Tünkram im Wahlkampf
Nicht alle Redebeiträge lohnen die Aufregung. Doch bei der persönlichen Herabsetzung hört der Spaß auf.
Von Eidos Import
Fairness ist die Kunst, sich in den Haaren zu liegen, ohne dabei die Frisur zu zerstören. Aber gilt das auch für das Verhalten im Wahlkampf? Wo Fritze und Olaf, die beiden Hauptkonkurrenten, nebst anderen wirklich Wichtigen oder und wendigen Wichtigtuern nur noch an wenigen Stellen genug Material auf dem Kopf haben, das gestalterisch selbst für einen minimal fantasievollen Haarschnitt gebraucht wird?
Denn der fordernde wie klagende Ruf nach Fairness trifft in der Regel immer nur die anderen. Und oft ist die Empörung größer als der unterstellte Affront. „Tünkram“ hat der Bundeskanzler das genannt, also norddeutsch frei erfundenes Zeug, was der Oppositionsführer im Bundestag auf offener Bühne über ihn und seine Rolle in Europa zum Besten gegeben hat. Mit ein bisschen zu viel Bauchgefühl statt kluger Kopfarbeit. Und „Fritze Merz“ hat er seinen Herausforderer obendrein genannt, von oben herab ganz nach Scholz-Manier. Schon dass Fritz hält der Friedrich für bösartig, das kleine e zum Schluss sorgt dann endgültig für den galligen Rest. Wenn so was auf der Entrüstungsskala schon im oberen Bereich rangiert, müsste man sich über den Verlauf des Wahlkampfes wohl keine Sorgen machen.
Aber das politische Klima in Deutschland heizt sich auf. Der Bundeskanzler – ausgerechnet Mitglied einer Partei, in der einer wie Willy Brandt das Ausmaß von Diffamierungen hautnah erleben und erleiden musste – hat mit seinen unter den Gürtel zielenden Attacken gegen den von ihm geschassten Bundesfinanzminister den Ton vorgegeben. Hat das billig Persönliche guten Argumenten geopfert. Hat gezielte Kränkungen und charakterliche Herabsetzung als grinsendes Stilmittel des Wahlkampfes geadelt. Nach oben offen. Wer auf diesem Niveau kontern will, muss einen drauf setzen. In der Hoffnung auf schmutzige Aufmerksamkeit. Dass da mittlerweile im politischen Spektrum links und rechts Menschen sich lustvoll die Hände reiben, weil sie sich diese in der fake-gesteuerten Beschreibung der Gegner selber nicht mehr schmutzig machen müssen, geht unter den Demokraten im falschen sich Ereifern unter.
Wahlkämpfer müssen polarisieren. Müssen auf sich aufmerksam machen. Müssen originell und unverwechselbar erscheinen wollen. Und ja, sie dürfen ab und zu auch polemisieren. Dürfen zuspitzen und in Maßen übertreiben. Wahlkampf ist Attacke, kein Kaffeekränzchen. Aber er ist vor allem ein Kampf mit guten Argumenten, mit überzeugenden Konzepten, auch mit luftigen Versprechungen – vereinfachend, damit es auch der Letzte begreift, aber nicht auf Lügen bauend. Vor allem nicht: persönlich verletzend.
In den letzten Monaten der unseligen Ampel-Koalition ist offenbar zwischen SPD, Grünen und Liberalen so viel Porzellan zerschlagen, soviel Vertrauen zerstört worden, dass sich der Bundeskanzler noch immer zumindest rhetorisch nicht zu zügeln weiß. Robert Habeck, der grüne Küchentisch-Kandidat, hat es dieser Tage treffend ehrlich so formuliert: „Das Scheitern der Regierung Scholz reicht über die inhaltlichen Differenzen hinaus.“ Und so arbeitet sich der Kanzler weiter an Christian Lindner ab. Unnötig, unversöhnlich, unbelehrbar. Mit dünner Haut und dickem Schädel. Einer gegen alle. Dass es da meistens nur einen Verlierer gibt, liegt in der Natur der Sache.
Gut, dass da ausgerechnet der SPD-Generalsekretär versucht, seine Kollegen und Kolleginnen in den anderen demokratischen Parteien für ein Fairnessabkommen im Wahlkampf zu interessieren. Und schon im Zustand der Attacke daran zu denken, dass am Ende jeder, der regieren will, kompromissbereit sein muss. Es täte allen gut.