Traumjob für 14 Monate im ewigen Eis

Der Backnanger Hannes Keck arbeitet als Luftchemiker in der Neumayer-Station in der Antarktis. Um korrekte Luftmessungen vornehmen zu können, muss der Forscher bei Wind und Wetter zweimal täglich in die Eiswüste gehen.

Zu neunt am Ende der Welt. Hannes Keck (vorne links) lobt das gute Miteinander im Team. Mit seinen Kollegen überwintert er auf dem Südkontinent und genießt die Arbeit und die beeindruckende Umgebung in vollen Zügen. Foto: Markus Baden

Zu neunt am Ende der Welt. Hannes Keck (vorne links) lobt das gute Miteinander im Team. Mit seinen Kollegen überwintert er auf dem Südkontinent und genießt die Arbeit und die beeindruckende Umgebung in vollen Zügen. Foto: Markus Baden

Von Matthias Nothstein

Backnang. Die Antarktis gilt als eine der unwirtlichsten Regionen der Erde, die Zahl der Menschen, die jemals ihren Fuß darauf gesetzt haben, ist auch heute trotz aller Technik überschaubar. Einer davon ist Hannes Keck aus dem Backnanger Stadtteil Strümpfelbach. Der 32-Jährige arbeitet als Mitarbeiter des Alfred-Wegener-Instituts seit Mitte Januar für 14 Monate als Luftchemiker auf der Station Neumayer 3, die etwa 20 Kilometer südlich der Schelfeiskante auf dem ewigen Eis liegt. Zusammen mit acht weiteren Personen wird Keck am südlichsten Ende der Welt überwintern.

Inzwischen verwundert es wohl niemand mehr, dass selbst bei diesem Projekt Corona eine Rolle spielt. Um zu verhindern, dass das Virus auf die Station eingeschleppt wird, musste Keck nach der Zwischenlandung in Südafrika zehn Tage in strikte Einzelquarantäne. Zehn Tage ohne jeden direkten Kontakt mit Mitmenschen. Das Essen wurde ihm vor die Hoteltür gestellt und selbst dann musste er noch eine Minute warten, bis er die Tür öffnen durfte. Auch die Weiterreise wurde kurzfristig geändert. Um ganz sicherzugehen, ging es nicht mit dem Flugzeug weiter, sondern mit dem Forschungsschiff Polarstern.

Schon die zehntägige Überfahrt mit dem Schiff vom südlichsten Zipfel Afrikas in Richtung Südpol war spannend, die Polarstern hatte extra ihre Route geändert, um die Forscher an Bord nehmen zu können. Start war bei 30 Grad plus. Bald nach dem Ablegen wurden die ersten Wale gesichtet, ab dem 50. Grad südlicher Breite die ersten Eisberge. Und zum Abschluss der Anreise hieß es Umsteigen in den Hubschrauber, der das Team zur Station brachte. Keck: „Es war ergreifend, erstmals die Schelfeisküste zu sehen und die Pinguine.“

Auf der Station hat sich Keck trotz der vielen neuen Eindrücke schnell eingelebt, „es ist heimelig und ich war verwundert, wie viel Platz und weite Flure es gibt“. Die Station ist immerhin 116 Meter lang. Auch die Zimmer sind geräumig, „man kann es sich schön einrichten“. Zwar sind die Unterkünfte zurzeit noch mit je zwei Personen belegt, aber sobald die Techniker mit dem Ende des Sommers zurückfliegen, bekommt jeder sein Einzelzimmer. Der Arbeitsplatz bietet eine Messe (Kantine), Gemeinschaftszimmer, ein Kino, ein Billardzimmer, Sauna, „alles, was man so braucht, um eine schöne Zeit zu haben“, schwärmt Keck.

Kecks Arbeitsplatz liegt nochmals eineinhalb Kilometer südlich der Station

Wobei sein eigentlicher Arbeitsplatz nochmals eineinhalb Kilometer südlich der Station liegt. Dort untersucht der Luftchemiker in zwei Containern Klimagase und Aerosole. Da fast ständig Südwind herrscht, ist die Luft dort noch nie mit der Zivilisation in Berührung gekommen. Bei der Station selbst gibt es indes bereits Lufteinflüsse, hier fahren Schneemobile hin und her, Heizung und Küche blasen ihre Abluft ins Freie, „das würde schon als Luftverschmutzung zählen“.

