Tom Seel aus Murrhardt ist einer der besten Dachdecker
Tom Seel hat seine Dachdeckerlehre nicht nur erfolgreich abgeschlossen, sondern bei der Deutschen Meisterschaft im Handwerk den dritten Platz belegt. Der 20-jährige Murrhardter ist dort angekommen, wo er immer hinwollte, und freut sich, nun möglichst tief in die Praxis einzutauchen.
Von Christine Schick
Murrhardt. „Ich weiß, seit ich elf Jahre alt bin, dass Dachdecker mein absoluter Traumberuf ist“, sagt Tom Seel. Eine nicht unerhebliche Rolle hat dabei gespielt, dass es in seiner Familie einige berufliche Vorbilder gibt. Der Großvater des 20-Jährigen war Dachdeckermeister. „Er kam damals als Kriegsflüchtling in den Süden und hat in Stuttgart noch seinen Meister gemacht“, erzählt er. „Kennenlernen konnte ich ihn leider nicht mehr.“ Aber da gibt es auch seinen Onkel Dirk Wejda, der in Bad Neuenahr-Ahrweiler lebt. Auch er ist Dachdeckermeister, liebt seinen Beruf und Tom Seel hatte schon als kleiner Steppke die Möglichkeit, ihm über die Schulter zu schauen. Zu den Eindrücken auf der Baustelle kamen später kleine begleitete Praxiserfahrungen am Schweißgerät oder beim Klopfen von Schiefersteinen, mit denen Dach und Fassade gedeckt beziehungsweise verkleidet werden. Auch ein Großonkel zählt zur Dachdeckerfamilienfraktion.
Der 20-Jährige beginnt nach dem Abitur seine Lehre, die verkürzt wird
Früh stand für Tom Seel zwar fest, dass er sich absolut keinen Bürojob vorstellen kann, nach der Grundschule ging es aber trotzdem aufs Heinrich-von-Zügel-Gymnasium in Murrhardt. Seine Mutter und Großmutter setzten sich sehr dafür ein, dass er sein Abitur macht und nicht vorher abgeht, um seine Lehre zu beginnen. „Es ist gut, das Abi gemacht zu haben“, sagt er heute ganz klar. Seiner Zielstrebigkeit mit Blick auf die Ausbildung tat das keinen Abbruch und dazu kommt, dass Betriebe sich nach einen Bewerber wie ihm natürlich die Finger lecken. Im Herbst 2021 war es so weit, er begann bei FWS Bedachungen in Weissach im Tal seine Lehre, die auf anderthalb Jahre verkürzt wurde. Der Unterricht lief blockweise in Karlsruhe, wo sich die zentrale Berufsschule sowie die überbetriebliche Ausbildungsstätte, das Dachdeckerbildungszentrum, befinden.
In der Praxis hieß es, die verschiedensten Projekte kennenzulernen und umzusetzen. Die Palette reichte vom begrünten Flachdach übers Steildach mit Ziegeln und Fotovoltaikanlage bis hin zum Aufstellen von Dachgauben, bei dem auch kleinere Zimmererarbeiten mit erledigt werden. Das, was das Herzstück ausmacht, kommt in Süddeutschland nicht selten als Tonziegel, beispielsweise als Biberschwanz, daher. Dachdecker stellen die Dachverkleidung aber auch selbst in Handarbeit – aus Schiefersteinen – her. „Es wird jeder Stein einzeln geklopft“, sagt Tom Seel. Das hat auch den Hintergrund, dass so gut wie jedes Dach – insbesondere bei Sanierungen im Bestand – andere Maße und Bedingungen aufweist. „Das heißt, jeder Stein muss auch passen.“ Das Zurichten der Steine fürs Dach, wie es in der Fachsprache heißt, ist eine Kunst für sich, für die Auszubildende auch erst mal ein Gefühl entwickeln müssen. „Man macht eine Klangprobe und je nach Ton lässt sich erkennen, ob er beim Bearbeiten brechen wird oder gut ist“, erläutert der 20-Jährige. Ein hellerer Klang steht für stärkere Stabilität. Wenn es dann aber trotzdem mal passiert, dass das Material splittert, lassen sich unter Umständen auch kleinere Stücke an Kanten oder Abschlüssen noch verwenden.
