Seit 100 Jahren in Weissach im Tal Freude am Singen
Am 21. Mai 1923 haben 32 Sangesfreunde, zumeist Bauern und Handwerker, die Sängerlust Oberweissach ins Leben gerufen. Während des Zweiten Weltkriegs ruhte die Chortätigkeit. Ab 1954 durften auch Frauen mitsingen. Dieses Jahr feiert der Chor sein 100-Jahr-Jubiläum.
Von Armin Fechter
Weissach im Tal. Freude am Singen steht bei der Sängerlust im Mittelpunkt. Immer dienstagabends von 20 bis 22 Uhr trifft sich der gemischte Chor in der Bürgerbegegnungsstätte in Oberweissach zur Singstunde. Wer mitmachen möchte, braucht nicht vorzusingen und muss auch keine Notenkenntnisse mitbringen – nötig ist nur Spaß am Gesang, wie das dreiköpfige Vorstandsteam Birgit Blatt, Melanie Besserer und Elvira Schlenker zusammen mit Schriftführer Reinhold Sailer unterstreicht.
Den Ton gibt dabei seit 25 Jahren Helene Kukuschkin an. Die Dirigentin war seinerzeit – die große Jubiläumsfeier zum 75-jährigen Bestehen stand bevor – die Retterin in der Not, nachdem ihr Vorgänger Knall auf Fall aufgeben musste. Sie selbst hatte als einfaches Chormitglied zwar nie an so eine Aufgabe gedacht, sie hatte aber einen Vizedirigentenkurs absolviert, und alle waren sich einig, dass Kukuschkin prädestiniert dafür sei – zumal sie auch Klavier spielte und Privatunterricht gab. Vor ihrer Ankunft in Deutschland 1989 hatte sie außerdem an der Hochschule von Duschanbe in Tadschikistan ein Musikdiplom erworben.
Kurz darauf folgte die erste Bewährungsprobe – bei einer Beerdigung. „Solche Sachen vergisst man nie“, sagt sie. Der volle Fokus galt damals allerdings dem Jubiläumskonzert, zu dem sich die Sängerlust mit den Gleichgesinnten eines A-cappella-Kirchenchors aus Marly, Weissachs französischer Partnerstadt, zusammengetan hatte. „Es war überwältigend“, schildert Kukuschkin: 80 Sängerinnen und Sänger intonierten 1998 gemeinsam in der Dreifaltigkeitskirche in Unterweissach Mozarts „Ave verum corpus“. Auch jetzt wieder zum Jubiläumskonzert gab es ein besonderes Programm mit der Vater-unser-Messe von Lorenz Maierhofer, instrumental begleitet von der Stubenmusik Althütte unter Leitung von Isolde Heim, sowie internationalen Weihnachtsliedern. Nicht nur das: Das Wiegenlied „Baby in a Manger“ bot auch die Gelegenheit, einen eigenen Frauenchor zu formieren.
Der Beitrag kostete eine Milliarde Mark
Dabei war der Verein einst eine reine Männersache. 50 Unterzeichner hatten sich bei einer Abfrage im Dorf für die Gründung ausgesprochen – keine fünf Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs. 32 Sangesfreunde, zumeist Bauern und Handwerker, riefen bei der Gründungsversammlung am 21. Mai 1923 im ehemaligen Gasthaus Ochsen die Sängerlust ins Leben. Nur acht Tage später fand die erste Singstunde statt.
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Das größte Problem für den jungen Verein waren die Finanzen: Es herrschte Inflation. Laufend wurden die Mitglieder zu Versammlungen einberufen, um Eintrittspreise in den Verein und Beitragssätze neu festzulegen. Lag etwa der Beitrag im Mai 1923 noch bei 300 Mark, so kletterte er bis Oktober gar auf 40 Millionen Mark. Zuletzt erreichte die Beitrittsgebühr gar die Summe von einer Milliarde Mark. Auch die Entlohnung des Dirigenten bereitete Schwierigkeiten. Bald stieg man auf ein Honorar in Naturalien um: pro Singstunde zwei Eier. Schwindelerregende Einnahmen erzielte der Verein bei seiner ersten Veranstaltung, einem „Unterhaltungsabend“, am 28. Oktober 1923, wenige Wochen vor der Währungsreform: satte 188,5 Milliarden Mark. Über das Programm und die Resonanz im Publikum ist hingegen nichts überliefert.
Rigorose Entscheidungen fällten die Mitglieder bei der ersten Generalversammlung 1924. Wer künftigen Jahresversammlungen „ohne genügende Entschuldigung fernbleibt“, wurde mit Vereinsausschluss bedroht. Und wer die Singstunde schwänzte, musste eine Strafe von 50 Pfennig zahlen, im Wiederholungsfall eine Mark – bei erneutem Fehlen sollte der Ausschluss folgen. 1933, beim Zehn-Jahr-Stiftungsfest, konnte der Verein zugleich Fahnenweihe feiern. Auf der Vereinsfahne steht der Wahlspruch: „In Freud und Leid zum Lied bereit“. Kein Gesang erklang allerdings ab 1939: Kriegsbedingt ruhte die Vereinstätigkeit. Erst 1949 wurde die Sängerlust wieder gegründet und ab 1954 wurden auch Frauen zugelassen und der Männerchor wurde in einen gemischten Chor umgewandelt. Das zog dann auch viele jüngere Interessierte an.
Ein wichtiger Schritt in der Vereinsgeschichte folgte 1999 mit der – inzwischen wieder eingestellten – Kooperation Schule–Verein: Die Kammerhofspatzen wurden gegründet und mit großem Erfolg Musicals wie etwa „Die Reise nach Panama“ nach Janosch-Motiven aufgeführt. Einer der damaligen Akteure – Philip Rakoczy – studiert inzwischen in Hamburg Musicaldarsteller.
Nächste Programmpunkte sind an diesem Wochenende das Singen unterm Weihnachtsbaum in Bruch und die Eröffnung des Weissacher Weihnachtsmarkts. Zur Tradition gehören ferner das Bänklesfest am 1. Mai und die Jahreskonzerte, bei denen meist auch externe Künstler auftreten, vom Dudelsackspieler bis zur Rock-Formation.
Mitsingen Wer Lust hat, mitzusingen, meldet sich bei Chorleiterin Helene Kukuschkin unter Telefon 07191/56840 oder per E-Mail an saengerlust.oberweissach@arcor.de. Mehr Infos findet man unter www.facebook.com/Saengerlust.Oberweissach.