Tierretter fühlen sich ungerecht behandelt
Ehemalige Mitglieder der Tierrettung Rems-Murr weisen die Vorwürfe der Vorsitzenden zurück und kritisieren Vereinsführung
Mehrere ehemalige Mitglieder der Tierrettung Rems-Murr wollen die Vorwürfe der Vorsitzenden Sybille Impagliatelli nicht unkommentiert auf sich sitzen lassen. Diese hatte unlängst in einem Interview behauptet, die Tierschützer hätten sich die Vereinsarbeit wohl nicht so zeitaufwendig vorgestellt und seien deshalb ausgetreten. Nun stellen die Ex-Mitglieder klar: Die Arbeit war ihnen nie zu viel. Vielmehr gab es Differenzen mit dem Führungsstil der Vorsitzenden.

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Wenn ein Tier sich in einer Notlage befindet, rücken die Helfer der Tierrettung aus, egal ob Hund, Katze oder Vogel, egal ob Tag oder Nacht. Die Tiere werden dann zum Besitzer, zum Tierarzt, ins Tierheim oder zu einer Aufpäppelstation gebracht.Symbolfoto: AdobeStock
Von Matthias Nothstein
BACKNANG. Die Katzen von Brigitte Rothenburger fühlen sich in deren Haus pudelwohl, das sieht jeder auf den ersten Blick. Seit die Tierfreundin mitansehen musste, wie die Mutter ihrer vierpfötigen Mitbewohner überfahren wurde, kümmert sie sich liebevoll um die Kätzchen, die inzwischen proper herangewachsen sind. Und auch im Gespräch wird schnell klar, dass sich die vielfach engagierte Frau sehr fürs Tierwohl einsetzt. Umso mehr leidet sie daran, unter welchen Umständen sie den Verein Tierrettung Rems-Murr verlassen hat beziehungsweise dazu getrieben wurde. Die Vorwürfe Impagliatellis haben sie schwer getroffen, ebenso wie etwa ein Dutzend anderer ausgetretener Mitglieder, die sich an die Zeitung gewandt haben, um die Tatsachen zurechtzurücken.
Wie kam es zu dem Bruch? Vorab listen die Ex-Mitglieder ein paar Fakten auf: Nachdem sich der Verein am 21. Juni 2018 bei einer Mitgliederversammlung im Vereinsheim Unterweissach gegründet hat, sind die Mitgliederzahlen schnell angestiegen. Als aber immer mehr Mitglieder Probleme mit der Vorsitzenden bekamen, sank sie genauso schnell wieder. Von den 14 Gründungsmitgliedern haben bis heute 12 dem Verein wieder den Rücken gekehrt. Dies bestätigt Impagliatelli. Während sie ferner einräumt, dass bis zum Jahresende insgesamt 17 Mitglieder aus dem eben gegründeten Verein wieder ausgeschieden sind, kommt Rothenburger gar auf mindestens 21 Mitglieder. Inzwischen ist die dritte Stellvertreterin im Amt. Die Ex-Mitglieder bestreiten, dass sie vor der Aufgabenfülle kapituliert hätten. Im Gegenteil. Viele monieren sogar, dass sie aufgrund der undurchschaubaren Vorgehensweise der Vorsitzenden erst gar nicht die Gelegenheit erhielten, Einsätze zu übernehmen. Im gleichen Atemzug sei vielen dann aber vorgeworfen worden, sie würden sich zu wenig engagieren. Rothenburger schildert: „Manchmal wurden wir gar nicht benachrichtigt. Manchmal hieß es nur, Einsatz in Winnenden, ohne nähere Ortsangabe. Manchmal hat ein Mitglied einen Einsatz übernommen, aber bei der Ankunft war Impagliatelli schon vor Ort und hatte den Auftrag ohne Rückmeldung selbst übernommen.“
„Vorsitzende hat sich vehement gegen Kassier ausgesprochen“
Viele Mitglieder seien auch kritisiert worden, weil sie zwecks Arbeit, Studiums oder Schule nicht zu einem Einsatz ausrücken konnten. Und die Kritik erfolgte auch noch in einem Tonfall, der von vielen als – gelinde gesagt – völlig unpassend empfunden wurde.
Extrem unzufrieden sind die Ex-Mitglieder mit dem Vereinsverständnis der Vorsitzenden. Sie habe die Organisation im Alleingang führen wollen und habe das Vereinsrecht mehrfach missachtet. Rothenburger: „Die Vorsitzende hat sich trotz mehrmaliger Bitte, einen strukturierten Verein aufzubauen, vehement gegen einen Kassier sowie einen Schriftführer ausgesprochen.“ Dies ist laut Vereinsrecht zwar möglich, aber sehr ungewöhnlich. Doch die Vorwürfe gehen noch weiter. Denise Fitzner aus Lorch war die erste Stellvertreterin. Sie versuchte, die Gründungsversammlung zu strukturieren. Dass dies extrem schwer war, bezeugt Achim Schopf aus Backnang: „Impagliatelli hatte einen Satzungsentwurf dabei und wollte den durchpeitschen. Wir sollten ihn nur abnicken.“ Aber das funktionierte nicht.