Um die wirklich reine Luft analysieren zu können, läuft der Wissenschaftler täglich zweimal zu den Containern. Im Normalfall schafft er das bei schönem Wetter in 20 Minuten. Ganz anders verhält sich das bei Sturm, Windgeschwindigkeiten von 110 Kilometern pro Stunde hat der Backnanger schon in der ersten Woche erlebt. Noch schlimmer ist der Whiteout, also jenes meteorologische Phänomen, bei dem alle Kontraste verschwinden und die Orientierung unmöglich ist. „Dann laufe ich entlang einer Leine, die dort verlegt wurde, sonst hätte ich keine Chance, zum Ziel zu finden. Es gibt keine Sicht und man stolpert ständig, weil man den Kontrast des Untergrunds nicht erkennt.“ Die Strecke an sich ist kein Problem, das Gelände ist komplett eben. Und die wenigen Spalten im Eis sind mit Fahnen gekennzeichnet.

In der intensiven viermonatigen Vorbereitung absolvierte Hannes Keck unter anderem einen Gletscher- und Brandschutzkurs und viele spezifische Weiterbildungen. Foto: Michael Trautmann

In der intensiven viermonatigen Vorbereitung absolvierte Hannes Keck unter anderem einen Gletscher- und Brandschutzkurs und viele spezifische Weiterbildungen. Foto: Michael Trautmann

Mehr Probleme macht das Zeitempfinden. Der Arbeitstag dauert acht Stunden, aber es gibt kein Wochenende und keinen Urlaub. Die Gefahr besteht, dass die Routine die Bewohner belastet, wenn alle Tage gleich sind, zumal es derzeit immer hell ist und im Winter immer dunkel sein wird. So sorgt zumindest der Koch für Orientierung: „Immer montags gibts Pasta und immer freitags Fisch, damit jeder weiß, was heute für ein Tag dann ist.“

Trotzdem nennt Keck seine Arbeit einen Traumjob. Die Anfänge dieser Leidenschaft gehen noch auf die Zeit zurück, als er in Schweden studierte. „Ich mags lieber kälter als zu warm und habe mich in Skandinavien sehr wohlgefühlt und die Gegend oft auf Langlaufski erkundet.“ Die Stille und die Landschaft waren für ihn damals schon beglückend. „Es kam mir die Idee, das vielleicht mit meiner Arbeit zu kombinieren.“ Als er dann noch die beeindruckende Dokumentation über die Polarstern sah, die sich einen Winter lang in der Arktis einfrieren ließ, war sein Entschluss gefasst: „Das gab letztlich den Auslöser, mich zu bewerben.“ Und bereut hat er es noch keine Sekunde. „Ich vermisse nichts. Das Essen ist super und die Landschaft spektakulär.“ Dass die Temperaturen derzeit zwischen minus 2 und minus 12 Grad schwanken, gefällt dem 32-Jährigen, der vom Schnee schwärmt, wenn dieser in der Sonne glitzert, oder von den mächtigen Wolkenformationen, die sich ebenso wie die Eisberge am Horizont spiegeln. Ganz besonders beeindruckend ist für Keck jedoch die Stille: „Wenn man sich bei schönem Wetter etwas abseits hinlegt und kein Wind weht, dann hört man – nichts. Das ist unheimlich schön.“ Nur eines fehlt dem Forscher: „Ich könnte mir vorstellen, dass ich irgendwann einmal Bäume vermissen werde.“ Zu seinem Wohlbefinden trägt auch bei, dass der Kontakt in die Heimat trotz der Entfernung gut funktioniert. Mit seiner Familie und mit Freunden telefoniert er regelmäßig und viel und teilt über WhatsApp die besten Fotos. Zudem hat er sich vorgenommen, einen Blog zu schreiben, „aber noch habe ich zu viel zu tun, vielleicht beginne ich im Winter, dann wird es etwas ruhiger“.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist das gute Miteinander im Kreis der Kollegen. „Wir sind ein außergewöhnlich gutes Team und haben viel Spaß miteinander, wir hatten noch nie einen Konflikt. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass sich keiner wichtiger nimmt als den anderen und jeder jedem mit Respekt begegnet.“

