SPD: Opernsanierung stoppen
Der Landtagsabgeordnete Martin Rivoir fordert wegen der drohenden Bauzeitverlängerung um vier Jahre von der Regierung eine klare Aussage zum weiteren Vorgehen. Die Interimsspielstätte im Nordbahnhof wird wohl erst 2033 fertig.
Von Jörg Nauke
Stuttgart - Die SPD im Landtag hat die im Nordbahnhofviertel geplante Interimsoper als verantwortlich für die nun bekannt gewordene Verzögerung des bisher schon auf 15 Jahre geplanten gesamten Sanierungs- und Neubauprojekts der Württembergischen Staatstheater (WST) um vier Jahre identifiziert. Sie fragt deshalb die Landesregierung, ob sie bereit sei, mit der Stadt das Vorhaben sofort zu stoppen und Alternativen zu prüfen. Die verspätete Inbetriebnahme erst 2044 statt zum Ende der 30er Jahre als erste Maßnahme der Opernsanierung sei nicht akzeptabel und zeuge „von keiner professionellen Herangehensweise an das Projekt“, steht im Antrag.
Bislang sind neben den Wagenhallen vorbereitende Arbeiten im nächsten Jahr und eine Fertigstellung von insgesamt drei Gebäudeteilen bis 2029 angekündigt. Ursprünglich sollte das Ensemble zur IBA’27 präsentiert werden. Danach würde der Littmann-Bau im Oberen Schlossgarten, Heimstatt für Oper und Ballett, technisch auf den neuesten Stand gebracht und um eine Kreuzbühne erweitert werden. Die Verwaltungs- und Kulissengebäude würden erneuert und erweitert sowie das bisherige Kulissenlager auf dem Zuckerfabrikareal in Bad Cannstatt vergrößert.
Der Abgeordnete Martin Rivoir war lange ein Fürsprecher der Planung. Nun hält er aber einen sofortigen Stopp des Vorhabens für notwendig: „Ein Moratorium ist dringend angezeigt, alle Beteiligten müssen zur Besinnung kommen und die Planungen für die dringend notwendige Sanierung ergebnisoffen neu aufnehmen“, sagte er. Dazu gehöre insbesondere „die vor Jahren verworfenen Variante des Neubaus eines Opernhauses am Oberen Schlossgarten und die nach dessen Fertigstellung durchzuführende Sanierung des Littmann-Baus ohne Einbau einer Kreuzbühne“. Dieser Weg dürfte „schneller, kostengünstiger und berechenbarer sein, um eine den höchsten künstlerischen Qualitäten von Oper und Ballett adäquate Spielstätte zu schaffen“, so Rivoir.
Für den Genossen ist „äußerst fraglich, ob im Littmann-Bau wegen des baulichen Zustandes ein reibungsloser Aufführungsbetrieb für Oper und Ballett bis zum prognostizierten Beginn der Sanierung 2033 möglich ist“. Die Regierung soll sagen, welche Bedeutung sie den Verzögerungen in Fragen von Arbeitssicherheit, Brandschutz, Qualitätssicherung und Qualität der Vorstellungen bis zum prognostizierten Beginn der Sanierung 2033 beimesse.
Die Planung für das Gesamtprojekt ist laut Stadt „das Ergebnis eines gründlichen Entwicklungsprozesses“ auf Basis des Kunkel-Gutachtens aus dem Jahr 2014. Darauf hat das Land 2019 die Kosten grob auf 958 Millionen Euro geschätzt, wegen der Inflation, Bau- und Energiepreiserhöhungen werden 1,5 Milliarden Euro für möglich erachtet. Eine Verzögerung um ein Jahr macht das Projekt um 30 Millionen Euro teurer.
Das Gebiet C 1 im Nordbahnhofviertel neben den Wagenhallen hatte einst ernsthafte Standortkonkurrenz für die Interimsoper. Ein Vorschlag lautete, statt einer Ausweichspielstätte ein Hybridgebäude zu errichten, das während der Bauzeit als Interim für Oper und Ballett und später als Konzerthaus und für Kongresse dienen sollte.
Als Standorte wurden neben dem Eckensee und dem Akademiegarten auch zwei Bereiche diskutiert, auf die Rivoir jetzt wieder ein Auge wirft: die Fläche um die Skulptur Eberhardsgruppe zwischen Schillerstraße und Schlossgartenhotel, die allerdings für die Baustelleneinrichtung des neuen Schlossgartenquartiers benötigt wird. Und das Areal des König-Katharinen-Stifts in unmittelbarer Nachbarschaft zum „Großen Haus“. Der Abriss des denkmalgeschützten Gemäuers und ein Neubau an anderer Stelle standen schon einmal zur Debatte.
Überlegungen gab es auch zu dem jetzt in Erinnerung gerufenen Paketpostamt, das sogar für ein Gastspiel („Herzog Blaubarts Burg“) genutzt wurde. Ein Rahmenplan sieht jedoch dessen Abbruch vor. Größter Nachteil war die fehlende Nachnutzung. Für den Standort Wagenhallen entstand im Wettbewerb zum Rosensteinviertel die Idee der sogenannten Maker City, das ist ein gemischt genutztes und experimentelles Stadtquartier. Von den Staatstheatern im Interimsbetrieb benötigte Büros, Werkstätten und Proberäume würden nach ihrem Auszug in eine hybride Nutzung mit stadtverträglichem Gewerbe, kreativwirtschaftlichen Nutzungen und Flächen für Kunst- und Kulturschaffenden überführt. Der Zuschauerraum mit 1200 Plätzen sowie Bühne mit Orchestergraben und einem 30 Meter hohen Bühnenturm soll modular auf- und später wieder abgebaut werden.
Der 2021 präsentierte Zeitplan sah von 2022 an vor: ein Jahr für die Planung der Maker City und den Wettbewerb für die Ausweichspielstätte. Ende dieses Jahres sollte die Erschließung des Interimsprojekts und dessen Planung beendet sein und sich daran bis 2028 die Errichtung der Gebäude anschließen. Zuletzt war von einem Spielbeginn im Herbst 2029 die Rede, nun erst von 2033. Offenbar ist das Vorhaben auf dem C1-Areal planerisch anspruchsvoller als vor drei Jahren vermutet. Dennoch müssen die ansässigen Künstler nächstes Jahr weichen, weil es mit dem Bau losgeht.