Signal in die Rotlichtszene

Lange Haftstrafen für Paradise-Bordellbetreiber

Prozess - Menschenhandel, Zuhälterei, Betrug: Nach knapp einem Jahr ist der Prozess gegen den Chef des Bordells Paradise und zwei Mitangeklagte zu Ende. Mit seinem Urteil betritt das Landgericht Neuland.

Stuttgart Sie wissen, was ihnen blüht, als sie den Gerichtssaal betreten: Jürgen Rudloff,einst als Erneuerer der Bordellszene angetreten,wandert für fünf Jahre hinter Gitter, sein Marketingchef muss für drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis, sein Steuerberater kommt mit 16 Monaten zur Bewährung davon. Überraschend kommt das nicht, aber die Urteile gegen Rudloff und den Marketingmann lassen aufhorchen.

Der 65-Jährige und sein 52 Jahre alter Mitarbeiter wurden unter anderem der Beihilfe zum schweren Menschenhandel und der Beihilfe zur Zuhälterei für schuldig befunden – obwohl sie nicht selbst für Frauennachschub im 2008 eröffneten Großbordell Paradise in Leinfelden-Echterdingen gesorgt hatten. Die Angeklagten hatten den Prostituierten lediglich die Plattform für ihre Liebesdienste geboten. Dennoch sendet das Gericht mit seinem Urteil ein starkes Signal in die Rotlichtszene.

Rückblende: Am Abend des 18. Dezember 2014 ist ein Mitglied der Hells Angels aus Villingen-Schwenningen auf dem Weg zu einem Treffen der Rockergruppe in Sachsen-Anhalt. Auf dem Beifahrersitz befindet sich, nur mit einem Pyjama gekleidet, eine junge Frau. Der Hells-Angels-Mann ist ihr Zuhälter. Bei Magdeburg gerät der Wagen in eine Polizeikontrolle. Die 22-Jährige flüstert einem Polizisten zu: „Bitte holen Sie mich hier raus.“ Die Beamten nehmen sie mit aufs Revier. Später wird die Frau von den Quälereien ihres Zuhälters berichten und davon, dass ihr regelmäßig der komplette Dirnenlohn abgenommen wurde. „Ich hatte am Ende nichts außer meinem Schlafanzug und einer Schachtel Zigaretten“, erzählt die junge Frau, die im Paradise gearbeitet hatte.

Eine andere Prostituierte sagte aus, sie habe lernen müssen zu funktionieren, „wie ein Roboter“. Ihr Zuhälter von der Straßengang United Tribuns und seine Kollegen würden sich verhalten „wie die Tiere“.

Was das mit Jürgen Rudloff zu tun hat? Mit jenem smarten Mann, der sich in unge­zählten Talkshows und in anderen Medien als Ideengeber für saubere, humane ­Prostitution feiern lassen wollte? Der im ­Paradise, dieser Wellnessoase für Männer auf den ­Fildern, Partner, ja Freund der Sexarbeiterinnen sein wollte, und der ihnen ­gynäkologische Betreuung und sogar die Möglichkeit zur Altersvorsorge versprach? Rainer Gless, der Vorsitzende Richter der 7. Strafkammer, spricht Rudloff nicht ab, dass er dieses neue Puffmodell tatsächlich habe verwirklichen wollen. „Letztendlich war es illusorisch“, so Gless.

Im Paradise mussten Freier, aber auch die Prostituierten Eintritt zahlen: die Männer 79 Euro, die Frauen zuerst 60, später nur noch sechs Euro. Rudloff, Michael B. und der bereits zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilte Ex-Geschäftsführer boten das Umfeld für die Sexarbeit. Bald war klar, dass die Angeklagten nicht für die Mindestbesetzung von 60 Liebesdienerinnen pro Tag sorgen konnten. Spätestens jetzt folgt der Sündenfall des Jürgen Rudloff. Und nun wird sichtbar, was der 65-Jährige mit dem Mädchen im Schlafanzug zu tun hat.

Schon kurz nach der Eröffnung des Filder-Puffs 2008, bei der sich Politik, Promis und Geschäftswelt tummelten, trug Rudloff den Hells Angels aus Reutlingen den Sicherheitsdienst im Paradise an. Später stießen die United Tribuns dazu. Der bestens vernetzte Rudloff, auf Du und Du mit Fußballprofis, Trainern, Managern, Geschäftsleuten und diversen Prominenten, ließ die Rocker die Frauen fürs Paradise rekrutieren. „Er hatte Geister gerufen, die er nicht mehr loswurde“, sagt der Richter.

