Schnelle Hilfe für Ukraineflüchtlinge
Der Rems-Murr-Kreis und seine angehörigen Kommunen bereiten sich auf die Ankunft geflüchteter Menschen aus der Ukraine vor und setzen dabei auch auf das Engagement aus der Bevölkerung. Daran mangelt es offenkundig nicht.

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Ein Herz für die Menschen aus der Ukraine, die in Not sind und ihr Land verlassen haben, das haben viele Menschen an Rems und Murr. Foto: T. Sellmaier
Von Bernhard Romanowski
Rems-Murr. „Wir wissen nicht, wie viele kommen. Das macht die Sache schwierig zu kalkulieren“, sagt Siegfried Janocha. Der Erste Bürgermeister der Stadt Backnang schildert die Lage in Backnang, nachdem die EU am Donnerstagabend die sogenannte Massenzustromrichtlinie beschlossen hat. Damit soll die Aufnahme geflüchteter Menschen aus der von Russland angegriffenen Ukraine unbürokratischer und schneller erfolgen. Bei der Backnanger Stadtverwaltung waren bis gestern rund 20 Menschen aus dem osteuropäischen Land offiziell registriert. „Es sind natürlich weit mehr, die allerdings privat untergekommen und uns somit nicht bekannt sind“, weiß Janocha. In Kürze wird die Stadtverwaltung einen Aufruf starten und die Bürger bitten, freien Wohnraum zu melden, den sie für die Unterbringung geflüchteter Menschen aus der Ukraine zur Verfügung stellen wollen. Dazu gab es bereits zahlreiche Angebote, wie Janocha erzählt. Für die künftige Entwicklung ist es nun wichtig, sich einen Überblick über die Unterbringungskapazitäten zu verschaffen. Im Rathaus wird deshalb gerade geprüft, welche Unterbringungen im Besitz der Stadt gerade vakant sind und zur Aufnahme der Flüchtenden aus der Ukraine genutzt werden können.
Den Vorstand des Vereins der Backnanger Naturfreunde hat das Thema Ukraine die vergangenen Tage auch umgetrieben. Nachdem man sich beraten hatte, wie man den Menschen aus dem Kriegsgebiet helfen könne, wurde am Donnerstag der Entschluss gefasst, das Naturfreundehaus Sechselberg, also die eigene Vereinsstätte, zur Unterbringung von Schutzsuchenden aus der Ukraine zur Verfügung zu stellen, wie Vorstandsmitglied Manfred Schiefer gestern mitteilte. „Wir würden unser Haus gerne für eine Aufnahme zur Verfügung stellen. Wir werden dazu direkten Kontakt mit Landrat Richard Sigel aufnehmen, um den Bedarf prüfen zu lassen“, berichtet Schiefer weiter. Das Haus werde derzeit nicht bewirtschaftet, deshalb gelte das Angebot der Naturfreunde für eine Art von Selbstbewirtschaftung, die vom Landkreis unterstützt werden müsste, so die Vorstellung der Naturfreunde.
Derzeit, so auch Janochas Einschätzung, handle es sich bei den Menschen, die aus der Ukraine nach Deutschland kommen, vorwiegend um Frauen mit Kindern und ältere Menschen, die im Westen Schutz suchen. Man geht davon aus, dass die Ukraineflüchtlinge keinen dauerhaften Aufenthalt anstreben, sondern wieder zurück in die Heimat wollen, wenn die Lage es dort zulässt.
Wann das sein wird, weiß derzeit aber niemand, somit ist man auch im Rathaus der Gemeinde Allmersbach im Tal vorerst auf Spekulationen angewiesen. Besondere Vorkehrungen wegen eines möglichen Andrangs an Ukraineflüchtlingen werden dort noch nicht getroffen. „Die Gemeinde Allmersbach im Tal trifft allgemein Vorkehrungen für die Unterbringung von Flüchtlingen, egal welcher Nation oder Herkunft. Ehrlicherweise müssen wir im Moment jedoch sagen, dass wir durch die Vermietung des Obergeschosses der Industriestraße 44 an den Kreis zum Zweck einer Gemeinschaftsunterkunft im Moment keine große Anzahl von freien Räumen haben, die wir zur Verfügung stellen könnten“, teilte Bürgermeisterin Patrizia Rall gestern mit.
Und wie sieht es mit Anfragen oder Angeboten aus der Bevölkerung aus, den Geflüchteten zu helfen oder Wohnraum zur Verfügung zu stellen? „Bei uns sind bisher zwei Mitteilungen von privaten Personen eingegangen, die Wohnraum zu Verfügung stellen möchten. Diese Anfragen koordinieren wir in Zusammenarbeit mit dem Kreis“, so die Allmersbacher Bürgermeisterin weiter und verweist für mögliche Angebote auf Hauptamtsleiterin Anna Seitz.
