„Schaden tut Bewegung todsicher nicht“
Das Interview: Sylvia Kern von der Alzheimer-Gesellschaft rät zu einem aktiven Lebensstil – Morgen Aktionstag der TSG 1846
Dem Thema Demenz und Bewegung widmet sich eine Informationsveranstaltung im Bürgerhaus, mit der sich die TSG Backnang 1846 am morgigen Welt-Alzheimertag beteiligt. Sylvia Kern, Geschäftsführerin der Alzheimer-Gesellschaft Baden-Württemberg, hält einen Impulsvortrag. Sie äußert sich im Interview mit unserer Zeitung aber schon im Vorfeld unter anderem dazu, ob ein aktiver Lebensstil eine Demenz verhindern oder zumindest deren Fortschreiten verlangsamen kann.

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Bewegung kann eine Demenz nicht zwingend verhindern, ihr Fortschreiten aber vielleicht ein Stück weit hinauszögern. Manche Vereine bieten bereits spezielle Kursangebote. Foto: Fotolia
Von Steffen Grün
Alle Menschen werden im Alter vergesslicher, aber wo liegt für Sie die Grenze zur Demenz?
Die lässt sich leider nicht exakt definieren, weil eine Demenz ein schleichender Prozess ist. Er dauert bereits 15 bis 30 Jahre, wenn man akute Anzeichen spürt. Es gibt dann allerdings eine Übergangsphase, in der viele Dinge auffällig werden. Das ist zum Beispiel eine zunehmend starke Vergesslichkeit im Kurzzeitgedächtnis. Die Betroffenen können noch lange Schillers Glocke aufsagen und ein Kirchenlied mit zwölf Strophen auswendig wissen, aber sie vergessen immer öfter, wo sie gestern waren oder was sie mittags gegessen haben. Dazu kommen Orientierungsschwierigkeiten und Probleme, im Alltag klarzukommen. Dinge, die einst leicht von der Hand gingen, kosten plötzlich mehr Kraft oder funktionieren einfach nicht mehr.
Was ist in einer solchen Situation zu tun?
Wenn sich die angesprochenen Probleme häufen, sollte man sich um eine Diagnose kümmern. Es ist ein Riesenschritt, zum Arzt zu gehen – mutig zu sein und nicht so zu tun, als wäre alles ganz normal und noch zu versuchen, zu bluffen, was aber viele tun. Man muss den Stier also bei den Hörnern packen und zum Arzt gehen – zunächst zum Hausarzt, zu dem man meistens ein Vertrauensverhältnis hat. Er kann zum Psychiater oder Neurologen überweisen, der dann genauer untersucht – wenn nichts ist, hat man Glück gehabt und kann andere Ursachen für die Veränderungen oder Auffälligkeiten suchen. Bei ernsthaftem Verdacht wird er weiter diagnostizieren, weil es mehrere Demenzformen gibt, darunter ist Alzheimer die häufigste. Hat man eine Demenzdiagnose, muss man damit umgehen, nicht resignieren und das Leben möglichst positiv in die Hand nehmen.
Haben Sie hierfür einen konkreten Rat?
Ich muss zum Beispiel mit der Familie reden und überlegen, was ich für später klären könnte beziehungsweise sollte. Das sind zum Beispiel vorsorgende Verfügungen, denn ich sollte klar festlegen, was ich will, wenn ich mal nicht mehr selber denken und entscheiden kann.
Ein Heilmittel gibt es bislang nicht, aber Bewegung soll das Fortschreiten der Erkrankung bremsen können. Stimmt das?
Jein. Die ganze Forschung der vergangenen Jahre sagt tatsächlich eines: Je aktiver wir in körperlicher und geistiger Hinsicht, aber auch in Bezug auf soziale Kontakte leben, desto eher können wir ein Fortschreiten der Demenz rauszögern. Das ist aber keine Garantie: Es gibt genügend Menschen, die sportlich oder geistig hoch aktiv waren und dennoch in tiefster Umnachtung an einer Demenz gestorben sind. Klar ist aber: Die Ratschläge des Hausarztes, die fürs Herz gut sind – nicht rauchen, nicht zu viel Alkohol trinken, sich gesund ernähren und nicht zu viel essen, sich bewegen, keinen zu hohen Blutdruck und Blutzucker haben et cetera –, sind in aller Regel auch fürs Hirn gut. Nun noch konkret zur Bewegung: Es gab in letzter Zeit viele Studien, die aussagten, dass Bewegung sehr wichtig ist, weil unser Gehirn tatsächlich Bewegung im wörtlichen Sinne braucht. Leider gab es inzwischen auch wieder eine Studie, die zum Schluss kam, dass Bewegung doch nicht so viel bringt wie erhofft. Fakt ist: Schaden tut sie todsicher nicht, nützen aber hoffentlich wohl!
