Schock und Unverständnis nach Einmarsch
Nach dem Angriff der russischen Truppen auf die Ukraine sorgen sich Menschen hier aus der Region um ihre Freunde und Angehörigen vor Ort. Die Bedrückung ist groß, die Kontaktaufnahme zu Bekannten in den umkämpften Gebieten erweist sich zum Teil als schwierig.

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In Berlin finden nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bereits Demonstrationen statt. Auch hier in der Region ansässige Ukrainer berichten von der Solidarität ihrer deutschen Freunde. Symbolfoto: F. Gaertner/Imago
Von Kristin Doberer
Murrhardt/Kirchberg an der Murr. Bedrückend, schockiert, fassungslos. So beschreiben auch Menschen aus der Region, die Freunde und Familie in der Ukraine haben, die Ereignisse, die sich seit der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag abgespielt haben. Die russische Armee hat am frühen Donnerstagmorgen damit begonnen, die Ukraine militärisch anzugreifen.
„Sprachlos“, sagt Natalja Wohnhaas, die aus einem zentral in der Ukraine gelegenen Ort in der Nähe von Kiew stammt und seit rund 20 Jahren in Kirchberg an der Murr wohnt. „Mir fehlen die Worte.“ Sie sorgt sich nun besonders um ihre Familie, ihre Geschwister und Neffen leben immer noch in der Nähe von Kiew, und sie sorgt sich um viele Freunde. Gestern habe sie schon sehr früh erfahren, dass einige der Orte in dieser Gegend bereits evakuiert werden. „Ich hatte in den vergangenen Tagen viel Kontakt zu Freunden, manche hatten schon einen Rucksack mit Wasser, Essen und den wichtigsten Dokumenten gepackt“, erzählt sie. Viele ihrer Bekannten, zumindest die, die zentral in der Ukraine leben, seien in den vergangenen Tagen aber gleichzeitig auch optimistisch gewesen. „Viele dort haben noch immer geglaubt und gehofft, dass sich das diplomatisch lösen lässt.“ Erst am Donnerstag sei ihnen das Ausmaß dann richtig bewusst geworden.
„Wir sind für die Russen doch gar keine Gefahr“
„Enttäuscht“, sagt die gebürtige Ukrainerin auch noch zu der Situation. „Ich bin enttäuscht vom russischen Volk. Warum geht in Russland niemand auf die Straße und protestiert? Wir sind für die Russen doch gar keine Gefahr“, meint Wohnhaas. Die Ukrainer seien ein friedliches und zurückhaltendes Volk, das für Europäer und Russen immer offen gewesen und an Freundschaft mit allen interessiert gewesen sei. Sie könne nicht nachvollziehen, wie das nun passieren kann.
Viele persönliche Bekannte in der Ostukraine hat auch der Murrhardter Historiker Christian Schweizer. Er war lange Vorstand eines Freundschaftsvereins, dessen Mitglieder sich um Kontakte zu der Stadt Tschugujew – nicht weit entfernt von der Großstadt Charkiew, aber auch relativ nah an der russischen Grenze – bemüht haben. Schon Donnerstagmorgen habe er ein Video von Freunden bekommen. Darauf zu sehen sind Rauchsäulen, die vom in Flammen stehenden Flughafen in Tschugujew aufsteigen. „Das war wohl eines der ersten Ziele“, meint Schweizer. Die Stadt sei eine der größeren Garnisonsstädte mit einem Militärflugplatz. Schweizer kennt die Stadt gut, mit Mitgliedern des Freundschaftsvereins und privat war er schon mehrmals dort zu Besuch. Sie nun unter Beschuss zu sehen, sei schwer. Die Luftwaffenkasernen seien wohl zerstört worden, auch das Rathaus habe Treffer abbekommen, erzählt er. Bis vor Kurzem sei der Kontakt zu Freunden dort aktiv gewesen, nun sei das aber schwer. „Die russische Armee nimmt die Stadt gerade ein. Leider kann ich keinen Kontakt mehr bekommen“, sagt er.
Von seinen Bekannten in der Ostukraine sei die Stimmung in letzter Zeit als sehr unterschiedlich beschrieben worden. Zum einen gebe es ethnische Russen, die hinter der Ukraine stünden, zum anderen sei ein Großteil der russischen Bevölkerung aber auch überzeugt vom russischen Vorgehen, erklärt Schweizer. Über die Jahre hat er als Vorsitzender des Freundschaftsvereins auch immer wieder Vorträge zur Historie, zur aktuellen Lage in der Ukraine und dem Konflikt mit Russland gehalten. „Das hat sich über Jahre und Jahrzehnte immer weiter hochgeschaukelt.“
Der Freundschaftsverein wurde im Herbst 2008 gegründet, Ziel war der freundschaftliche Austausch von Bürgern der Stadt Tschugujew und dem daneben liegenden Ort Malinowka mit den Murrhardtern. Eine Städtepartnerschaft wurde anvisiert, kam aber nie zustande. „Dafür haben sich zu wenige interessiert“, erklärt Schweizer. Auch der Freundschaftsverein sei in den vergangenen Jahren etwas eingeschlafen, er persönlich habe aber weiter Freundschaften und Kontakte in die Region gepflegt.
Auf Fluchtbewegung nach Deutschland vorbereiten und Betroffene unterstützen
Auch Murrhardts Bürgermeister Armin Mößner war durch die Bemühungen des Vereins vor einigen Jahren zu Besuch in der ostukrainischen Stadt, über soziale Medien sei man jetzt immer noch in losem Kontakt mit den Leuten dort gewesen. „Was da gerade passiert, macht einen bedrückt und fassungslos“, sagt der Rathauschef.
Christian Schweizer will mit dem Freundeskreis nun wieder aktiver werden. „Wenn es Fluchtbewegungen nach Deutschland gibt, wollen wir die Leute unterstützen.“ Dass nun einige Ukrainer nach Deutschland fliehen werden, da ist er sich ziemlich sicher. Viele, so Schweizer, sprechen relativ gutes Deutsch und es gebe viele Kontakte nach Deutschland.
Wie es nun in ihrem Heimatland weitergehen soll, weiß Natalja Wohnhaas nicht. Ihre Befürchtung ist, dass der russische Einmarsch nicht nur für die Ukrainer eine Bedrohung bleiben könnte. Sie hofft nun auf starke Sanktionen der Politik gegen Russland, auch wenn dadurch Preise steigen könnten. Hier war sie angenehm überrascht von der Solidarität ihrer deutschen Freunde. „Ich habe viele Anrufe bekommen“, erzählt sie. „Viele sind mit Russlands Politik nicht einverstanden und verstehen, dass der Gaspreis durch Sanktionen teurer wird.“
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