„Staatsanwaltschaft“ lässt Alarmglocken schrillen
Biologe wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt
Von Hans-Christoph Werner BACKNANG. Eines Septembertages im letzten Jahr ist eine Polizeistreife in Unterweissach unterwegs. Wie’s der Zufall so will, beobachten die Beamten ein junges Paar, das an einer Tankstelle mit dem Aufpumpen ihrer Fahrräder beschäftigt ist. Im Weiterfahren erinnert sich der ältere der beiden Beamten, dass er den gesehenen jungen Mann doch irgendwoher kenne. Und siehe da, nach einer Weile taucht dessen Name aus der Erinnerung auf. Der Polizist hatte mit dem Herrn schon zu tun gehabt. Die Nachfrage über Funk ergibt, dass im Fall des eben Gesehenen tatsächlich etwas vorliegt: eine sogenannte Aufenthaltsermittlung. Die Beamten fahren zu der Wohnadresse des Paars und treffen die junge Frau mit den Fahrrädern vor dem Haus an. Kaum dass die Beamten ausgestiegen sind, kommt der Gesuchte um die Hausecke. Diese fordern den 39-jährigen Biologen auf, sich auszuweisen, da ein Ersuchen zur Aufenthaltsermittlung, ausgehend von der Staatsanwaltschaft... Bei „Staatsanwaltschaft“ brennen die Sicherungen durch Weiter kommen die Beamten mit der Äußerung ihres Begehrs nicht. Beim Wort „Staatsanwaltschaft“ schrillen bei dem Gesuchten alle Alarmglocken, er dreht sich um und rennt davon. Der jüngere Beamte, erst drei Wochen im Dienst, hat den Flüchtenden nach etwa 150 Metern eingeholt und hält ihn fest. Der Festgehaltene windet und sträubt sich. Die Beamten sehen keine andere Möglichkeit, als dem Widerstandleistenden Handschellen anzulegen. Das aber geht am schnellsten, wenn der Betroffene am Boden liegt. Das schulmäßige Vorgehen, der Streckhebelgriff, so berichtet der jüngere Polizeibeamte vor dem Amtsgericht, zeigte leider keine Wirkung. So nimmt der ältere Beamte dem Delinquenten durch einen Tritt gegen den Oberschenkel den Stand, der junge Mann geht zu Boden, die Beamten bringen seine Arme auf den Rücken, die Handschellen klicken. Die Aufenthaltsermittlung wird auf dem Polizeirevier erledigt. Dass das Ganze nicht ohne gewisse Blessuren abging, müht sich der Rechtsanwalt des Beschuldigten dem Gericht deutlich vor Augen zu führen. Ein Arzt hat nach dem Vorfall Schürfwunden an Kinn, Schulter und Ellbogen festgestellt, ferner ein Hämatom am Oberschenkel. Was sich innerhalb von Sekunden abspielte, wird in einer knapp zweistündigen Verhandlung eingehend angesehen. Das Kräftemessen mit den Polizeibeamten hat dem Biologen nun ein Strafverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eingebracht. Der Angeklagte schildert ausführlich den Vorfall und gibt zu, dass er panisch reagiert habe. Den Körpereinsatz der Beamten freilich findet er unverhältnismäßig. Auch die beiden Polizeibeamten werden gehört, standen doch kurze Zeit auch Fußtritte eines der Beamten im Raum. Das bestätigt sich aber nicht. Der Angeklagte ist kein Unbekannter Bei den Angaben zur Person kommt zutage, dass der Angeklagte ein Biologiestudium absolviert, dann vier Jahre in einem Labor gearbeitet hat, seitdem arbeitssuchend ist. Die berufliche Krise verknüpfte sich mit der privaten. Hals über Kopf verlässt er seine Frau und zwei Kinder. Zurückgekehrt verfällt er in eine Depression, flüchtet erneut. Die Ehe wird geschieden. Mittlerweile geht er einer geringfügigen Beschäftigung nach. Die Psychopharmaka, die er einnimmt, setzen seine Leistungsfähigkeit herab. Er schläft sehr viel. Und kann überdies vom abendlichen Bier nicht lassen. Das heißt, manchmal sind es durchaus fünf bis sechs Flaschen, die er leert. Was sich nicht unbedingt mit dem Arzneimittelkonsum verträgt. Vor drei Jahren war er wegen schweren sexuellen Missbrauchs im Gefängnis gesessen. Der Staatsanwalt sieht in seinem Plädoyer die Anklage bestätigt. Er fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung. Der Verteidiger verweist auf den tragischen Lebensweg seines Mandanten und dringt auf eine Geldstrafe. Das Urteil folgt dem Antrag der Staatsanwaltschaft. In seiner Urteilsbegründung gesteht der Richter zu, dass das Zubodenbringen durch die Beamten brutal war. Aber es sei ihnen, auch aus Gründen der Eigensicherung, bei der Gegenwehr des Angeklagten nicht zu verdenken gewesen. Das Sträuben und Wegdrehen sei im juristischen Sinne ausreichend für eine Anklage wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. Ferner attestiert er dem Angeklagten eine gewisse Zweigesichtigkeit. Vor einem Jahr sei es gewesen, da habe er einen Strafbefehl zulasten des Angeklagten unterschrieben. Dieser hatte mit einem Spaten das Fahrzeug seiner Angebeteten so zugerichtet, dass Totalschaden entstand. Die Zuteilung eines Bewährungshelfers und eine auferlegte Suchtberatung sollen dem Verurteilten helfen, dass sein Leben wieder Konstanz gewinnt.