Sondierung: Die Annäherungsversuche der Ampel-Aspiranten
dpa/lsw Stuttgart. Die Stuttgarter Sondierungsgespräche steuern auf den Endspurt zu. Manche Verhandler versprühen dabei mehr Euphorie als andere.

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen), Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Foto: Marijan Murat/dpa
Andreas Stoch trägt die Euphorie nicht nur im Gesicht, sondern auch auf dem Arm. Als der SPD-Landeschef Donnerstagmittag vor die Kameras tritt, nach einem zweistündigen Gespräch mit den Grünen über die Bildung einer Ampelkoalition, da hält er seinen Sprechzettel für die Verhandlungen für einen kurzen Augenblick so vor der Brust, dass man einen Blick erhaschen kann. Und selbst sein Sprechzettel versprüht Zuversicht. „Manchmal wird die Frage nach dem WIE sondiert und manchmal die Frage, OB überhaupt“, steht da auf dem weißen Papier. „WIR sind mir den Grünen sicher eher beim WIE, manchmal sogar schon beim WIE GENAU.“
Sondierungen sind so eine Sache. Parteivertreter beschnuppern sich im Hinterzimmer, um auszuloten, ob man zusammen regieren kann. Es geht um viel, aber die Politiker dürfen eigentlich über nichts reden - zumindest bei den Stuttgarter Gesprächen ist das so. Die Journalisten warten vor den Türen und versuchen jede Gesichtszuckung der Verhandler zu deuten mit Blick auf die alles entscheidende Frage: Welche Koalition wird es wohl? Ampel oder Kiwi?
Wahlsieger Winfried Kretschmann und seine Grünen können frei wählen zwischen einer Neuauflage von Grün-Schwarz und einer Ampelkoalition mit SPD und FDP. Am Mittwoch sprachen die Südwest-Grünen mit der FDP, am Donnerstag jeweils mit SPD und CDU. Alle wollen mit Kretschmann. In der zweiten Runde der Gespräche ist bei den liberalen und sozialdemokratischen Ampel-Aspiranten zumindest vor den Türen mehr Euphorie zu spüren als bei der CDU.
FDP-Landeschef Michael Theurer nennt die Atmosphäre nach dem Treffen am Mittwoch „außerordentlich positiv“. Man sei sich „menschlich im Austausch“ näher gekommen. SPD-Parteichef Stoch spricht am Donnerstag von einer sehr guten Stimmung. Es sei auch gelacht worden. Inhaltlich gehe es darum, ob das Gerüst der Gemeinsamkeiten tragfähig sei. „Aus meiner Sicht stellt sich das sehr positiv dar.“
Und die CDU? Die wirkt im Gegensatz etwas getrieben auf dem Weg in die Gespräche, versucht wie bereits in der ersten Sondierungsrunde den lästigen Journalistenfragen aus dem Weg zu gehen. CDU-Landeschef Thomas Strobl, für den es nicht nur um eine mögliche Regierungsbeteiligung, sondern auch um die eigene politische Zukunft geht, lässt sich kurz vor der Drehtür des Hauses der Architekten lediglich zu einem „Lassen sie die Sonne in ihr Herz scheinen“ hinreißen. Sonst Schweigen im Walde.
Denn Kretschmann hatte um striktes Stillschweigen bei den Verhandlungen gebeten. Ist da die Angst vor der Opposition der Grund für den selbstgeschnürten Maulkorb? Sozialdemokraten wie Liberale wirken da selbstbewusster. Bei aller Euphorie betonen sie in Runde zwei, dass sie sehr wohl auch in die Opposition gehen könnten, wenn man bei den Inhalten nicht zusammenkäme. „Ich spüre überhaupt keinen Druck“, sagt Stoch.
Die CDU hingegen will nach dem Debakel bei der Landtagswahl die grün-schwarze Koalition unbedingt fortsetzen, um nicht mit der AfD in der Opposition zu landen. Wie weit kommen sie Kretschmann entgegen? Die inhaltlichen Hürden wirken nicht unüberwindbar. Grünen-Fraktionschef Andreas Schwarz postuliert am Donnerstag drei Bedingungen für eine Neuauflage der grün-schwarzen Koalition an die CDU. „Mitbringen muss sie ein klares Bekenntnis zum Klimaschutz, wie wir Baden-Württemberg klimaneutral machen; auch ein klares Bekenntnis dazu, dass wir das Landtagswahlrecht ändern, dass wir für eine starke Demokratie sorgen - und Stabilität und Verlässlichkeit, dass wir fünf Jahre gut und verlässlich miteinander regieren können“, sagt er. „Diese drei Punkte sind für uns wichtig.“
Ein Bekenntnis zum Klimaschutz dürfte auch den Christdemokraten leicht über die Lippen gehen, da kommt es eher auf die konkrete Ausgestaltung an. Die Reform des Landtagswahlrechts steht bereits im CDU-Wahlprogramm. Und vielleicht schafft es Strobl, dem eine gute Beziehung zu Kretschmann nachgesagt wird, den Ministerpräsidenten davon zu überzeugen, dass die CDU die nächsten Jahre ein verlässlicher Juniorpartner sein wird. Aber ob das alles reicht?
Die Grünen reden in der zweiten Sondierungsrunde auf jeden Fall länger mit der CDU als mit den anderen beiden - ganze drei Stunden. „Die haben einfach länger vorgetragen“, sagt Kretschmann am Abend. Es sei noch alles offen. Fraktionschef Schwarz spricht von „aufschlussreichen“ und „interessanten“ Gesprächen.
Gleichzeitig bilden SPD und FDP immer sichtbarer eine Front, um die Ampel zu schmieden. Vergangene Woche hatten die beiden bereits versucht, Kretschmann und die Grünen-Spitze vom Rauswurf der CDU aus der Regierung zu überzeugen. Am Samstag steht nun Runde drei an - erstmals mit Dreier-Ampel-Treffen. Am Vormittag kommen die Grünen mit Sozialdemokraten und Liberalen zusammen, dann mit der CDU. „Wir wollen ja nicht trödeln“, sagt Kretschmann. Und am Freitag wollen sich SPD und FDP bereits zu zweit treffen zum Vorgespräch.
Aufs Stoch Sprechzettel steht denn auch, dass nicht nur zwei, sondern drei Parteien unter einen Hut zu bringen seien. „Aller guten Dinge sind drei.“ Fortsetzung folgt.
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