Tod eines 13-Jährigen: Verdächtiger bestreitet die Tat

dpa Heidelberg. Ein Junge wird mit dem Messer in der Hand festgenommen. Ein toter 13-Jähriger liegt vor ihm am Boden. Doch der mutmaßliche Täter distanziert sich von dem tödlichen Angriff.

Nach der tödlichen Messerattacke auf einen 13-Jährigen in Sinsheim bestreitet der dringend verdächtige 14-Jährige die Tat. Er habe seine Unschuld bei der Eröffnung des Haftbefehls beteuert, teilte die Staatsanwaltschaft Heidelberg am Freitag mit. Nach dem Obduktionsergebnis starb der 13-Jährige an „Verbluten nach innen“. Er wurde nach islamischem Recht bereits beerdigt. Die beiden Jungen haben die doppelte deutsch-türkische Staatsbürgerschaft. Hinter der Tat des Älteren stehen Eifersuchtsstreitigkeiten um ein 12-jähriges Mädchen.

Nach einem früheren Angriff im vergangenen November an einer Realschule in Östringen (Kreis Karlsruhe) hatte der damals strafunmündige 13-Jährige nicht lange vor der schockierenden Tat in Sinsheim an einem Anti-Aggressionstraining teilgenommen. Bei dem Östringer Fall hatte er einen Mitschüler mit einem Messer schwer verletzt. Danach kümmerte sich das Jugendamt um die Familie.

Der 14-Jährige war am Mittwoch mit einem Küchenmesser in der Hand neben der Leiche des Jungen und dem Mädchen im Stadtteil Eschelbach festgenommen worden. Psychologisch geschulte Kräfte betreuen derzeit die betroffenen Familien.

Im Südwesten ist die Zahl der jungen Menschen, die mutmaßlich Straftaten mit einem Messer begangen haben, 2020 im Fünfjahresvergleich auf einen Tiefstwert gesunken. Waren es laut polizeilicher Kriminalstatistik 2016 noch 483 unter 21-jährige Tatverdächtige, wurden 2020 mit 437 rund zehn Prozent weniger registriert. Darunter fallen auch die Jugendlichen von 14 bis unter 18 Jahren mit 207 Verdächtigen 2016 und 199 im Jahr 2020.

Nach dem Messerangriff im November wurde der Tatverdächtige laut Jugendamt für drei Wochen stationär in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgenommen, wo er das Programm gegen Gewalt als Mittel der Konfliktlösung begonnen hatte. Nach weiteren Angaben des Jugendamtes des Rhein-Neckar-Kreises ist die Familie weiterhin betreut worden und erhielt ambulante Leistungen der sozialpädagogischen Familienhilfe - von einem freien Träger. Diese Art der Hilfe werde bei Problemen in der Erziehung und der Alltagsbewältigung sowie bei schweren Konflikten in Anspruch genommen. Zuletzt seien weitere Maßnahmen geplant und schon angeschoben worden, hieß es weiter.

Der Kontakt zu der Familie seitens der Familienhilfe und des Jugendamts bestand durchgängig, letztmals wenige Tage vor der „entsetzlichen“ Tat in Sinsheim, wie das Kreisjugendamt weiter mitteilte.

Laut Landgericht Heidelberg hatte das Jugendamt nach dem Östringer Messerangriff das Familiengericht nicht eingeschaltet. Dieses wird mit Fällen von Gefahr für das Kindeswohl befasst. Im diesem Fall seien aber wahrscheinlich aus Sicht des Jugendamtes weder Sorgerechtsentzug für die verwitwete Mutter noch Zwangsunterbringung des Jungen nötig gewesen, sagte der Gerichtssprecher. Für solche schwerwiegenden Schritte ist eine richterliche Genehmigung erforderlich.

Das Familiengericht sei etwa eine Woche nach Erhalt der Akte der Staatsanwaltschaft Mitte Januar auf das Jugendamt zugegangen, um sich über die ergriffenen Maßnahmen zu informieren. Wenige Tage vor der Tat sei eine weitere routinemäßige Anfrage an das Jugendamt ergangen. Das Schreiben habe die Behörde aber wahrscheinlich nicht mehr vor der Tat erreicht.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hält angesichts der Eschelbacher Falls wenig von einer Verschärfung von Gesetzen. Er nannte die Tat am Freitag in Heilbronn einen „erschütternden Vorgang“. Trotzdem wolle er nicht sofort in die Diskussion einsteigen, die Strafbarkeit von Minderjährigen im Alter von 12 oder 13 anzugehen. Stattdessen müsse man viel stärker als bisher die Jugendhilfe mit allen Möglichkeiten der Prävention nutzen.

Der Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft Ralf Kusterer hatte hingegen betont, bei Intensivtätern vor der bedingten Strafmündigkeit mit 14 Jahren müsse es schärfere Reaktionsmöglichkeiten geben. „Ich befürworte in solchen Fällen eine zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung.“ Sollten die Gesetze das nicht zulassen, müssten sie in diesem Punkt angepasst werden.

Überdies verfügten die Jugendämter nicht über genug qualifiziertes Personal, sagte Kusterer. Es fehle vor allem an erfahrenen Sozialarbeitern, die den psychischen Herausforderungen der Arbeit mit delinquenten Kindern und Jugendlichen gewachsen seien. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) konterte: „Diese Unterstellungen werden der engagierten und kompetenten Arbeit der Jugendämter in keiner Weise gerecht.“ Solange die Umstände der Tat nicht geklärt seien, verbiete sich jede Schuldzuweisung an das Jugendamt.

© dpa-infocom, dpa:210226-99-606677/4

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Erstellt:
26. Februar 2021, 13:33 Uhr

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