Rems-Murr-Kreis muss 1920 Wohnungen pro Jahr bauen

Das zeigt eine Wohnungsmarktanalyse des Pestel-Instituts: Demnach seien leer stehende Wohnungen oft nicht beziehbar.

Symbolbild: Alexander Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

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Rems-Murr. Es muss gebaut werden: Bis 2028 braucht der Rems-Murr-Kreis den Neubau von rund 1920 Wohnungen – pro Jahr. Diese Wohnungsbauprognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in einer aktuellen Regionalanalyse zum Wohnungsmarkt ermittelt. „Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – aktuell fehlen im Rems-Murr-Kreis rund 2590 Wohnungen – abzubauen, aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Insbesondere bei Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut.

Der Wissenschaftler erwartet, dass das Baupensum allerdings zurückgeht: Günther spricht von einem „lahmenden Wohnungsneubau, dem mehr und mehr die Luft ausgeht“. So gab es in den ersten fünf Monaten dieses Jahres nach Angaben des Pestel-Instituts im ganzen Rems-Murr-Kreis lediglich für 123 neue Wohnungen eine Baugenehmigung. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 waren es im gleichen Zeitraum immerhin noch 451 Baugenehmigungen. „Damit ist die Bereitschaft, im Rems-Murr-Kreis neuen Wohnraum zu schaffen, innerhalb von nur einem Jahr um 73 Prozent zurückgegangen“, sagt Matthias Günther.

An dem Wohnungsbedarf im Rems-Murr-Kreis ändere auch die Zahl leer stehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für den Rems-Murr-Kreis immerhin rund 8290 Wohnungen, die nicht genutzt werden (wir berichteten). Das seien vier Prozent des gesamten Wohnungsbestands im Landkreis. Ein Großteil davon – nämlich rund 4430 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin rund 53 Prozent des Leerstands. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.

Eigentümer halten sich bei der Sanierung leer stehender Wohnungen zurück

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand immer auch notwendig. „Rund drei Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Allein um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit von Matthias Günther.

Viele Hauseigentümer halten sich mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutzauflagen – wann kommen.“ Es fehle die politische Verlässlichkeit. Zudem hapere es bei vielen auch am Geld für eine Sanierung.

Weitere Gründe, warum leer stehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich die Hauseigentümer, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Rems-Murr-Kreis kein Weg vorbei.“

Das Pestel-Institut hat die Regionalanalyse zum Wohnungsmarkt im Auftrag des Bundesverbands Deutscher Baustofffachhandel (BDB) durchgeführt. Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leer stehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht“, sagt Katharina Metzger. Sie erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.

Baustandards müssen laut Metzger gesenkt werden

Für die Verbandschefin des Baustofffachhandels steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch im Rems-Murr-Kreis das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen.

Zudem kritisiert Metzger gemeinsam mit den Wissenschaftlern des Pestel-Instituts den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten dringend nötige Fördermittel für den Wohnungsneubau – allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens zwölf Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit.

Aktuell erlebe die Wohnungsbaubranche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubauzahlen gehen in den Keller. Mauersteinhersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger. pm

„Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leer stehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf gegenzurechnen.“Katharina Metzger, Präsidentin BDB. Foto: privat

„Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leer stehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf gegenzurechnen.“ Katharina Metzger, Präsidentin BDB. Foto: privat

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Erstellt:
28. August 2024, 09:00 Uhr

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