Darüber hinaus gibt es laut Patrizia Rall eine private Initiative eines Allmersbacher Bürgers, der aktiv den Menschen in der Ukraine helfen möchte. Wie die Bürgermeisterin es schildert, will der Mann am nächsten Wochenende nach Warschau und dann weiter an die polnisch-ukrainische Grenze fahren, um dort geflüchtete Menschen abzuholen und sie nach Baden-Württemberg zu bringen. Rall: „Wir vonseiten der Gemeinde unterstützen dieses Ehrenamt, indem wir für die Fahrt das Allmersbacher Bürgerbussle zur Verfügung stellen.“ In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Baden-Württemberg – eine Art Ankunftszentrum für alle Geflüchteten – sind Stand 3. März rund 300 ukrainische Flüchtlinge angekommen, erfährt man aus dem Landratsamt in Waiblingen. Noch sei der Zustrom von Ukraineflüchtlingen nach Baden-Württemberg also gering, aber die Zahlen werden sicher steigen, meint man im Kreishaus.
„Der Rems-Murr-Kreis ist gut vorbereitet und hatte bereits eine Unterkunftsplanung bis Jahresende fertig auf dem Tisch – diese wird jetzt hochskaliert“, teilt Pressesprecherin Leonie Graf mit. Es gebe bereits etablierte Strukturen und einen guten Austausch mit Kommunen und weiteren Beteiligten. Im Landratsamt sei zudem eine Task Force Flüchtlingsunterbringung ins Leben gerufen worden.
„Der Rems-Murr-Kreis und seine Städte und Gemeinden werden alles tun, um Menschen in Not aus der Ukraine zu helfen. Die Welle der Hilfsbereitschaft, die uns im Landratsamt erreicht, macht mir Hoffnung in dieser schweren Zeit“, sagt Landrat Richard Sigel. Das Landratsamt hat nun auf seiner Homepage eine zentrale Seite eingerichtet: Unter www.rems-murr-kreis.de/ukraine findet man in Frage-Antwort-Form alle wichtigen Infos zur Einreise, zur Unterbringung und zur Versorgung von Geflüchteten sowie zu den Themen Sozialleistungen oder auch Spenden und dergleichen. „Auch wer Wohnraum anbieten, sich ehrenamtlich engagieren oder als Dolmetscher zur Verfügung stellen möchte, findet dort Ansprechpartner. Die Seite wird in den nächsten Tagen immer weiter aktualisiert und ergänzt“, kündigt Leonie Graf namens der Kreisverwaltung an.
In Heidelberg, wo sich ein Ankunftszentrum für geflüchtete Menschen befindet, und in den Städten Sigmaringen, Ellwangen und Freiburg, die über Landeserstaufnahmeeinrichtungen verfügen, wurde nun angesichts des Kriegs in Osteuropa eine Entscheidung getroffen. Die Städte haben sich bereit erklärt, die bisher mit dem Land vereinbarten Kapazitätsgrenzen ihrer Erstaufnahmeeinrichtungen für die Zeit des Bedarfs zu erhöhen, wie die Ministerin der Justiz und für Migration, Marion Gentges (CDU), in einer Presseerklärung mitteilen lässt. Gentges hatte demzufolge in den vergangenen Tagen mit den Stadtspitzen von Heidelberg, Ellwangen, Sigmaringen und Freiburg Gespräche aufgenommen und darum gebeten, bei Bedarf die bisher vereinbarten Kapazitätsgrenzen überschreiten zu dürfen. Schließlich sei ein Anstieg von Flüchtenden aus der Ukraine zu erwarten. Dazu haben sich alle Städte bereit erklärt. „Sie helfen damit schnell und unbürokratisch, weitere Kapazitäten in der Landeserstaufnahme Baden-Württembergs einzurichten“, lobt die Justizministerin.

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Schutzregelung Wird die Richtlinie in Kraft gesetzt, so wie jetzt im Falle des Ukrainekriegs, gelten für die Geflüchteten besondere Schutzregelungen:
Personen mit vorübergehendem Aufenthaltsrecht dürfen selbstständig tätig sein sowie auch Erlaubnis für eine feste Beschäftigung beantragen.
Im Sinne der Schutzregel müssen sie nicht in Flüchtlingsunterkünften wohnen.
Sie erhalten eine soziale Absicherung in Form einer Krankenversicherung, die akute Gesundheitsrisiken abdeckt.
Der Schutz endet nach einem Jahr, kann aber mit erneutem Mehrheitsbeschluss des Europäischen Rats erst auf zwei, dann auf drei Jahre maximal verlängert werden.
Die Massenzustromrichtlinie bietet den geflüchteten Menschen eine kurzfristige gesicherte Aufnahme in einem EU-Staat mit gewissen Sonderrechten, stellt aber keine langfristige Bleibeperspektive dar.
Unabhängig von der europaweiten Schutzregelung können die Personen einen Antrag auf Asyl in einem EU-Mitgliedsstaat stellen.