Rezepte gegen den Dreck gesucht

Mit einem Jahresmittelwert von 53 Mikrogramm pro Kubikmeter lag die Stickoxid-Belastung an der viel befahrenen Eugen-Adolff-Straße in Backnang auch 2017 über dem zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm. Das Regierungspräsidium ist deshalb in der Pflicht, einen Luftreinhalteplan für Backnang aufzustellen. Aber auch die Stadt ist nicht untätig: Zurzeit wird im Rathaus ein „Masterplan Green City“ erarbeitet.

Backnangs dreckigste Straße: Auf der Eugen-Adolff-Straße sind täglich mehr als 20000 Fahrzeuge unterwegs. Der Grenzwert für Stickoxide wird deutlich überschritten. Foto: A. Becher

© Pressefotografie Alexander Beche

Backnangs dreckigste Straße: Auf der Eugen-Adolff-Straße sind täglich mehr als 20000 Fahrzeuge unterwegs. Der Grenzwert für Stickoxide wird deutlich überschritten. Foto: A. Becher

Von Kornelius Fritz

BACKNANG. Während es in Stuttgart bereits ab 2019 Fahrverbote für ältere Dieselfahrzeuge geben wird, hat man in Backnang noch etwas mehr Zeit. Zunächst muss das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) einen Luftreinhalteplan für die Murr-Metropole vorlegen. Dies soll nach Angaben des RP bis Ende des Jahres geschehen. Erst wenn die darin vorgeschlagenen Maßnahmen nicht greifen, könnten ab 2020 auch in Backnang Fahrverbote in Kraft treten.

OB Frank Nopper will das verhindern. Die Zeit, die noch bleibt, will die Verwaltung deshalb nutzen, um die Luftqualität in der Innenstadt zu verbessern. Grundlage aller weiteren Maßnahmen soll dabei ein sogenannter Masterplan sein, den die Stadt zurzeit in Zusammenarbeit mit dem Institut Stadt, Mobilität, Energie (ISME) in Stuttgart erarbeitet. Dafür hat sie 270 000 Euro vom Bund erhalten.

„Dieser Masterplan ist die Eintrittskarte für weitere Fördermöglichkeiten“, erklärt Tobias Großmann, Leiter des Backnanger Stadtplanungsamtes. In dem Plan sollen mögliche Maßnahmen zur Schadstoffreduzierung dargestellt werden, jeweils verbunden mit einer Schätzung der Kosten und der zu erwartenden Wirkung. „So können wir gezielt die effizientesten Maßnahmen umsetzen“, erklärt Großmann. Bis Ende Juli soll der Plan fertig sein und dem Gemeinderat vorgelegt werden. Folgende sechs Themenfelder werden untersucht:

1. Intelligente Verkehrssteuerung

Tobias Großmann ist überzeugt: Ein Teil des Verkehrs in der Backnanger Innenstadt wäre vermeidbar, wenn alle Autofahrer ihr Ziel auf dem direktesten Weg ansteuern würden. Dafür, dass sie dies nicht immer tun, gibt es Gründe: „Wenn sich etwa auf der B14 der Verkehr staut, fahren viele an der Spritnase ab und nehmen den Weg durch die Stadt“, weiß der Stadtplaner. Damit weniger Autofahrer die vermeintliche Abkürzung wählen, müsste es also gelingen, etwa durch flexiblere Ampelsteuerungen, den Verkehrsfluss auf der Bundesstraße zu verbessern und gleichzeitig die Durchfahrt durch die Stadt unattraktiver zu machen. Denkbar sind auch Lösungen, bei denen Autofahrern auf Schildern oder ihrem Navi in Echtzeit der jeweils schnellste Weg angezeigt wird. „Ziel muss es sein, die Leute auf dem kürzesten Weg zu ihrem Ziel zu lotsen“, erklärt Großmann.

2. Parkraummanagement

Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass der Verkehr in Innenstädten zu 10 bis 20 Prozent aus Autos besteht, deren Fahrer auf der Suche nach einem Parkplatz sind. „Wir müssen den Parksuchverkehr reduzieren“, sagt Tobias Großmann. Aber wie? Auch hier gibt es viel versprechende technische Lösungen. Tobias Großmann denkt an ein neues Parkleitsystem, das mit Echtzeitdaten aller Parkhäuser in der Stadt gefüttert wird. „Im besten Fall werden die Autofahrer dann schon ab der B14 zielgerichtet zu einem freien Parkplatz gesteuert“. Das setzt allerdings voraus, dass die Daten von allen Parkplätzen und Parkhäusern in einem System verfügbar sind. Eine Herausforderung, denn viele Parkhäuser sind in Privatbesitz: „Die Parkhausbetreiber müssen natürlich mitmachen“, sagt Tobias Großmann.