Auf diese Praxis mit all ihren Ecken und Winkeln hat sich Tom Seel bei der Ausbildung konzentriert. Dabei hilft ihm, dass ihm die Theorie nicht schwerfällt. Die Mathematikgrundlagen tun da ihr Gutes, insbesondere Sinus, Cosinus und Tangens, denen in der schulischen Einschätzung weniger Gewicht beigemessen wird, die aber für seinen Beruf äußerst relevant sind. Die Prüfungen liefen sehr gut. In der Theorie geht es um Berechnungen von Dachkomponenten oder Wasserabflussmengen, beispielsweise in der Regenrinne. Die Praxis umfasst drei Teile – das Eindecken eines Steildachmodells mit Biberschwanz, das Abdichten eines Flachdachs mit Folie sowie das Decken einer Fassade mit Schiefersteinen.
Bester Abschluss an der Berufsschule
Tom Seel machte vor rund einem Dreivierteljahr in der Berufsschule den besten Abschluss. Da die Heinrich-Hübsch-Schule alle Dachdecker in Baden-Württemberg in der Ausbildung begleitet, ist er damit auch Landessieger des Wettbewerbs „Meisterschaft im Handwerk“ und somit für den Bundeswettbewerb nominiert. Damit er teilnehmen und sich gut vorbereiten konnte, stellte ihn sein Chef Matthias Ziegler, zu dessen Urbacher Betrieb er im Frühjahr gewechselt ist, zwei Wochen frei. 13 Männer und eine Frau traten beim Wettbewerb an.
Neben zwei Pflichtaufgaben – einer Flachdachabdeckung mit Bitumen und einer Fassadenschieferdeckung – gab es auch ein sogenanntes Kür- oder Wahlmodell. Der 20-Jährige entschied sich für eine Spitzgaube mit altdeutscher Schiefereindeckung, die für die jungen Fachleute noch genauer gefasst ist und zwar mit rechter eingebundener Sattelkehle, zwanglosem Übergang und Grat. Für die Umsetzung waren sieben Stunden Zeit. Hört sich nach viel an, ist es aber nicht. Tom Seel war klar, dass er richtig Gas geben musste, wenn das Werkstück 100-prozentig werden sollte. Anstrengung und vergossener Schweiß haben sich aber gelohnt – er kam innerhalb der 14-köpfigen Gruppe auf den dritten Platz.
Tom Seel sieht seine berufliche Heimat auch längerfristig im Handwerk
Wie geht es jetzt für ihn weiter? Ursprünglich wollte Tom Seel relativ zügig seinen Meister anschließen, jetzt sagt er aber: „Ich möchte erst mal praktische Erfahrung sammeln.“ Die Ausbildung sei das eine, eine andere Situation sei es, mit zwei oder drei Helfern, Architekt, Bauleiter sowie einem Energieberater auf der Baustelle zu stehen und die entsprechenden Arbeitsschritte zu koordinieren. Um das Gelernte zu verfestigen und die verschiedenen Kniffe sowie seine Problemlösungskompetenz und -kreativität auszubauen, fühlt er sich in seinem Urbacher Betrieb sehr gut aufgehoben.
In rund einem Jahr will er dann seinen Meister in Angriff nehmen – die Vollzeitausbildung läuft über neun Monate. „Später möchte ich als selbstständiger Dachdeckermeister arbeiten“, sagt er. Damit strebt er als Abiturient einen untypischen beruflichen Weg an. Wenn er mit Freunden und Bekannten spricht, bekommt er schon zurückgemeldet, dass diese Entscheidung und Berufswahl besonders sind. Finanziell sei man im Vergleich aber nicht unbedingt schlechter gestellt als bei einem Studium. Klar wird aber auch: Seine Motivation liegt in der Arbeit als solcher: „Wenn der letzte Ziegel gesetzt ist, man später nach oben schaut und sagen kann: ‚Das Dach hab’ ich gemacht‘ und Chef und Kunde zufrieden sind, ist das ein fantastisches Gefühl.“