Vogelgrippe-Virus

Schon eine Mutation reicht für Mensch-zu-Mensch Übertragungen

Schon eine einzige Mutation im Erbgut des Vogelgrippe-Virus H5N1 könnte dem Erreger den Artsprung auf uns Menschen ermöglichen. In Kombination mit wenigen weiteren Mutationen könnte dann auch eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich werden.

Experten halten den Befall von Rindern durch H5N1 für besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehrt, die vom Menschen genutzt werden.

© Imago/Bihlmayerfotografie

Experten halten den Befall von Rindern durch H5N1 für besorgniserregend, weil sich das Virus in einer großen Population von Säugetieren vermehrt, die vom Menschen genutzt werden.

Von Markus Brauer

Die Vogelgrippe breitet sich in den USA bei Milchkühen weiter aus. Seit den ersten Nachweisen im März dieses Jahres sind Hunderte Fälle registriert worden, bei denen sich Rinder mit einer Variante des Vogelgrippevirus H5N1 infiziert haben. Auch Dutzende Menschen haben sich bei engem Kontakt mit den Kühen oder mit erkrankten Vögeln bereits angesteckt.

„Es ist nicht zum Stehen gebracht worden“

Während dieses Virus für Vögel und einige Meeressäuger oft tödlich ist, verursacht es bei Menschen jedoch bisher nur leichte Krankheitssymptome. Nur ein Jugendlicher in Kanada erkrankte bislang schwer. „Es ist nicht zum Stehen gebracht worden“, konstatiert der Vizepräsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) auf der Insel Riems bei Greifswald (Mecklenburg-Vorpommern), Martin Beer.

„In den USA gibt es etwa 25.000 Milchviehbetriebe, und ich weiß nicht, wie viele bisher überhaupt untersucht wurden. Aber wahrscheinlich nur ein Bruchteil.“ Im US-Bundesstaat Colorado, wo flächendeckend untersucht werde, seien von weniger als 300 Betrieben etwa 60 betroffen.

Was bedeutet der Sprung von H5N1 auf Rinder?

Das Virus H5N1 kursiert seit Jahrzehnten verstärkt unter Vögeln – zunächst in Asien, inzwischen nahezu weltweit. Wasserbüffel oder andere Rinder-Arten habe es in all den Jahren nie befallen, erklärt Beer. 2021 gelang dem Erreger der Sprung nach Nordamerika, und plötzlich, erstmals wohl im Herbst 2023, erkrankten Kühe. Forscher sind überrascht und zunehmend besorgt.

Weltweit werden 1,5 Milliarden Rinder gehalten, wie Beer berichtet. Entstünde aus H5N1 eine neue, global auftretende Rinder-Grippe, stiege auch das Risiko für andere Nutztiere. Etwa, wenn verunreinigte Rohmilch an Schweine verfüttert wird.

Hinzu kommt: Ein Säugetier ist dem Menschen biologisch näher als ein Vogel. Das Zoonose-Risiko – also das Risiko für einen Übergang vom Tier auf den Menschen – kann abhängig von den erfolgten Anpassungen größer sein, wie Beer erklärt.

Um was für ein Virus geht es?

H5N1 ist ein Influenza-A-Virus wie die beim Menschen kursierenden Erreger der saisonalen Grippe. H und N bezeichnen zwei Eiweiße der Virushülle: Hämagglutinin und Neuraminidase. Sie kommen jeweils in verschiedenen Subtypen vor (H1 bis H16 und N1 bis N9). Der Name H5N1 bedeutet also die Kombination der Eiweiße H5 und N1 auf der Oberfläche der Variante.

Verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche

Seit 1997 werden verstärkt auf H5N1 zurückgehende Ausbrüche erfasst, wie FLI-Experte Beer erläutert. Seit 2016 breite sich eine Untervariante des Erregers aus – die sogenannte Klade 2.3.4.4b. Folge waren verheerende Vogelgrippe-Ausbrüche in inzwischen fast allen Teilen der Welt bei Wildvögeln, auch Geflügel und - seltener - Säugetiere wie Meeressäuger, Nerze, Füchse und Bären waren betroffen. Verschont blieb bisher nur Australien.

  • Zur Info: Eine Klade (von altgriechisch: kládos, Zweig) – auch Monophylum, monophyletische Gruppe oder geschlossene Abstammungsgemeinschaft genannt – ist in der Biologie eine systematische Einheit, die den letzten gemeinsamen Vorfahren und alle seine Nachfahren enthält.

Wie groß ist die Gefahr einer Pandemie?

Noch gibt es auch keine Belege dafür, dass das H5N1-Virus von Mensch zu Mensch übertragen werden kann. Dennoch gilt diese Variante des Influenzavirus H5N1 als potenzielle Gefahr und als möglicher Kandidat für eine nächste Grippe-Pandemie. Denn durch Mutationen im Erbgut könnte der Erreger diesen letzten Schritt zum Artsprung auf den Menschen überwinden. Doch wie groß ist diese Gefahr?

Warum die Bindungsstelle so wichtig ist

Entscheidend wäre eine Veränderung des Proteins, mit dem sich das Grippevirus an seine Wirtszellen anheftet, um anschließend in sie einzudringen,. Dieses Protein namens Hämagglutinin bindet an Rezeptoren auf der Oberfläche der Wirtszellen, die sich je nach Tier geringfügig unterscheiden.

