Trotz Gehörlosigkeit auf dem Weg zum Abi
Seit ihrem dritten Lebensjahr lebt Amelie Grün aus Backnang mit einem Cochlea-Implantat. Jetzt besucht sie das Gymnasium der Paulinenpflege. Dort sind die Klassen kleiner, außerdem sind die Räume schalloptimiert und es ist eine spezielle Hörtechnik vorhanden.
Backnang/Winnenden. Im Prinzip ist Amelie Grün gehörlos – aber sie hört mit Cochlea-Implantat (CI). Ein Cochlea-Implantat ist ein besonderes Hörgerät im Innenohr. Um dieses anzubringen, muss in einer aufwendigen Operation der Schädelknochen geöffnet werden. Bei Amelie Grün aus Backnang wurde diese Operation bereits mit drei Jahren durchgeführt. Außen am Kopf erkennbar ist ein Cochlea-Implantat am Soundprozessor und an der Sendespule. Das eigentliche Implantat befindet sich innen hinter dem Schädelknochen und ist von außen nicht sichtbar.
Für die Familie Grün kam es völlig überraschend, dass ihre Tochter gehörlos geboren wurde. Gehörlosigkeit kam in den Familien ihrer Eltern noch nie vor. Die Großmutter sei es gewesen, der als Erste etwas aufgefallen sei: „Mit dem Mädel stimmt etwas nicht!“ Die Diagnose Gehörlosigkeit war für die Familie zuerst ein Schock. Aber ihre Eltern taten alles dafür, dass ihre Tochter sämtliche medizinischen Möglichkeiten bekommt. Und die hat Amelie genutzt. In etwa zwei Jahren wird sie die Abiturprüfungen schreiben.
In Schwäbisch Gmünd hat sie bereits die mittlere Reife abgelegt
Die 17-Jährige aus Backnang besucht die 11. Klasse des Gymnasiums der Schule beim Jakobsweg in Winnenden. „Ja, ich höre mit CI, aber wie alle CI-Träger eben keineswegs optimal, und in einer normalen Schule mit großen Klassen würde ich keineswegs alles verstehen“, so erklärt Amelie, warum eine besondere Schule für sie wichtig ist. Ihre Schullaufbahn begann in Schwäbisch Gmünd in der Gehörloseneinrichtung St. Josef. Damals fuhr sie jeden Tag von Backnang nach Schwäbisch Gmünd – und kannte folglich kaum Kinder in Backnang. In Schwäbisch Gmünd legte sie die mittlere Reife ab und setzte ihre Schulzeit im Gymnasium der Paulinenpflege Winnenden fort. „Das war endlich nicht so weit weg von Backnang“, erklärt die junge Frau, die auch Handball in der Sportvereinigung Winnenden spielt.
Der Unterschied zwischen dem beruflichen Gymnasium der Paulinenpflege Winnenden zu einer Regelschule besteht unter anderem in den kleineren Klassen, in der vorhandenen Hörtechnik, den schalloptimierten Räumen und im sehr anschaulichen Unterricht.
All das kommt aber genauso auch den „Regelschülern“ zugute, wie die Schülerinnen und Schüler ohne Handicap offiziell genannt werden. „Ja, hier sind Schülerinnen und Schüler mit Handicap gemeinsam mit Regelschülern in einer Klasse“, erklärt Amelie. „Das finde ich sehr gut. Und weil die Klassen so klein sind, ist das Gemeinschaftsgefühl bei uns viel stärker als in einer Regelschule.“ dh
Gehör Bei Normalhörenden wird der Schall über das äußere Ohr zum Trommelfell und von dort über die Gehörknöchelchen des Mittelohrs zum Innenohr geleitet. Hier setzt die flüssigkeitsgefüllte Hörschnecke (Cochlea) die akustische Information in elektrische Impulse um. Das heißt, die Hörschnecke hat vereinfacht ausgedrückt die Funktion eines körpereigenen Mikrofons. Die elektrischen Impulse werden dann über den Hörnerv an das Gehirn weitergeleitet.
Gerät Ein Cochlea-Implantat (CI) ist eine technische Hörprothese, die die Funktion der Hörschnecke in gewissem Maß ersetzen kann. Während ein Hörgerät nur den Schall verstärkt, um so die Sprache für die schwerhörige Person verständlich zu machen, wandelt das CI den Schall in elektrische Impulse um. Diese werden dem Hörnerv in einem bestimmten Muster zugeleitet, das zum Beispiel einem gesprochenen Wort entspricht.
Quelle: Charité Universitätsmedizin Berlin