Tags stießen die vorgestellten Beispiele auf großes Interesse. „Die Idee, Materialien wiederzuverwenden, ist super. Bisher war das aber eher ein theoretisches Konstrukt“, sagt Hannah Schürmann, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Stuttgart arbeitet. Die praktischen Anwendungsbeispiele im Workshop fand sie deshalb besonders spannend. Auch Moritz Seifert, freier Architekt aus Kernen im Remstal, ist davon überzeugt, dass Nachhaltigkeit beim Bauen immer wichtiger wird. Wann er sein erstes Haus aus Recyclingmaterial bauen wird, weiß er allerdings nicht: „Man braucht ja auch einen Bauherrn, der so etwas machen will.“
Ausstellung Das Material-Lab in der Wilhelmstraße 42 kann noch bis zum 22. Juli bei freiem Eintritt besichtigt werden. Die Öffnungszeiten sind Donnerstag und Freitag von 14 bis 19 Uhr sowie Samstag von 10 bis 15 Uhr. In dieser Zeit sind Kinder und Erwachsene auch eingeladen, beim „Klötzlesbauen“ aus rund 15000 Bausteinen eigene Welten zu erschaffen. Das vollständige Programm des IBA-Festivals findet man unter https://festival.iba27.de/programm.