Streit in Flüchtlingsheim vor Gericht

Opfer trägt schwere Verbrühungen davon – Angeklagter erscheint nicht bei Prozess – Bereits wegen Körperverletzung verurteilt

Ein Streit in einer Flüchtlingsunterkunft in Auenwald endet für einen der dortigen Bewohner im Krankenhaus: Er wird mit kochendem Wasser überschüttet und erleidet schwere Verbrühungen. Gestern sollte die Verhandlung am Amtsgericht Waiblingen stattfinden. Doch Hauptangeklagter und Geschädigter erschienen nicht – überrascht waren weder Richter noch Staatsanwaltschaft.

Von Silke Latzel

AUENWALD/WAIBLINGEN. Eigentlich sollten gestern drei Tatverdächtige auf der Anklagebank Platz nehmen, erschienen sind aber nur zwei: ein 22-Jähriger und ein 28-Jähriger, beide aus Gambia. Sie werden beschuldigt, dem Hauptangeklagten geholfen zu haben, einen weiteren Bewohner der Flüchtlingsunterkunft Hügelstraße zu verletzen.

Der heute 21 Jahre alte, zur Tatzeit noch 20-jährige Hauptangeklagte soll im März 2017 mit einem anderen Bewohner in Streit geraten sein. Worum es dabei genau ging, konnte vor Gericht nur durch die Aussage des Polizisten erschlossen werden, der nach der Auseinandersetzung zur Unterkunft gerufen wurde: „Wir haben festgestellt, dass der Angeklagte sich gar nicht in der Unterkunft hätte aufhalten dürfen, weil er einem anderen Asylheim zugewiesen war“, so der Polizeibeamte. „Da es schon häufiger Probleme mit der Sauberkeit im Heim gab, insbesondere in der Küche, wurde dem Opfer durch seinen Betreuer in der Gemeinde wohl gesagt, er solle fremde Personen darauf ansprechen, dass sie sich dort nicht aufhalten dürfen. Und wenn das nichts bringt, dann solle er sie einsperren und die Polizei rufen.“

Genau das tat das 26-jährige Opfer wohl. Und das führte dann vermutlich auch zum Streit, bei dem der Mann schwere Verbrennungen erlitt. Der heute 21-Jährige Tatverdächtige griff zu einem Topf mit heißem Wasser und übergoss seinen Kontrahenten damit. Die Folge: schwere Verbrühungen an Schulter, Nacken und Rücken, das Opfer musste ins Krankenhaus eingeliefert werden, die Haut platzte auf und schälte sich. Zudem soll der Angeklagte mit einem Besenstiel auf sein Opfer eingeschlagen und ihn mit einem Messer bedroht haben.

Weder Hauptangeklagter noch Geschädigter erschienen allerdings gestern vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft vermutete, dass das Opfer unter anderem seine Verletzungen selbst nicht als so schwer einschätze, dass er deswegen vor Gericht eine Aussage tätigen muss. Die Abwesenheit des 21-Jährigen Angeklagten ist dafür umso brisanter: Im März dieses Jahres wurde er bereits zu einer Haftstrafe verurteilt – ebenfalls wegen schwerer Körperverletzung. Seine Haft, immerhin ein Jahr und sechs Monate, hätte er am 11. Juni in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Hall antreten sollen, erschien dort aber nicht. Seine beiden Mitangeklagten äußerten sich zu seinem Verbleib eher vage. Man habe eigentlich keinen Kontakt mehr, aber gehört, dass er sich ins Ausland abgesetzt habe. Der 22-Jährige erzählte, dass er gestern früh kurz mit dem Hauptangeklagten telefoniert und ihn erinnert habe, dass die Verhandlung sei. Dieser habe dann aber geantwortet, er komme nicht.

Das Jugendschöffengericht, vor dem der Fall wegen des Alters des Hauptangeklagten zur Tatzeit verhandelt werden sollte, erließ nun ebenfalls einen Haftbefehl gegen den 21-Jährigen. Er wird, sollte er versuchen, wieder nach Deutschland einzureisen oder falls er sich doch noch hier aufhält und von der Polizei kontrolliert wird, sofort verhaftet.

Überrascht von der Abwesenheit des Angeklagten waren weder Staatsanwaltschaft noch der Vorsitzende Richter. Einzig der Pflichtverteidiger des 21-Jährigen zeigte sich verwundert: „Ich habe ihn vor zwei Wochen noch beim Einkaufen getroffen, und er sagte, er wolle zur Verhandlung kommen.“ Doch da Taten bekanntlich schwerer wiegen als Worte und sein Mandant nicht kam, durfte auch der Verteidiger das Gericht unverrichteter Dinge verlassen.

Verfahren gegen die beiden Mitangeklagten eingestellt

Im Raum stand nur noch die Mittäterschaft der beiden Gambier. Diese zeigten sich kooperativ und machten zunächst Angaben zur jeweiligen Person. Der 28-Jährige erzählte, er sei gelernter Koch und seit 2015 in Deutschland. Er wolle sich hier ein neues Leben aufbauen, sei mit einer deutschen Frau verlobt und möchte eine Familie gründen. Arbeit habe er auch bereits gefunden, ein einem Metallverarbeitungsbetrieb. Sein 22-jährige Mitangeklagter kam ein Jahr zuvor, also 2014, in Deutschland an. Bis vor Kurzem arbeitete er in einer Kantine als Hilfskraft, jetzt sei er arbeitslos. Beide sagten, dass sie hier in Ruhe und Frieden leben möchten.

Sie schilderten den Streit aus ihrer Sicht: Man habe sich mit dem 21-Jährigen im Zimmer des 22-Jährigen getroffen und sei irgendwann auf die Idee gekommen, der Jüngste im Bunde solle für die beiden Älteren kochen. „Das ist in Afrika einfach so“, erklärten sie. Plötzlich vernahmen sie laute Stimmen aus der Küche, wollten nachsehen, was los ist, und standen vor verschlossener Tür. „Es war sehr laut und wir merkten, dass da ein großer Streit im Gang ist“, ließ der 28-Jährige durch die Übersetzerin mitteilen. Die beiden gingen laut ihrer Aussage um das Haus herum, schauten zunächst durch ein verschlossenes Fenster und sahen, wie der Hauptangeklagte das Opfer mit heißem Wasser übergoss. „Dann griff er nach einem Messer und wollte auf ihn losgehen.“ Beide waren sich einig, dass eingegriffen werden muss, machten das Fenster kaputt und stiegen ein. Laut ihrer Aussage trennten sie die Kontrahenten und nahmen dem Hauptangeklagten das Messer ab. Einer der beiden sprach davon, dass dieser zudem mit einer Glasflasche bewaffnet war, der andere konnte sich nicht erinnern.

Das Opfer widersprach bei der polizeilichen Vernehmung der Version der beiden und gab an, sie hätten ihn festgehalten, damit der Hauptangeklagte ihn besser attackieren könne. Das Gericht sah diesen Tatbestand jedoch als nicht erwiesen an, da, selbst wenn das Opfer vor Gericht erschienen wäre, „am Ende Aussage gegen Aussage gestanden hätte“, so der Richter. „Was Sie gesagt haben, klingt für mich schlüssig, und es ist erwiesen, dass die Hauptaggression nicht von Ihnen ausging“, sagte er zu dem 22- und dem 28-Jährigen. So wurde das Verfahren gegen die beiden eingestellt.

Zum Artikel

Erstellt:
20. Juni 2018, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen