Talkrunde mit Saskia Esken bei der Erlacher Höhe

Die Parteichefin ist beim Jahresfest zu Gast. Im Gespräch, das Redaktionsleiter Kornelius Fritz moderiert und in dem Wolfgang Sartorius, Vorstand des diakonischen Sozialunternehmens, eigene Anliegen anbringt, spielt Sozialpolitik eine wichtige Rolle.

Redaktionsleiter Kornelius Fritz moderiert die Gesprächsrunde mit Wolfgang Sartorius und Saskia Esken (von links). Fotos: Stefan Bossow

© Stefan Bossow

Redaktionsleiter Kornelius Fritz moderiert die Gesprächsrunde mit Wolfgang Sartorius und Saskia Esken (von links). Fotos: Stefan Bossow

Von Christine Schick

Großerlach. Es ist Tradition, dass Verantwortliche der Erlacher Höhe, allen voran Vorstand Wolfgang Sartorius, das Gespräch mit Politikerinnen und Politikern suchen, um auf soziale Belange und Problemlagen im Sinne der von ihnen begleiteten Menschen aufmerksam zu machen. Dazu bietet sich insbesondere das Jahresfest des diakonischen Sozialunternehmens an, bei dem die Türen der Einrichtung offenstehen, um über die Arbeit zu informieren, sich auszutauschen und den Tag festlich miteinander zu begehen. Als besonderen Gast konnte am gestrigen Sonntag nun Saskia Esken begrüßt werden. Die SPD-Bundesvorsitzende tauschte sich mit dem Erlacher-Höhe-Chef aus und stellte sich in der Talkrunde den Fragen von Kornelius Fritz, Redaktionsleiter der Backnanger Kreiszeitung und Murrhardter Zeitung, der durchs Gespräch führte. Nach der Schulnote für die Ampelkoalition gefragt, machte Sartorius im übertragenen Sinne verschiedene Fächer auf.

„Man muss das differenziert anschauen“, sagte er, wobei er den Fokus auf die Sozialpolitik lege. Dass das Bürgergeld nun Hartz IV abgelöst hat, sei für ihn ebenso ein Gewinn wie das Wohngeldgesetz. Für gut halte er dabei, dass mit den gesetzlichen Änderungen mehr Wert auf eine nachhaltige Qualifizierung und Weiterbildung gelegt werde. Dafür gab es von ihm die Note Eins.

Probleme beim sozialen Wohnungsbau

Ganz anders sieht es beim Betrag der Grundsicherung aus, der um 150 Euro höher hätte ausfallen müssen als die 502 Euro pro Person. „Auch die Lage beim sozialen Wohnungsbau ist katastrophal, da ist leider nichts gelungen“, sagte Sartorius und ließ die Ampel dieser Hinsicht mit einer Sechs durchfallen. Kornelius Fritz ergänzte: Die Titelschlagzeile der Samstagsausgabe thematisierte, dass die Jobcenter Alarm schlagen, weil sie die Bürgergeldreform wegen mangelnder Finanzierung gefährdet sehen. „Das Gesetz klingt ja sehr schön, aber es stellt sich die Frage, ob es sich auch so umsetzen lässt“, sagte er.

Saskia Esken unterstrich zunächst, dass es um einen Paradigmenwechsel weg von einer reinen Vermittlung hin zu Qualifizierung und guter Weiterbildung gehe. Aber sie räumte auch ein, dass dies für rund 900000 betroffene Menschen schwer zu organisieren sei. Noch weniger leugnete sie, dass der kommende Haushalt unter extremem Druck stehe, sprich nicht genug Geld für die (bisher) veranschlagten Aufgaben zur Verfügung steht. Doch auch die beiden Möglichkeiten – Aufhebung der Schuldenbremse oder eine höhere Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögenden – sieht sie als schwer realisierbar an. Zu Letzterer sagte sie: „Das wäre mein Weg.“ Doch um solch einen Umbau noch stärker in Richtung Sozialstaat hinzubekommen, brauche man Mehrheiten „und die FDP ist strikt gegen jede Art von Steuererhöhung“.

Wolfgang Sartorius kam auch noch auf einen Punkt zu sprechen, den er als einen Hartz-IV-Sündenfall charakterisierte: Nämlich dass gegen einen Bescheid – anders als bei anderen behördlichen Vorgängen – ein Widerspruchsrecht nicht durchsetzbar und damit die Rechtsgleichheit für Hartz-IV-Empfänger nicht gewährleistet gewesen sei. Er zitierte eine Erhebung der Bertelsmann Stiftung, nach der nur 17 Prozent der Menschen Deutschland als ein gerechtes Land empfänden, und sieht in diesem Kontext auch das Erstarken der Alternative für Deutschland, die mit Robert Sesselmann nun einen ersten Landrat stellt. „Ich würde das auch gern so interpretieren“, sagte Saskia Esken. Aber sie befürchte, dass nicht selten auch die Neiddebatte eine Rolle spiele nach dem Motto „Wie kann man den Ärmsten mehr Geld geben, wo ich doch auch so wenig habe“.

