Streuobstschutz fordert Kommunen im Rems-Murr-Kreis heraus

Was passiert mit noch unversiegelten Flächen? Streuobstwiesen sind bereits strenger vor Bebauung geschützt. Für die einen geht der Schutz noch nicht weit genug, für die anderen stellt sich die Frage, wo noch Platz zum Bauen hersoll – besonders im streuobstreichen Rems-Murr-Kreis.

Die acht, teils abgängigen Obstbäume auf dem geplanten Baugebiet Am Höllbächle in Murrhardt behindern bislang noch das Bauvorhaben der Stadt – weil sie zu einer benachbarten Streuobstwiese gezählt werden. Die Genehmigung zum Bauen steht noch aus. Foto: Stefan Bossow

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Die acht, teils abgängigen Obstbäume auf dem geplanten Baugebiet Am Höllbächle in Murrhardt behindern bislang noch das Bauvorhaben der Stadt – weil sie zu einer benachbarten Streuobstwiese gezählt werden. Die Genehmigung zum Bauen steht noch aus. Foto: Stefan Bossow

Von Anja La Roche

Rems-Murr. Im Rems-Murr-Kreis stehen rund 380000 Streuobstbäume. Er weist neben dem Landkreis Esslingen die höchste Streuobstdichte in Baden-Württemberg auf. Um die für den Lebensraum vieler Tiere wertvollen, teils viele Jahrzehnte alten Bäume zu bewahren, hat die Landesregierung die Flächen in Paragraf 33a des Naturschutzgesetzes unter Schutz gestellt: Wer Bäume auf einer Streuobstwiese ab 1500 Quadratmetern roden will, etwa um zu bauen, braucht einen plausiblen Grund. Das öffentliche Interesse an der Wohnanlage oder dem Gewerbegebiet – oder was auch immer auf der Fläche entstehen soll –, muss dem Interesse des Naturschutzes überwiegen. Für die geopferte Streuobstwiese müssen die Antragsteller außerdem eine neue Streuobstfläche ausweisen und dort ausreichend neue Bäume pflanzen.

Für den Landtagsabgeordneten Ralf Nentwich (Grüne) geht der Schutz der Streuobstbestände noch nicht weit genug. „Wir haben in Baden-Württemberg einen Rückgang von etwa 17 Prozent beim Streuobst in den vergangenen zehn Jahren“, sagt er. Und auch seit die Landesregierung das Gesetz im Juli 2020 beschlossen hat, wurde dem Abgeordneten zu viel abgeholzt.

26000 Quadratmeter Streuobstwiese wurden im Kreis zuletzt aufgegeben

Im Rems-Murr-Kreis hat die untere Naturschutzbehörde, die auf Kreisebene angesiedelt ist, seit Sommer 2020 die Umwandlung von über 26000 Quadratmetern Streuobstfläche genehmigt, das entspricht grob 2,5 größeren Fußballfeldern. Es wurden insgesamt neun Anträge auf Umwandlung gestellt. Acht wurden genehmigt, einer ist bislang noch nicht bestandskräftig. Bei Letzterem habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass die als Ausgleich vorgesehene Neupflanzung zu klein war, teilt Rojda Firat, Pressesprecherin der Kreisverwaltung, mit.

Weil der Landesregierung die Anwendung des Paragrafen 33a teilweise zu lasch war – Präzedenzfall hierfür ist ein Bauprojekt in Bretten (Landkreis Karlsruhe), bei dem laut Nentwich fälschlicherweise eine wirklich schützenswerte Streuobstfläche gerodet wurde –, hat sie mehrmals nachjustiert und für die Interessensabwägung im Einzelfall betont, wie wichtig der Schutz der Streuobstbestände doch ist – zuletzt mit einem Erlass im April 2022. „Die Regelung warf zunächst landesweit zahlreiche Fragen in der praktischen Anwendung auf“, sagt Rojda Firat vom Landratsamt. „Dementsprechend hat sich das Umweltministerium innerhalb von weniger als zwei Jahren dreimal konkretisierend an die unteren Naturschutzbehörden gewandt.“

Für die Kommunen ist die Regelung eine Erschwernis

Für Ralf Nentwich ein richtiger Schritt, damit die Regelung auch wirklich schützt, was sie schützen soll. Für Kommunalverwaltungen ist der Paragraf zuweilen eine Last. Auch im Rems-Murr-Kreis gibt es kritische Stimmen zu der von Nentwich und seiner Fraktion hervorgebrachten Regelung. „Das Gesetz kommt ein Stück weit als Verhinderungsparagraf daher“, sagt Armin Mößner, Bürgermeister der Stadt Murrhardt. Er begrüßt grundsätzlich den Schutz der Streuobstwiesen, doch das Gesetz habe teilweise jahrelange kommunale Entwicklungsplanungen zunichte gemacht, ohne eine Übergangslösung zu bieten und ohne aktuelle Entwicklungen zu beachten.