Sowohl der Oberstaatsanwalt wie am Mittwoch auch das Gericht betonten, dass Rudloff und Michael B. keine konkrete Kenntnis vom Leidensweg etlicher im Paradise anschaffender Frauen gehabt hätten. Deshalb wurden sie auch nur wegen Beihilfe zum Menschenhandel und zur Zuhälterei verurteilt. „Sie kannten aber die Gefahr für die Frauen und billigten sie für den wirtschaftlichen Erfolg“, so Richter Gless.

Im fast ein Jahr währenden Prozess kam nur ein Ausschnitt dieser Gefahr zum Vorschein. Konkret wurden 17 junge Frauen in der Anklage aufgelistet. Sie mussten bis zu 16 Stunden pro Tag auch dann Freier bedienen, wenn sie krank waren, mussten sich den Namen ihres Zuhälters auf Bauch, Schenkel oder Arm tätowieren lassen, im Milieu Nuttenstempel­ genannt, mussten so gut wie alles Geld abgeben, was ihnen die wirtschaftliche Bewegungsfreiheit nahm. Sie wurden bedroht („Kiefer brechen, Gesicht zerschneiden, deiner Mutter passiert was Schlimmes“), blutig geprügelt, selbst nachts auf freiem Feld, und letztlich nicht anders gehalten wie Sklavinnen. „Das Leben im Paradise war für die Frauen alles andere als paradiesisch“, sagt der Vorsitzende Richter.Mehrere dieser Zuhälter und deren „Hauptfrauen“, die die jungen Mädchen kontrollierten, sind bereits zu Haftstrafen verurteilt worden.

Rudloff hatte in seinem Geständnis gesagt, er habe anderen die Arbeit mit den Frauen überlassen, um sich nicht selbst die Finger schmutzig machen. „Das muss ich mir vorwerfen lassen“, sagt der mehrfach vorbestrafte Mann, der bis 1983 wegen Raubs sieben Jahre im Gefängnis saß.

In einem zweiten Komplex befand die 7. Strafkammer des Landgerichts Rudloff und Marketingmann Michael B. zudem des Betrugs, den Steuerberater der Beihilfe für schuldig. Schon allein dieser Komplex im Paradise-Verfahren, ein Millionenbetrug, hätte genügend Stoff für einen eigenen Prozess hergegeben. Doch auch diesen Teil bewältigte die Strafkammer nach Vorarbeit des Landeskriminalamts und der Staatsanwaltschaft Stuttgart.

Rudloff, immer bereit, am großen Rad zu drehen, wollte in Graz und in Saarbrücken ebensolche Etablissements wie das Paradise eröffnen. Den Investitionsbedarf deckte er mit eingeworbenem Geld, wobei er sich die „Profitgier wohlhabender Geldgeber“zunutze machte, so der Richter. In Leinfelden-Echterdingen hatte dies noch geklappt, in Graz und Saarbrücken konnten die Gewinne und somit die versprochenen Renditen von Anfang an nicht erwirtschaftet werden.

Businesspläne wurden geschönt, an Unterlagen wurde herumgedoktert, bis die Geldgeber ihre Schatullen öffneten. Darunter war auch die Weber Management GmbH. Willi Weber, einst Manager des Formel-1-Weltmeisters Michael Schumacher, ist Rudloff seit Jahren freundschaftlich verbunden. Weber investierte beispielsweise 500 000 Euro in das von Beginn an erfolglose Bordell in Saarbrücken.

Insgesamt hatten vor allem Rudloff, aber auch Michael B. mithilfe des Steuerberaters mehrere Millionen Euro eingeworben. Nur ein Teil wurde bis dato zurückbezahlt – auch, weil Rudloff viel Geld für sein exklusives Privatleben abgezweigt haben soll. Der Richter spricht unter anderem von „kostspieligen Frauenbekanntschaften“. Das Gericht geht von einem Schaden von 1,3 Millionen Euro aus. Dieser Betrag wird als sogenannter Tatertrag von der Justiz bei Jürgen Rudloff eingezogen.

Jürgen Rudloff hat sich am Ende bei den gepeinigten Frauen entschuldigt und sein Bedauern bezeugt. „Es ist aber möglich, dass sich der Angeklagte nur selbst leidtut“, sagt Vorsitzender Richter Gless.https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.bordellchef-vor-gericht-wenn-das-paradise-die-hoelle-ist.a00ac43e-8fb3-48c4-886d-843f25228353.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.bordell-chef-vor-gericht-das-maerchen-vom-sex-im-paradies.91660758-a800-4df2-8792-5034dd5ebd45.htmlhttps://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.paradise-prozess-in-stuttgart-willi-weber-aus-gier-geld-fuer-bordell-verliehen.48f6d670-269f-48f6-b037-b3d6d75a0665.html

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Erstellt:
28. Februar 2019, 05:06 Uhr

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