Und wer schützt das deutsche Interesse?
Grüne lehnen die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer auch im zweiten Anlauf ab
Was ist eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag wert? Im speziellen Fall: Welche parlamentarische Kraft und politische Wucht haben jene 509 Jastimmen gegenüber den 138 Nein-Kreuzen, wenn es um die Einstufung Tunesiens, Marokkos, Algeriens und Georgiens geht? Bedeutet also das klare Ergebnis der Abstimmung, dass Deutschland einen weiteren wichtigen Schritt gesetzt hat, um seine Asylpolitik pragmatisch auf festere Fundamente zu setzen? Die Frage stellen heißt Zweifel anmelden.
Schließlich ist es ja schon der zweite Versuch des Bundestags, die vier Staaten zu sicheren Herkunftsländern – einem Begriff, der seit 1993 zum deutschen Asylrecht gehört – zu erklären. Danach nimmt der Gesetzgeber in den aufgelisteten Ländern an, dass dort im Regelfall weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. 2017 war die schwarz-rote Koalition mit einem ganz ähnlichen Entwurf gescheitert – und zwar im Bundesrat am Widerstand jener Bundesländer, in denen Grüne und Linke mit dem Anspruch moralischer Alleinstellung mitregieren.
Daran dürfte sich nach jetzigem Stand auch im zweiten Anlauf nichts ändern. Das kompakte Nein der Grünen-Bundestagsfraktion ist im Bundesrat weiter entscheidender als das weitestgehend geschlossene Ja von Union, SPD, FDP und AfD. Die grün mitregierten Ländern verfügen zusammen mit dem von SPD und Linkspartei geführten Brandenburg (wo am 1. September allerdings ein neuer Landtag gewählt wird) über eine Mehrheit von 41 der 69 Stimmen. Selbst für den Fall, dass das grün-schwarze Baden-Württemberg – wo die sicheren Herkunftsstaaten im Koalitionsvertrag vereinbart wurden – dem Gesetz zustimmen sollte: Das betonharte Lager der Einstufungsgegner hätte immer noch die entscheidende eine Stimme Mehrheit.
Dabei wäre das Gesetz nur ein erster Schritt, um nicht nur diesen vier Ländern vor Augen zu führen, dass die Hoffnung vieler Menschen auf eine Zukunft in Deutschland falsch und ihr Asylantrag missbräuchlich gestellt ist. Mag man die Zahlen aus Marokko, Tunesien, Algerien und Georgien in der Gesamtstatistik auch klein nennen (von den rund 174 000 Asylanträgen zwischen Januar und November 2018 wurden laut Bundesinnenministerium nur etwa 3400 von Menschen aus den Maghrebstaaten und knapp 4000 aus Georgien gestellt), so wäre die deutsche Botschaft doch unmissverständlich: Ihr Antrag auf Schutz ist – trotz zugesicherter persönlicher Anhörung – prinzipiell unbegründet. 97 Prozent ihrer Anträge haben eine geringe Erfolgsaussicht. Zudem sorgen die von dem Gesetz beförderten Gespräche mit den drei Maghrebstaaten dafür, dass dort die Bereitschaft nachweislich wächst, Zurückgeschickte aufzunehmen – statt 125 im Jahr 2017 waren es 2018 bis Ende November rund 1500. Dass zudem Migranten aus Marokko, Tunesien und Algerien ohne Visum laut Polizeistatistik in den letzten Jahren deutlich häufiger straffällig waren als Syrer oder Afghanen, darf die Gesamtheit der Betroffenen nicht stigmatisieren, ist aber der Erwähnung wert.
Wie also geht es bei einem Gesetz weiter, das für die Asylrechtsakzeptanz der Bevölkerung nicht ohne Bedeutung sein dürfte? Welches klarstellt, dass Deutschland politisch Verfolgten selbstverständlich Schutz gewährt, aber nicht dauerhaft Zufluchtsort für alle sich bedroht fühlenden Minderheiten, Religionen, Frauen oder Homosexuellen dieser Welt sein kann. Aber wer weiß? Vielleicht setzt sich ja auch bei den Grünen die Einsicht durch, bei allem Migrantenengagement auch die Interessen des eigenen Landes nicht aus den Auge zu verlieren.
wolfgang.molitor@stuttgarter-nachrichten.de