Riffifi macht Backnang zur Sexmetropole
Nachtleben in alten Zeiten (5) Striptease, Livesex und Pornofilmchen lockten in den 70er-Jahren Gäste aus ganz Deutschland und dem benachbarten Ausland in das Backnanger Nachtlokal in der Sulzbacher Straße.
Von Matthias Nothstein
Backnang. In den 1970er-Jahren: Ein Auto rollt langsam die Backnanger Marktstraße hinunter. Auswärtiges Kennzeichen. Der Fahrer lässt die Scheibe runter und blickt zu Werner Lutz, der tiefenentspannt vor seinem „Löwen“ steht. Lutz ergreift sofort das Wort: „Hier runter über die Brücke und nach 200 Metern auf der rechten Seite.“ Der Fahrer völlig verdutzt: „Sie wissen doch gar nicht, wo ich hin will.“ „Klar, du willsch ins Riffifi.“ „Danke.“ Fenster hoch und weg. An Dutzende solcher Dialoge kann sich Werner Lutz erinnern. Er lacht und erzählt: „Das Riffifi war in ganz Deutschland und in der Schweiz und in Österreich bekannt.“
Wenn nur die Hälfte dessen stimmt, was an Geschichten über das Riffifi heute noch kursiert, dann ist es kein Wunder, dass der Schuppen vor über 50 Jahren das Mekka der Nachtschwärmer war. Die Kurzzusammenfassung lautet in etwa so: Mitten in der schwäbischen Provinz und in der immer noch prüden Bundesrepublik – 68er hin oder her – konnten die Gäste in dem Etablissement in der Sulzbacher Straße Pornostreifen schauen, Striptease-Shows verfolgen und Zeuge von Livesex auf der Bühne werden. Und dann gab es noch ein Pferd, das regelmäßig auf die Bühne geholt wurde. Über seine Funktion gibt es ebenfalls mehrere Deutungsversuche. Gesichert ist, dass der Lipizzaner-Hengst Tänzerinnen von deren ohnehin knappen Bekleidung befreien konnte. Nicht 100-prozentig bestätigt ist, dass das Pferd einmal in den Plattenwald entführt wurde.
Als Ur-Backnanger erinnert sich Horst Hettich sogar an die vergleichsweise harmlosen Anfänge in der einst als so unverdorben geltenden Stadt. Los ging es, als in der ehemaligen Gaststätte Blume, deren Wirt Karl Wolf war, die Discothek Tenne eröffnet wurde. Ob der legendäre Corrado Gambinieri, den viele nur Helmut nannten, schon ab dem ersten Tag der Pächter der Tenne war oder erst später, das kann auch Hettich nicht mehr sicher sagen. Er erinnert sich jedoch an das Interieur: „Die Wirtschaftswände waren mit Holzschwertlingen verkleidet, es sah aus wie in einem Westernsaloon.“ Auch Angelique Bomm schwärmte vom Twen Club und der Discokugel. Schon gleich zu Anfang kam das Publikum auch von Heilbronn, Esslingen, Stuttgart oder Ludwigsburg. Bomm: „Samstags war immer Treffpunkt. DJ Ernst spielte hauptsächlich Rockmusik. Auf der Tanzfläche hatte man kaum Platz, so voll war es immer dort.“
Sex sells
Recht schnell erspürte Gambinieri: Sex sells. Es begann mit harmlosen Pornoschmalfilmchen. Hettich erinnert sich an eines, das „Schnee-Flittchen und die sieben Zwerge“ hieß. Aus dem Hexenhaus stieg Rauch aus einem Peniskamin in den Himmel auf. Später wurde von den drei, vier Bedienungen oben ohne bedient. Ganz barbusig standen sie auch hinter der großen Theke, zapften Pils oder gaben Whisky-Cola aus. Die Damen machten einmal sogar Werbung in eigener Sache, indem sie leicht bekleidet im Gänsemarsch über das Backnanger Straßenfest flanierten.
Gambinieri, der einstige Internatsschüler einer Benediktinerabtei, hatte Kontakt zu einer Hamburger Vermittlungsagentur. Alle vier Wochen kamen zwei Damen nach Backnang und präsentierten ihr Stripteaseprogramm. Viele Gäste bestellten ein Herrengedeck, „für sechs Mark ein Pils und einen Schnaps“, so Hettich. Rolf Mauser, er ist auch nicht immer am Eingang vorbeigelaufen, hat andere Preise im Gedächtnis. „Das Herrengedeck bestand aus einem Piccolo und einem Pils für 15 Mark. Das war viel Geld, aber fürs Gebotene in Ordnung.“
Das sündige Vergnügen im Riffifi, da sind sich alle Zeitzeugen sicher, weitete sich peu à peu aus. Höhepunkt im wahrsten Sinne des Wortes war schließlich die Aufführung eines Paars mit echtem Sex. Altersmilde urteilt Hettich heute: „Der arme Kerle musste dreimal jeden Abend ran.“ Und Hettich ist sich sicher: „Der konnte das Publikum nicht bescheißen, denn man war ja live dabei.“ Die Nummer nannte sich „Der Hexer von Bläckwootcastel“. Mit 50 Jahren Abstand sagt Hettich: „Ich könnte mich heute noch totlachen.“ Missfallensäußerungen aus dem Publikum wurden von dem 130-Kilo-Mann Gambinieri ganz schnell mit dem Rausschmiss beendet. Wer nun vermutet, dass die Show den Gesetzeshütern nicht bekannt war, der irrt. Wegen des Verstoßes gegen die Sittlichkeit stand der gewichtige Italiener auch vor dem Kadi. Gleichzeitig waren die Sexakteure von Renate Gambinieri, das war die Gattin Corrados, ordnungsgemäß bei der AOK gemeldet. Hettich: „Ich war damals der Sachbearbeiter bei der AOK, deshalb auch meine Infos.
Das Gästebuch gibt Anlass zur Erheiterung
Recht und Ordnung, die zweite: Einige Jahre und Sexkapriolen später mussten sich die Besucher beim Einlass in ein Gästebuch eintragen, Jugendschutz und so. Ziemlich alle trieben damit Schabernack, indem sie sich als Oberbürgermeister oder Stadtrat ausgaben. Überprüft wurde das nie. Von Renate Gambinieri weiß Hettich, dass laut dieser Liste der häufigste Eintrag Landrat Horst Lässing lautete. Eine Episode, die auch Werner Lutz mit einem breiten Grinsen bestätigt. Lutz ist davon überzeugt, dass das Riffifi damals einzigartig in ganz Deutschland war und Backnang zur deutschen Sexmetropole machte. Die Autokennzeichen sprachen eine klare Sprache. Nicht nur Stuttgarter Nummern tauchten immer öfter auf, auch Kennzeichen aus dem gesamten benachbarten Ausland waren keine Seltenheit. Und die entsprechenden Experten bestätigten Lutz: „Im Riffifi ist mehr los als in Hamburg auf der Reeperbahn.“ Selbst der damalige Oberbürgermeister Martin Dietrich, der in Backnang eher als moralische Instanz galt, sagte auf einer Weihnachtsfeier bei den Fußballern: „Backnang ist weithin bekannt, einmal durch die TSG und zum anderen durch das Riffifi.“ Ob auf Malle oder Gran Canaria, ob in Antalya, Berlin oder Paris. Oft konnte es passieren, dass Fremde auf die Nennung von Backnang reagierten: „Das kenne ich, da gibts doch das Riffifi.“ Werner Bachert weiß, dass viele ANT-Kunden damals gerne auf Geschäftsreise nach Backnang gekommen sind und auch eine klare Vorstellung vom Rahmenprogramm hatten. Bachert sagt: „70 Prozent dieser Geschäftsleute verlangten, an einem Abend ins Riffifi zu gehen. Unsere Kundenbetreuer waren schon genervt und stöhnten: Nicht schon wieder.“
Vom Boxer zum Türsteher
Die Blütezeit der schummrigen Bar war von 1970 bis 1976. „Arg lang ist es nicht gut gegangen“, sagt Lutz. „Gambinieri hat in dieser Zeit einen Haufen Geld verdient, aber am Ende war auch alles wieder weg.“