Ungefährlich ist die Abgeschiedenheit aber nicht. Zwar existiert vor Ort eine Piste, auf der kleine Flugzeuge landen können, aber das nur im Sommer und nur für Verpflegung. Demnächst ist die Crew für neun Monate unerreichbar. Beruhigend nur, dass der Arzt vor Ort immer auch Chirurg sein muss und dass es eine Krankenstation gibt, die voll ausgestattet ist. Keck: „Kleine Eingriffe wie etwa ein Blinddarm sind kein Problem.“ Damit es erst gar nicht zu Unfällen und Ähnlichem kommt, gibt es strenge Regeln. So darf niemand alleine weiter weg von der Station als zwei Kilometer. Wer trotzdem etwa zur Schelfeiskante möchte, wo die Gletscher abbrechen und zu riesigen Eisbergen werden, oder wer zur Pinguinkolonie in der sechs Kilometer entfernten Aktabucht will, der muss mindestens zu zweit fahren, sich ins Fahrtenbuch eintragen, eine Survivalbox mit Nahrung, Gas, Zelt und Schlafsack mitnehmen. Hannes Keck will sich für all diese Ausflüge Zeit nehmen, denn schon nach drei Wochen fällt sein erstes Fazit eindeutig aus: „Es ist ein Traum.“

Traumjob für 14 Monate im ewigen Eis

„Ich vermisse nichts. Ich habe alles, was man braucht, um eine schöne Zeit zu haben. Und die Landschaft ist spektakulär.“

Hannes Keck (Luftchemiker), über seinen Aufenthalt in der Antarktis

Institut ist spezialisiert auf die Erforschung der Polargebiete

Zur Person Hannes Keck, 1989 in Stuttgart geboren, aufgewachsen in Leutenbach, in Backnang gemeldet. Ledig, keine Kinder.

Studium und Arbeit Nach dem Studium der Agrarwissenschaften in Gießen zog Keck nach Strümpfelbach und arbeitete in der Schweiz. Für das Masterstudium (Umweltwissenschaften) zog es ihn nach Kopenhagen und Uppsala. In Uppsala arbeitete er einige Jahre. Im Sommer 2021 ging es wieder zurück nach Strümpfelbach. Seither arbeitet er am Alfred-Wegener-Institut.

Team Das Überwinterungsteam besteht aus neun Personen. Die Expeditionsvorbereitungen haben im August begonnen. Themen waren unter anderem auch Konfliktbewältigung und Kommunikation. Das Team besteht aus einer Ärztin (gleichzeitig Stationsleiterin), einem Koch, Elektriker, Ingenieurin, IT-Techniker, zwei Geophysikerinnen, einem Meteorologen und einem Luftchemiker. Die Station ist derzeit noch sehr voll, weil im Sommer nicht nur viele Wissenschaftler vor Ort sind, sondern auch Techniker. Diese heben die Station jedes Jahr etwa einen Meter an, damit diese nicht wie ihre Vorgängerinnen im Schnee versinkt. Dazu steht das Gebäude auf 16 Stelzen, die hydraulisch einmal im Jahr angepasst werden.

Alfred-Wegener-Institut Das nach dem deutschen Polarforscher und Geowissenschaftler Alfred Wegener benannte Institut und Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) ist ein international anerkanntes Forschungsinstitut mit Sitz in Bremerhaven. Es hat sich auf die Erforschung der Polargebiete und der sie umgebenden Meere spezialisiert. Als eine der weltweit wenigen wissenschaftlichen Einrichtungen befasst es sich sowohl mit der Arktis als auch der Antarktis. Aufgrund seiner wissenschaftlichen Ausstattung ist es in der Lage, viele Bereiche des Erdsystems von der Erdatmosphäre bis zum Ozeanboden in die Forschung einzubeziehen. Dabei rückt zunehmend das globale Klimageschehen in den Mittelpunkt der wissenschaftlichen Forschungsarbeit. Das Institut wurde 1980 als Stiftung des öffentlichen Rechts gegründet und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren. Heute arbeiten an vier Standorten rund 1000 Mitarbeiter. Das Budget beträgt 140 Millionen Euro.

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Erstellt:
17. Februar 2022, 11:30 Uhr

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