Vorschlag von Robert Habeck
Streit über Habeck-Plan zu Sozialabgaben auf Kapitalerträge
Anleger sollen Sozialabgaben auf Kapitaleinkünfte zahlen - so will es der Grünen-Spitzenkandidat. Das soll Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entlasten. Prompt flammt im Wahlkampf Kritik auf.
Von dpa/Michael Bosch
Der Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck hat Pläne für Aktienanleger. Demnach sollen sie für die Sozialversicherung in Deutschland herangezogen werden. Ihre Einkünfte aus Kapitalerträgen sollen somit künftig auch der Finanzierung beispielsweise der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) dienen. „Warum soll eigentlich Arbeit höher belastet sein als Einkommen durch Kapitalerträge?“, sagte Habeck in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“. Knapp sechs Wochen vor der Bundestagswahl kamen prompte Reaktionen - nicht nur positive.
Die Parteispitzen von CSU und FDP warfen Habeck prompt vor, den Menschen in die Tasche zu greifen. Auch der Koalitionspartner SPD lehnte den Vorstoß des grünen Wirtschaftsministers ab. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) warnte vor negativen Folgen für den Mittelstand. Dagegen begrüßte der Sozialverband Deutschland (SoVD) Habecks Vorstoß als Idee für mehr Gerechtigkeit.
Habeck: „Würden gerne die Beitragsbasis erhöhen“
Habeck kündigte an, dass die Grünen „gerne die Beitragsbasis erhöhen“ würden. Er kritisierte, dass Kapitalerträge bislang von Sozialabgaben befreit seien. Habeck reagierte damit auf Warnungen von TK-Chef Jens Baas. Der Chef der Techniker Krankenkasse hatte in der „Süddeutschen Zeitung“ prophezeit, ohne politisches Gegensteuern drohe noch in diesem Jahrzehnt ein Anstieg der Kassenbeiträge auf 20 Prozent.
Der Bund der Steuerzahler hat ausgerechnet, dass im Jahr 2024 ein durchschnittlicher Arbeitnehmer-Haushalt in Deutschland 52,6 Prozent seines Einkommens an den Staat gezahlt hat. Von einem Euro an Arbeitseinkommen bleiben demnach 47,4 Cent übrig. 31,7 Cent entfallen auf Sozialabgaben, der Rest auf Steuern und Umlagen.
Lauterbach macht Gegenvorschlag zu Kapitalplänen von Habeck
Gesundheitsminister Karl Lauterbach reagierte mit einem Gegenvorschlag. „Bevor wir bei GKV Versicherten auch noch die Rücklagen für das Alter mit Beiträgen belasten, sollten wir privat Versicherte an Solidarität beteiligen“, schrieb der SPD-Politiker auf der Plattform X. „Sie zahlen für Familien, Arbeitslose, Geringverdiener, Menschen mit Behinderung nicht mit. Das ist falsch.“
Aus der CSU kam deutliche Kritik: „Die Grünen wollen nicht nur höhere Steuern. Jetzt wollen sie auch noch ans Sparguthaben der Menschen und ihre Erträge ran“, sagte Parteichef Markus Söder der Deutschen Presse-Agentur. „Das lehnen wir grundlegend ab.“ Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.
FDP-Chef Christian Lindner warnte vor einem „Abkassieren der Mittelschicht in Deutschland“. Habeck nehme damit auch eine weitere Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland in Kauf, sagte Lindner den Zeitungen der Mediengruppe Bayern.
Habeck und die Kapitalerträge: FDP-Politiker spricht von „Habeck-Klau“
Der designierte FDP-Generalsekretär Marco Buschmann rechnete vor, dieser „große Habeck-Klau“ könne sogar für kleine Sparraten sechsstellige Minderungen ihrer Erträge bedeuten. „Das halte ich für verantwortungslos.“ SdK-Vorstandschef Daniel Bauer sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Millionäre und Milliardäre würde dies nicht treffen, da die Krankenversicherungsbeiträge eben durch die Beitragsbemessungsgrenze begrenzt sind.“
Grünen-Wahlkampfleiter Andreas Audretsch sagte: „Es ist ungerecht, wenn eine Alleinerziehende in Teilzeit oder ein Polizist mehr zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung beiträgt als jemand, der sehr viel Geld im Aktienhandel verdient.“ Auch für Unternehmen sei es gut, wenn wir die Beitragssätze so gering wie möglich halten, sagte er.
Grünen-Chef Felix Banaszak betonte, es gehe um mehr Gerechtigkeit. „Es geht hier nicht um den Kleinsparer. Für Kleinsparer ändert sich nichts.“ Dafür sollten „sehr großzügige Freibeträge“ sorgen. Zahlen nannte Banaszak nicht.
Im Gegensatz zu den Sozialabgaben werden Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland bereits bei der Festsetzung der Einkommensteuer berücksichtigt. Sie werden - oberhalb eines Freibetrags von 1.000 Euro - mit 25 Prozent Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag besteuert.
Im Fokus des Bundestagswahlkampfs steht bisher vor allem, wie die Wirtschaftsflaute und diverse Belastungen in Deutschland eingedämmt werden könnten. So hatte AfD-Chefin Alice Weidel kürzlich gesagt, der „normale deutsche Arbeitnehmer“ arbeite mindestens zur Hälfte für den Staat. Tatsächlich wird seit Jahren kontrovers debattiert, wie die Milliardenkosten, die für die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland anfallen, auf Beschäftigte und Arbeitgeber verteilt werden sollen.
Viele Krankenkassen haben Beiträge erhöht
Forscher haben festgestellt, dass in Staaten mit höheren Sozialausgaben eine geringe Kluft zwischen dem reichen Bevölkerungsanteil und Menschen mit durchschnittlichem Vermögen besteht. Der aktuelle Verteilungsreport 2024 des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigt den Zusammenhang: Der Vermögensanteil der in Bezug auf das Einkommen unteren Hälfte der Bevölkerung ist demnach in den Staaten deutlich höher, in denen auch die „Sozialschutzausgaben pro Einwohner“ höher liegen.
In Deutschland haben die meisten der 94 gesetzlichen Krankenkassen zu Jahresbeginn ihren Zusatzbeitrag kräftig auf durchschnittlich 2,91 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens erhöht. Dieser kommt zum allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns hinzu. Vor diesem Hintergrund unterstützte SoVD-Präsidentin Michaela Engelmeier Habeck.
Für die Finanzierung der Krankenkassen müssten auch andere Einkünfte als heute einbezogen werden, sagte Engelmeier der Funke Mediengruppe. „Aber: Dabei muss darauf geachtet werden, dass etwa Einkünfte aus kleinen Sparguthaben beitragsfrei bleiben.“ Insbesondere die zuletzt immer stärker gestiegenen Zusatzbeiträge belasteten niedrige und mittlere Einkommen stark, sagte Engelmeier. Kassenbeiträge auf Kapitalgewinne wären dagegen solidarisch.
Verhalten zeigten sich die Krankenkassen. „Die Frage, welche Einkunftsarten für die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, die immerhin 90 Prozent der Bevölkerung versichert und versorgt, herangezogen werden, erfordert eine gesellschaftspolitische Antwort“, sagte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, der dpa.