Ein echter Insider war Manfred Greif. Zur Hochzeit des Etablissements war er sogar einmal als Geschäftsführer eingesetzt. Greif ist heute 82 Jahre alt. Damals war er ein athletischer, groß gewachsener, voll austrainierter Boxer. Er erinnert sich noch gut an seinen ersten Arbeitstag bei Gambi. Greif hatte mit anderen Kraftsportlern und Gewichthebern auf einem Polterabend gefeiert und war ein bisschen angetüdelt. Zu dritt sollte der Abend im Riffifi ausklingen. Doch die Türsteher wollten sie nicht reinlassen. Greif baute sich vor den zwei Gestalten auf und fragte mit einem kessen Seitenblick seinen Kumpel: „Willst du den linken oder den rechten?“ Noch bevor sein Freund gewählt hatte, verschwanden die beiden Möchtegernwächter im Inneren und kamen mit Gambinieri zurück. Nach kurzem Verhandeln war der Weg zur Theke der Wonnen frei. Als sich Greif später in der Bar an einem Glas festhielt, kam Gambi und fragte den stattlichen Boxer, ob er nicht als Türsteher bei ihm arbeiten wollte. Greif sagte zu und sein neuer Chef feuerte die beiden eingeschüchterten Handtücher vor der Tür noch in derselben Nacht. Doch die Zusammenarbeit mit dem seltsamen Geschäftsmann währte nicht lange. „Gambinieri hatte einen an der Waffel.“ Auch sein Vater betrieb schon Nachtlokale in Stuttgart. „Gambi hatte italienische Wurzeln und einen Verfolgungswahn, er witterte überall die Mafia oder Zuhälter.“ Einmal verlangte er, Greif solle mit ihm eine Frau überwachen. Als Greif in einem kleinen Ort im Schwäbischen Wald ankam, stand sein Chef da mit einer Perücke und einer dunklen Brille. „Da habe ich ihm gesagt, so einen Scheiß mache ich nicht mit.“
Legendär sind die Beträge, die einzelne Gäste in der verruchten Bar umgesetzt haben. Lutz etwa hat einen Backnanger Geschäftsmann im Sinn, der mit seinen Damen im Separee den Alltag wegspülte. Lutz versprach seinem Kumpel an der Bar: „Wenn dem seine Rechnung über 500 Mark geht, geb ich einen aus.“ Bei 470 Mark war Schluss und Lutz erleichtert. Rolf Mauser weiß von einem örtlichen Händler, der am Ende sein Scheckbuch zog. Am nächsten Tag habe dieser bei der Sparkasse angerufen, man möge den Scheck nicht einlösen, sonst würde die Frau Gemahlin sehen, wo der Betrag zustande gekommen sei. Mauser hat auch live mitbekommen, wie sich Vater und Sohn gegenseitig in der Bar entdeckt haben. Das Gespräch drehte sich um die Frage: „Wie sagen wirs der Frau Mama?“
Die Ära Riffifi endete laut Hettich mit der Trennung der Eheleute. Renate Gambinieri eröffnete in der Aspacher Straße in der ehemaligen Limburg ein Lokal, in dem leicht bekleidete Akteure mit dem Trapez über den Gästen schwebten. Hettich: „Ich glaube, das ging kein halbes Jahr gut, dann war sie pleite.“ Ebenso wie ihr Geschiedener, der neben dem Riffifi noch einen aufwendigen Motorradhandel begann. Vermutlich spielte auch ein schwerer Unfall eine Rolle beim Geschäftspech von Renate Gambinieri. Lutz zumindest hat die Bilder noch deutlich vor Augen, wie seine Feuerwehrkameraden auf dem Autobahnzubringer Renate mit eingeklemmten Beinen aus ihrem Wrack befreien mussten.
Belinda und Co. Für unsere nächsten Folgen, die sich Lokalen, Clubs und Discotheken wie der Belinda und der Alten Grube oder dem Bermudadreieck mit Monokel, Bierakademie und Bierbörse widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Schreiben Sie uns per E-Mail: redaktion@bkz.de