Als die Versammlung nach langer Diskussion die Satzung absegnete, konnte sie am selben Abend nicht unterschrieben werden, weil es keinen Drucker gab. In den Tagen danach sei der beschlossene Satzungstext mehrfach von der Vorsitzenden verändert worden, einige Passagen wurden gar völlig gestrichen. Am Ende sei die Satzung von Mitgliedern unterschrieben worden, die gar nicht Gründungsmitglieder waren, lautet ein Vorwurf. Die Unterschriften sollen ferner auf einem separaten Blatt ohne Bezug zum Satzungstext eingesammelt worden sein. Am 16. August warf Fitzner ratlos ob dieses Gebarens das Handtuch. Ihre Nachfolgerin wurde bei einer Teamsitzung benannt. Sie erklärte jedoch sofort, dass sie das Amt nur bis Jahresende übernehmen werde. Weil für die Eintragung ins Registergericht aber ein Stellvertreter benötigt wird, wurde Anfang Dezember bei einer weiteren Teamsitzung, die eher einem Stammtisch glich, die dritte Stellvertreterin bestimmt. Laut mehrerer Zeugen allerdings nicht in einer vorgeschriebenen offiziellen Wahl, sondern Impagliatelli erklärte lapidar: „Also, einstimmig gewählt.“
Diesen Vorwurf weist nun wiederum Impagliatelli zurück. Es habe eine ordentliche Mitgliederversammlung gegeben, zu der ordnungsgemäß und fristgerecht eingeladen war. Termin: 1. Januar.
Etliche Ex-Mitglieder monieren, dass Impagliatelli bis heute keinen Einblick in die Kassenbücher erlaube. Niemand wisse, wie Spenden verwendet würden, kritisieren sie unisono. Die Tierfreunde irritiert, dass dem Verein nach wenigen Wochen ein eigenes Auto zur Verfügung stand, das fast ausschließlich von der Vorsitzenden genutzt werde. Diese habe zeitgleich erklärt, der Verein habe 6000 Euro Schulden. Und sie habe die Mitglieder im Herbst aufgefordert, die Mitgliedsbeiträge für 2019 sofort zu überweisen. Rothenburger: „Als ich das gehört habe, bin ich stutzig geworden. Die Intransparenz hat ein Gschmäckle.“
Eine Sitzung am 20. Dezember eskalierte dann vollends. Zahlreiche Mitglieder, die bis zuletzt versucht hatten, zu vermitteln, kündigten. Darunter auch Nancy Philipp aus Winnenden: „Ein ordentlich geführter Verein darf die für gemeinnützige Vereine vorgegebenen rechtlichen Regelungen nicht außer Acht lassen. Ein Verein lässt sich zudem nicht im Alleingang führen.“ Die Kritiker erklären durch die Bank, keine Schlammschlacht führen zu wollen. Im Gegenteil, alle betonen, sie würden sich weiterhin für das Wohl der Tiere einsetzen. Schopf: „Wir wollen den Verein nicht torpedieren, er tut viel Gutes.“ Und auch Philipp sagt: „Im Sinne der Tierrettung hoffe ich auf Veränderung in diesem Verein.“ Und Rothenburger ergänzt: „Die Tierrettung ist eine gute Sache, die gut ankommt und benötigt wird.“
Impagliatelli glaubt den Bekundungen nicht: „Ich finde es nicht schön, dass ein privater Kleinkrieg geführt wird auf dem Rücken des Vereins.“ Andererseits blickt sie optimistisch nach vorne: „Wir haben aktuell 40 Mitglieder, davon 15 aktive. Drei Mitglieder garantieren eine 24-Stunden-Bereitschaft an sieben Tagen die Woche. 2018 hatten wir 249 Einsätze, davon war ich bei 203 Hilferufen im Einsatz.“
Von Matthias Nothstein
Für Außenstehende ist es nicht einfach, sich ein Urteil zu bilden, was im vorliegenden Fall schiefgelaufen ist. Fakt ist, dass das Tischtuch zwischen den Parteien zerschnitten ist. Und Fakt ist weiterhin, dass beide Parteien sich höchst engagiert und geradezu leidenschaftlich fürs Tierwohl einsetzen. Aber wenn beide das Gleiche wollen, warum funktioniert die Zusammenarbeit dann nicht?
Da ist auf der einen Seite eine Vorsitzende, die alles an sich reißt, nichts delegieren will oder kann und lieber selber zulangt, bevor sie lange organisiert. Die aber trotzdem die Fülle der Arbeit spürt.
Und da sind auf der anderen Seite Helfer, die ständig ausgebremst werden. Die mehr helfen wollen, aber nicht die Möglichkeit dazu bekommen. Und deren Leistungen – zum Teil im Hintergrund erbracht – nicht gewürdigt werden.
Eine verhängnisvolle Mischung. Da ist es kein Wunder, dass es irgendwann einmal kracht. Spätestens, wenn Fehler ganz offensichtlich werden. Die zu gering empfundene Transparenz bei der Kontoführung zählt etwa dazu. Oder die öffentlichen Vorwürfe.
Egal, wer recht hat: Im Sinne der Tiere ist die Entwicklung sehr zu bedauern.
m.nothstein@bkz.de