Angst vor finanzieller Überforderung

Dass sich viele Menschen finanzielle Sorgen machen, auch vor dem Hintergrund des viel kritisierten Heizungsgesetzes, zeigte eine Frage aus dem Publikum. Ein Beschäftigter der Erlacher Höhe berichtete, dass man die Kosten für einen Heizungsumbau in seinem Haus auf 100000 Euro geschätzt habe. „Wo finde ich dieses Geld?“, fragte er. Die SPD-Vorsitzende stellte fest, dass in diesem Zusammenhang viele „angstmachende Parolen“ kursierten. Es gehe nach den jetzigen Vorschlägen darum, dass in Neubauten Heizungen zu 95 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden müssten, beim Gebäudebestand gebe es lange Übergangsfristen und Umrüstungsförderungen bis zu 70 Prozent sowie einen Mieterhöhungsdeckel. Dabei machte sie aber auch deutlich, dass angesichts des Klimawandels schlichtweg Handlungsbedarf besteht.

Im Gespräch mit Kornelius Fritz, in dem vor der Dreierrunde Saskia Esken als Politikerin und Mensch im Mittelpunkt stand, ließ die 61-Jährige wissen, dass angesichts der Fülle an Herausforderungen – von Gasbeschaffung über steigende Energie- und Lebensmittelpreise bis hin zu Gesetzesvorhaben wie Kinder- und Wohngelderhöhungen sowie dem Klimaschutzgesetz – zwar unheimlich viel gearbeitet worden sei, „die Kommunikation aber auf der Strecke geblieben“ ist. „Wir sind sozusagen Opfer der eigenen Überbeschäftigung geworden.“ Mit Sorge sieht sie die nur 20-prozentige Zustimmung zur Regierungsarbeit, wobei für sie die große Verunsicherung und Ermüdung aufgrund der schwerwiegenden Krisen eine Rolle spielen. Neben einer guten Kommunikation gilt es für sie, auch zu einem Geist der Zusammenarbeit in der Ampel zurückzukehren. Denn auch sie weiß, dass mit der zunehmenden Kritik an der Regierung der Höhenflug der AfD einhergeht. „Das müsste Ihre Partei ins Mark treffen“, sagte Fritz. Die hohen Zustimmungswerte zu einer Partei, die im Kern rechtsradikal bis rechtsextrem ist, treiben Esken um, nicht zuletzt, weil „wir das schon einmal erlebt haben“. Dagegen setzen müsse man vor allem mit einer Politik, die soziale Unterschiede ausgleiche und gleichwertige Lebensverhältnisse schaffe.

Persönliche Einblicke

Das Publikum erlebte eine ernste und souveräne Saskia Esken, die in den 1980er-Jahren noch weit von parteipolitischen Sphären entfernt war. Gefragt nach ihren ungewöhnlicheren Jobs wie Paketzustellerin und Straßenmusikerin gewährte sie auch Einblick in ganz persönliche Erfahrungen. Nämlich dass ihr das Unterwegssein in Städten wie Stuttgart, Tübingen, Nürnberg oder Würzburg mit der Gitarre und ihrer „Mehr- oder Minderkunst“ viel Spaß gemacht habe und sie dabei ein Stück weit ihre Scheu abgelegt und gelernt habe, sich zu präsentieren. Zwar hat ihr Lieblingsonkel sie früh im Bundestag gesehen, trotzdem dauerte es noch – nach Ausbildung und Arbeit als Informatikerin und der Zeit als Mutter dreier Kinder –, bis Saskia Esken vor rund vier Jahren einem breiteren Publikum bekannt wurde, als sie 2019 den Parteivorsitz mit Norbert Walter-Borjans übernahm. Sie hat ihren Weg gemacht und setzt darauf, dass andere dies ebenso in aller Selbstbestimmtheit versuchen. So ließe sich ihr Statement werten, dass sie den Widerstand kenne, wenn Politiker in den Keller, ins Essen oder in den Grill hineinregieren wollten. „Ich esse seit 15 Jahren kein Fleisch mehr“, sie fahre Elektroauto und Bahn, auch, weil sie es sich leisten könne. „Ich möchte trotzdem, dass diese Entscheidungen jeder selbstständig trifft, und niemandem vorschreiben, wie lange er duschen oder ob er einen Waschlappen benutzen soll.“

Das Fest hält neben der Talkrunde noch jede Menge Angebote – wie hier das Austesten des Bungee-Trampolins – bereit.

© Stefan Bossow

Das Fest hält neben der Talkrunde noch jede Menge Angebote – wie hier das Austesten des Bungee-Trampolins – bereit.

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Erstellt:
3. Juli 2023, 06:00 Uhr

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