3. Radinfrastruktur

Dass Backnang für Radfahrer nicht besonders attraktiv ist, ist kein Geheimnis. Deshalb hat der Gemeinderat bereits im vergangenen Jahr ein Fachbüro beauftragt, ein neues Radinfrastrukturkonzept zu entwickeln. Erste Zwischenergebnisse wurden im April vorgestellt: Rad-Experte Günter Bendias präsentierte den Stadträten damals eine lange Mängelliste (wir berichteten). Die Verbesserungsvorschläge des Planers sollen nun auch Teil des Masterplans werden, denn dann kann die Stadt Fördergelder des Bundes für die Umsetzung beantragen. „So können wir vielleicht mehr Projekte umsetzen“, hofft Tobias Großmann.

4. Verkehrsmittel verknüpfen

Wenn Experten von intermodalem Verkehr sprechen, dann meinen sie die Verknüpfung unterschiedlicher Verkehrsmittel. Wer etwa mit der S-Bahn in Backnang ankommt, soll am Bahnhof künftig nicht nur in den Bus oder ins Taxi steigen können, sondern sich auch zum Beispiel ein Fahrrad oder ein Carsharing-Fahrzeug mieten können. „Je attraktiver und flexibler das Angebot ist, desto größer ist die Bereitschaft, das eigene Auto stehen zu lassen“, sagt Tobias Großmann. Die Stadt will sich deshalb auch am Projekt „Regiorad“ beteiligen und Mietfahrräder am Bahnhof, im Biegel sowie an der S-Bahn-Station Maubach anbieten. Der Bahnhof soll zur Mobilitätsdrehscheibe werden: Geplant sind dort auch ein Fahrradparkhaus, Ladestationen für Elektroautos sowie Stellplätze für Carsharing und Kurzzeitparker.

5. Elektrifizierung des Verkehrs

Je mehr Fahrzeuge in Backnang elektrisch unterwegs sind, desto besser für die Luftqualität. Allerdings kann die Stadt niemandem vorschreiben, dass er ein Elektrofahrzeug kaufen soll. „Wir können da nur Vermittler sein“, sagt Tobias Großmann, der vor allem die Fuhrparks größerer Firmen im Blick hat. Seine Hoffnung: Durch die Förderprogramme des Bundes könnte es für die Unternehmen interessanter werden, auf Elektrofahrzeuge umzustellen. Die Stadt sieht ihre Aufgabe deshalb auch darin, über die bestehenden Fördermöglichkeiten zu informieren. Außerdem kann sie die Rahmenbedingungen für die E-Mobilität verbessern: Der Masterplan Green City wird deshalb auch einen Vorschlag für ein Netz mit elf Ladestationen im gesamten Innenstadtbereich enthalten. Auch Elektrobusse wären ein wichtiger Beitrag zur Luftreinhaltung. Das hat die Stadt aber nicht selbst in der Hand: Für den öffentlichen Nahverkehr ist ab 2019 nämlich der Landkreis zuständig.

6. Kommunale Fahrzeugflotte

Die Stadt Backnang besitzt zwar nur 22 eigene Fahrzeuge, trotzdem will sie auch hier ansetzen. „Wir haben eine Vorbildfunktion und müssen vorangehen“, sagt Tobias Großmann. Bereits im vergangenen Jahr hat die Stadt mit Zuschüssen des Bundes drei Elektrofahrzeuge angeschafft, die Mitarbeiter des Stadtbauamtes können überdies zwei Pedelecs nutzen, der Dienstwagen von OB Frank Nopper ist ein Hybridfahrzeug. Doch dabei soll es nicht bleiben: „Die Förderprogramme sind eine Riesenchance“, sagt Amtsleiter Großmann. Sukzessive will die Stadt weitere E-Autos anschaffen, auch wenn der Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen in der Stadt natürlich verschwindend gering ist.

Backnang erarbeitet Masterplan zur Luftreinhaltung Sofortprogramm Saubere Luft Info Auf dem Kommunalgipfel von Bund und Kommunen im November 2017 wurde das „Sofortprogramm Saubere Luft 2017 bis 2020“ beschlossen. Die Bundesregierung musste handeln, weil die EU-Kommission Deutschland wegen der Überschreitung der Grenzwerte vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat. Darüber hinaus gibt es auch Klagen der Deutschen Umwelthilfe gegen 28 Städte, darunter Backnang. Antragsberechtigt sind alle Kommunen, in denen der zulässige Jahresmittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten wurde. Bundesweit war dies 2017 in 66 Städten der Fall, darunter alleine 19 in Baden-Württemberg. Das Sofortprogramm ist mit bis zu einer Milliarde Euro ausgestattet. Die Hälfte davon ist für Digitalisierungsprojekte vorgesehen, etwa für vernetzte Verkehrskonzepte und intelligente Parkleitsysteme. Weitere Förderschwerpunkte sind die Elektrifizierung des Verkehrs und die Nachrüstung von Dieselbussen im ÖPNV. Das Sofortprogramm besteht aus einem Dutzend einzelner Förderprogramme mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Voraussetzung für die Gewährung der Zuschüsse ist ein Masterplan, in dem die Kommunen die Wirksamkeit der vorgeschlagenen Maßnahme nachweisen. Die Förderquote liegt dann zwischen 50 und 70 Prozent.

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Erstellt:
2. Juli 2018, 06:00 Uhr

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