Würde sich das Virus so verändern, dass es vornehmlich menschliche Rezeptoren statt Vogel-Rezeptoren nutzt, könnte dies eine Ansteckung von Mensch zu Mensch ermöglichen. „Die Rezeptorbindung ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Übertragbarkeit“, erklärt Ian Wilson vom Scripps Research Institute in La Jolla.

Bindung an menschliche Rezeptoren

In der Vergangenheit haben schon mehrere Vogel-Viren diesen Schritt geschafft. Für eine Infektion und Übertragung zwischen Menschen, waren dabei allerdings mindestens drei Mutationen im Hämagglutinin-Protein – Hämagglutinin (HA) ist ein Protein des Influenzavirus A – des Virus erforderlich.

Ein Team um Wilson und Ting-Hui Lin vom Scripps Research Institute in La Jolla (US-Bundesstaat Kalifornien) hat nun untersucht, wie groß der Einfluss dieser Mutationen jeweils auf die Rezeptorbindung des aktuellen H5N1-Virustyps wäre. Ihre Studie ist im Fachmagazin „Science“ erschienen.

A single mutation in bovine influenza H5N1 hemagglutinin switches specificity to human receptorshttps://t.co/uJld464gl1@ScienceMagazinepic.twitter.com/iVavxPM5T2 — Waggoner Lab (@LabWaggoner) December 6, 2024

Schon eine Mutation erleichtert Ansteckung

Dafür führten die Forscher mehrere dieser Mutationen in das Hämagglutinin-Protein des H5N1-Virus der Klade 2.3.4.4b ein, die aktuell in Milchkühen in den USA kursiert, und untersuchten in verschiedenen Bindungstests, wie gut sich das Protein dann an menschliche Rezeptoren anheftet.

Es zeigte sich, dass schon eine einzige der untersuchten Mutationen – Q226L – die Bindung des H5N1-Virus an menschliche Rezeptoren erheblich verbessert. Das Hämagglutinin-Protein erkennt Vogel-Rezeptoren dann nicht mehr, dafür menschliche Rezeptoren umso besser.

„Unsere Experimente zeigten, dass die Q226L-Mutation die Fähigkeit des Virus, Rezeptoren vom menschlichen Typ anzugreifen und an diese zu binden, signifikant erhöhen könnte. Diese Mutation gibt dem Virus einen Halt auf menschlichen Zellen, den es vorher nicht hatte“, erläutert James Paulson vom Scripps Research Institute. Verstärkt wird der Effekt, wenn zusätzlich eine zweite Mutation vorkommt: N224K.

Für eine Pandemie wären weitere Mutationen nötig

„Die Ergebnisse zeigen, wie leicht sich dieses Virus entwickeln könnte, um Rezeptoren vom Typ Mensch zu erkennen“, unterstreicht Lin. Bisher wurden die dafür nötigen Mutationen nur im Labor erzeugt. Doch sie könnten auch auf natürlichem Wege auftreten, wenn sich das Virus-Erbgut verändert.

Das bedeutet: Die aktuell kursierende Variante der H5N1-Vogelgrippe könnte schon mit einer einzigen Mutation für Menschen erheblich gefährlicher, wie die Forscher resümieren. Weitere Mutationen würden die Gefahr erheblich verstärken.

„Unsere Studie deutet jedoch nicht darauf hin, dass eine solche Evolution stattgefunden hat oder dass das aktuelle H5N1-Virus mit allein dieser Mutation zwischen Menschen übertragbar wäre”, berichtet Lin. Demzufolge ist die Anpassung an den Menschen bislang noch nicht erfolgt.

Engmaschige Überwachung nötig

„In der Grippesaison könnte eine Co-Infektion mit saisonalen Grippeviren zu einer Neusortierung der Vogelgrippeviren in Kühen oder Menschen und zur Entstehung eines Hybrid-Virus führen, der besser an Infektionen beim Menschen angepasst ist“, schreiben die Forscher. Dieser Hybrid-Virus würde die Eigenschaften mehrerer Virenstämme in sich vereinen und wäre potenziell ansteckender und gefährlicher.

„Die kontinuierliche Verfolgung genetischer Veränderungen, sobald sie stattfinden, wird uns einen Vorteil bei der Vorbereitung auf Anzeichen einer erhöhten Übertragbarkeit verschaffen“, betont Wilson.

Einzelfall aus Kanada bestätigt Befunde

Der jüngste Fall einer Infektion aus Kanada zeigt die Dringlichkeit von präventiven Maßnahmen. „Bei einem HPAIV-H5N1-Geflügelvirus der Klade 2.3.4.4b (Genotyp D1.1) sind in Kanada bei einem schwer erkrankten Jugendlichen nun ähnliche Anpassungen im Hämagglutinin berichtet worden“, berichtet der Virologe Martin Beer. Das Virus weise in diesem Fall drei Mutationen auf, habe sich aber dennoch nicht auf weitere Menschen ausgebreitet.

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Erstellt:
7. Dezember 2024, 11:34 Uhr
Aktualisiert:
7. Dezember 2024, 17:25 Uhr

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