Mößner kritisiert überdies, dass unklar sei, wie die Flächen der Streuobstwiesen berechnet werden. Ein Beispiel aus Murrhardt: Die Stadt will Am Höllbächle bezahlbaren Wohnraum schaffen. Straßen, Kanal, Wasser und Nahwärme sind bereits vorhanden, das Gelände gegenüber ist bereits bebaut. Acht teils abgängige Obstbäume müssten dem neuen Gebäude weichen. Der Streuobstbestand wäre unter 1500 Quadratmetern, aber er wird mit einem anderen Bestand, der mehr als 30 Meter entfernt steht, zusammengerechnet. Somit braucht die Stadt eine Genehmigung auf Umwandlung. Ob der Bestand richtig erfasst wurde? „Eine Rechtsprechung gibt es dazu noch nicht, wäre aber hochinteressant“, so Mößner.

Wie Armin Mößner hält auch Daniel Bogner, Bürgermeister vom streuobstreichen Weissach im Tal, den Schutz der Bäume und Wiesen für wichtig. Doch die Regelung gleiche mittlerweile einem Quasiverbot. „Gemeinden wie Weissach, welche sehr viel Grün an den Ortsrandlagen haben, bekommen sehr große Probleme in der Siedlungsentwicklung“, sagt Bogner. In Weissach habe man aufgrund der Vorgaben Pläne für Flüchtlingsunterbringung und Wohnraumentwicklung komplett zurückstellen mussten. Das sei ein starker Eingriff in die kommunale Planungshoheit und Selbstverwaltung. „Das Gesetz samt begleitender Verordnungen hat noch sehr viel handwerkliche Schwächen, die dringend angegangen werden sollten“, sagt Bogner.

Für Armin Mößner gibt es einen weiteren Grund, warum das jetzige Gesetz verbessert werden sollte. „Im Gespräch mit einigen Streuobstwiesenbesitzern hört man immer wieder, dass mit den aktuellen Entwicklungen die Motivation neue Bäume zu pflanzen nicht mehr gegeben ist“, sagt er. „Diese Entwicklung wäre für die Streuobstkultur in unserem Ländle letztlich auch nicht förderlich.“

Besitzer und Vermarkter von Streuobst sollen stärker unterstützt werden

Und genau daran möchte der Landtagsabgeordnete Ralf Nentwich mit seiner Fraktion nun tüfteln. Die Anreize, sich um Streuobstwiesen zu kümmern und gar neue anzulegen, sollen größer werden. Derzeit überarbeitet die Landesregierung die Streuobstkonzeption 2030. Nentwich und seine Fraktion wollen unter anderem die Einführung eines landesweites Siegels für Streuobstlebensmittel, das im Koalitionsvertrag steht, beschleunigen. Und er will die Chancen für Streuobst auf dem regionalen Markt verbessern – bislang ist es eben doch nur Nischenprodukt geblieben.

Die Fördergelder sollen außerdem dort landen, wo auch viel Streuobst existiert. Deswegen setzt sich Nentwich dafür ein, dass künftig Regionen benannt werden, in denen das Streuobst trotz Klimaveränderung zukunftsfähig ist. Dort sollen dann auch die Fördergelder landen. „Der Rems-Murr-Kreis ist ein solcher Hotspot.“

Die Debatte muss geführt werden: Für was die unbebauten Flächen nutzen?

Letztendlich handelt es sich um einen Kampf verschiedener Interessensvertreter um Platz. Was passiert mit den Flächen? Wird gebaut oder die Natur geschützt? Die Fragen weisen dabei weit über das Streuobstthema hinaus: Wird gebaut oder Ackerboden erhalten, um Lebensmittel zu produzieren? Ralf Nentwich wünscht sich, dass diese Debatte noch intensiver geführt wird. Welche Position er dabei bezieht, sollte klar sein: Der Rems-Murr-Kreis sei bereits ein sehr verdichteter Raum. „Und wenn der Boden einmal versiegelt ist, ist er verloren“, betont Nentwich. Ein Ziel müsse deshalb die stärkere innerörtliche Entwicklung sein.

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Erstellt:
1. Juli 2023, 06:00 Uhr

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