Ähnlich wird es bei der Frage nach dem präventiven Charakter sein, ob Bewegung eine Demenz vielleicht sogar verhindern kann.
Zwingend verhindern sicher nicht, dafür gibt es zu viele Gegenbeispiele. Und es wäre deshalb auch fahrlässig, zu behaupten, wer Sport macht, kriegt sicher keine Demenz. Die meisten Studien sagen aber, dass Sport und Bewegung sehr wichtig sind und durchaus präventiven Charakter haben.
Hat der morgige Aktionstag der TSG Backnang 1846 im Bürgerhaus einen gewissen Pioniercharakter oder erleben Sie viele derartige Veranstaltungen?
Die ganz enge Verzahnung von Bewegung und Demenz gibt es leider sehr selten. Die Erkenntnis, dass Bewegung wichtig ist, war in den letzten Jahren ein neues, gutes und wichtiges Thema. Wir hatten in diesem Bereich auch schon eigene Projekte, aber es gibt keineswegs landauf, landab Veranstaltungen in diesem Kontext. Was uns freut, ist, dass immer mehr Vereine überlegen, ob sie hier ebenfalls aktiv werden sollen. Die TSG Backnang 1846 macht mit ihrem Aktionstag jedenfalls einen sehr guten, wichtigen Schritt und setzt ein deutliches Zeichen.
Sehen Sie den Demenzbereich auch als Chance für Vereine, neue Mitglieder zu gewinnen?
Vor allem als eine Chance, Menschen mit Demenz als Mitglieder zu behalten. Statt bei älteren Sportlern zu sagen, sie „bringen“ es einfach nicht mehr und ihr Wegbleiben schlicht hinzunehmen, sollten Vereine anders vorgehen. Menschen mit Demenz in einem frühen Stadium können noch sehr sportlich sein, brauchen aber ein wenig Begleitung und jemanden, der sie vielleicht anruft, erinnert oder abholt. Und spezifische Angebote für Menschen mit Demenz können Vereinen sogar neue Mitglieder bringen – nur muss klar sein, dass das eine spezielle Betreuung erfordert. Hierfür braucht es Zeit und Geduld und auch besondere Formate. Das tut sicher nur ein Verein, der damit verantwortlich umgeht, über ein gewisses Basiswissen verfügt und seine Leute schult – sonst geht da gar nichts.
Vorträge, Bewegungsangebote, Stadtspaziergang Info Seit 1994 ist der 21. September der Welt-Alzheimertag, an dem es vielfältige Aktivitäten gibt, um auf die Situation der Erkrankten und Angehörigen aufmerksam zu machen. Am morgigen Freitag ist die TSG Backnang 1846 mit einer Informationsveranstaltung im und rund ums Bürgerhaus mit dabei. Unter dem Motto „Backnang bewegt sich“, das der Verein für vielfältige Angebote kreiert hat, dreht sich alles um das Thema Demenz und Bewegung. Auftakt im Bürgerhaus ist um 11 Uhr, nach der Begrüßung hält Sylvia Kern einen Impulsvortrag mit der Überschrift: „Walter W. wird wunderlich“. Von 12 bis 17 Uhr gibt es Bewegungsangebote zum Mitmachen wie Tanzen macht schlau, Demenzparcours, Trommel dich fit und einige mehr. Zudem sind Vorträge zu Themen rund um die Demenz sowie zur Bedeutung von Bewegung vorgesehen. An Pflegekräfte richtet sich die Fortbildung in Form eines Vortrags von 12 bis 13.30 Uhr, der sich von 14 bis 15.30 Uhr wiederholt. Eine Besonderheit ist der „bewegte Stadtspaziergang“, der um 15 Uhr beim Bürgerhaus beginnt. Stadtführerin Judit RiedelOrlai referiert zu markanten Punkten in Backnang, parallel gibt’s für die Teilnehmer einfache Bewegungseinheiten. Eine Anmeldung ist erforderlich – entweder per E-Mail an claudia.krimmer@tsg-backnang.de oder vor Ort am TSG-Stand im Bürgerhaus.
Sylvia Kern