Spieler – oder auch ein Staatsmann?

Platzt die Ampel in Zeiten des Krieges und der Krise? Die Entscheidung liegt bei Christian Lindner.

 

© dpa/Michael Kappeler

 

Von Tobias Peter

Berlin - Christian Lindner hat es jetzt in der Hand. Er muss entscheiden, ob er sich weiter dem mühsamen Prozess stellt, in der Regierung Kompromisse auszuhandeln. Oder ob die FDP die Bundesregierung platzen lässt – in einer Zeit, in der Krieg in Europa und im Nahen Osten herrscht und Deutschland als verlässlicher Akteur gebraucht wird. Und in der das Land in einer Wirtschaftskrise steckt.

Keine Frage: Der gegenseitige Umgang in dieser Ampelkoalition ist für den Beobachter nur noch schwer zu ertragen. Lindner lud zu einem eigenen Wirtschaftsgipfel ein – als Gegenveranstaltung zum Industriegipfel von Kanzler Olaf Scholz. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich nennt das „Kindereien“ – um treffend hinzuzufügen: „Den Begriff Kindereien nehme ich zurück – in Respekt vor den Kindern.“ Das trifft aber auch auf den Kanzler zu, der Lindner und Vize-Kanzler Robert Habeck nicht zum Gipfel eingeladen hatte.

Wäre eine Neuwahl also die bessere Lösung? Ein Scheitern der Regierung würde, auch wenn es angesichts des Ampelstreits verständlicherweise von vielen Menschen herbeigesehnt wird, den deutschen Handlungsspielraum über Monate lahmlegen. Das Grundgesetz setzt aus den Erfahrungen der Weimarer Republik mit Recht hohe Hürden für eine Neuwahl. Das Parteiensystem wird immer kleinteiliger. Gerade deshalb darf keine Kultur entstehen, bei der es zur neuen Normalität wird, die Brocken hinzuwerfen, weil die Zusammenarbeit über Lagergrenzen hinweg anstrengend ist.

Es ist der Job dieser Regierung, unter schwierigen Bedingungen einen Haushalt hinzubekommen. Das ist keine einfache Aufgabe. Aber eine Lösung ist machbar – insbesondere, da mit den nicht mehr benötigten Milliarden für die Förderung einer Chipfabrik des US-Konzerns Intel zusätzliches Geld freigeworden ist. SPD und Grüne wollen die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode fortsetzen. Lindner, der in der FDP Prokura hat, muss jetzt zeigen, ob er das auch will.

Der FDP-Chef und Finanzminister hat die Ampelkoalition mit einem provokativen 18-Seiten-Papier an den Rand des Abgrunds gebracht. In einem Punkt hat Lindner Recht: Es wäre richtig, die deutsche Wirtschaft mit zusätzlichen Entlastungen zu stärken. Die Ampel könnte beim Bürokratieabbau noch mal nachlegen und auch Wege für einen steuerlichen Impuls oder Hilfen bei den Strompreisen finden. Die Zeiten, in denen man einen „Doppelwumms“ verkünden konnte, sind angesichts knapper Kassen vorbei. Aber die Chance, der Wirtschaft mehr Schubkraft zu verleihen, ist da.

Nur: Wenn Lindner etwas für die Unternehmen erreichen will, warum hat er nicht frühzeitig nach realistischen Finanzierungsmöglichkeiten gesucht? Warum schlägt er vor, die Abschaffung des Solidaritätszuschlags mit Kürzungen im Sozialen zu finanzieren – obwohl er weiß, dass das für die SPD kaum zustimmungsfähig ist? Warum fordert er den Aufschub der deutschen Klimaziele – obwohl er weiß, dass die Grünen nicht mitmachen können? Konstruktive Lösungssuche geht anders.

Christian Lindner ist ein Spieler. Er hat – durch viele aggressive Manöver – in der Regierung mehr herausgeholt, als es der Stärke seiner Partei entspricht. Gleichzeitig hat er immer nur Zug um Zug gedacht. Er hat nicht bedacht, dass er die FDP durch den Dauerstreit in den Augen vieler Menschen für die schwierige Regierungsarbeit in einem Viel-Parteien-System disqualifiziert hat.

Es mag Lindner selbst als eine geradezu unglaubliche Idee erscheinen. Aber die FDP hat jetzt die Chance, noch ein Jahr konstruktiv zu regieren. Wenn Lindner nicht nur ein Spieler, sondern auch ein Staatsmann ist, ergreift er sie.

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Erstellt:
5. November 2024, 22:08 Uhr
Aktualisiert:
6. November 2024, 20:29 Uhr

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