Unsicherheit prägt wirtschaftliches Umfeld

Firmen der Metall- und Elektroindustrie im Rems-Murr-Kreis haben weiterhin mit Auswirkungen der Pandemie und Lieferengpässen zu kämpfen. Einzelne Unternehmen wie das Backnanger Raumfahrtunternehmen Tesat-Spacecom spüren dagegen einen deutlichen Aufwärtstrend.

Betriebsarzt Charles Dazzan organisierte bei Tesat-Spacecom mehrere Corona-Impfaktionen. Archivfoto: A. Becher

© Alexander Becher

Betriebsarzt Charles Dazzan organisierte bei Tesat-Spacecom mehrere Corona-Impfaktionen. Archivfoto: A. Becher

Von Florian Muhl

Rems-Murr. „Das wirtschaftliche Umfeld war selten so von Unsicherheit geprägt wie im Moment“, sagte Michael Prochaska, Vorsitzender der Südwestmetall-Bezirksgruppe Rems-Murr, gestern bei der Vorstellung der aktuellen Umfrage unter Mitgliedsfirmen (siehe Infokasten). Was er sich wünsche? Auf diese Frage hat Prochaska, der Vorstand für die Bereiche Personal und Recht beim Motorsägenhersteller Stihl ist, spontan eine Antwort parat: „Am liebsten wäre mir, dass Corona ganz verschwindet.“ Zudem würde er es begrüßen, wenn es in den Ländern nicht überall unterschiedliche Regelungen geben würde. Da blicke niemand mehr durch, Bürger und Unternehmen seien gleichermaßen verunsichert.

Eine weitere große Herausforderung, vor denen besonders die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (M+E) mittlerweile seit vielen Monaten stünden, seien weltweite Transportprobleme, hohe Energiepreise und der Mangel an Rohstoffen. „Weil insbesondere Vorprodukte wie Halbleiter fehlen, können unsere Unternehmen ihre Auftragsbestände nur sehr verzögert abarbeiten“, sagte Prochaska. Der Vorsitzende der Bezirksgruppe erheiterte die Online-Runde mit einer eigenen schmerzlichen Erfahrung. Nachdem er seinen Autoschlüssel verloren und zudem festgestellt hatte, dass er auch seinen Ersatzschlüssel nicht mehr hat, bestellte er einen neuen. „Letzte Woche habe ich ihn bekommen, nach zehn Monaten Wartezeit.“

Nur in der Elektro-Branche gibt es derzeit keine Kurzarbeit mehr

Weitere Unsicherheiten, neben der Pandemie und den Lieferketten-Problemen, gebe es bezüglich der geopolitischen Lage. „Die birgt enorme Risiken, insbesondere der aktuelle Ukraine-Konflikt“, so Prochaska. „Insofern wird man sehen müssen, ob sich die erwarteten wirtschaftlichen Zuwächse bei den Unternehmen auch tatsächlich materialisieren werden.“ Eine gewichtige Rolle spiele weiterhin auch die Kurzarbeit. 38,5 Prozent der befragten Maschinenbauer hätten derzeit Beschäftigte in Kurzarbeit. Kaum besser sehe es in der Metall-Branche und bei den Automobilzulieferern aus. „Einzig in der Elektro-Branche gibt es überhaupt keine Kurzarbeit mehr.“

Zudem würde man die Mitgliedsunternehmen auch danach befragen, wie sich die Beschäftigtenzahlen voraussichtlich im neuen Jahr entwickeln werden. „Bei einer Gesamtschau stellen wir fest, dass lediglich 25,6 Prozent der Unternehmen steigende Beschäftigtenzahlen erwarten, während 53,5 Prozent von gleichbleibenden Zahlen ausgehen und 20,9 Prozent mit rückläufiger Beschäftigung planen.

Wesentlich optimistischer klangen dagegen die Aussagen von Kerstin Basche. Sie ist Geschäftsführerin beim Backnanger Raumfahrtunternehmen Tesat-Spacecom und dort für die Finanzen verantwortlich. „Wir blicken wirklich sehr, sehr positiv in die Zukunft, also ins Jahr 2022.“ Viele Jahre hatte sich Tesat auf die Herstellung von Elektronikbauteilen für geostationäre Satelliten beschränkt. Seit einigen Jahren baue das Unternehmen seine Produktpalette erfolgreich aus. „Wir gehen im wesentlichen in die optische Kommunikation und stellen ganze Nutzlasten für Telekommunikations- aber auch Erdbeobachtungssatelliten.“ Basche sieht in dem erweiterten Portfolio den Grund dafür, dass sich Tesat von den Jahren 2017 und 2018, als das Unternehmen „auf nicht ganz so validen oder soliden Füßen stand“, erholt hat. „2021 war ein sehr, sehr gutes Jahr, 2020 auch schon“, trotz der Pandemie. Der Grund: Die Raumfahrt ist einem anderen Konjunkturzyklus unterlegen. Im vergangenen Jahr habe Tesat den historisch größten Auftragseingang verzeichnet, nicht zuletzt wegen Aufträgen im Bereich der Galileo-Navigationssatelliten. Und Tesat konnte endlich im größeren Stil in die Laser-Kommunikation einsteigen. Aus den USA gab’s im vergangenen Jahr 34 Aufträge für entsprechende Terminals.

Herausforderung: Fachkräfte finden

„Was Corona angeht sind wir 2020 und 2021 sehr gut durchgekommen“, so die Geschäftsführerin. Es gab keinen einzigen Tag des Stillstands und keine großen Infektionsketten, dank des guten Hygienekonzepts, des Krisenmanagementteams und des ausgezeichneten Betriebsarztes, „der große Impfkampagnen mehr oder weniger im Alleingang für den gesamten Betrieb gestemmt hat“. Auch die Kommunikation mit dem Betriebsrat habe gut funktioniert. „Wir haben in der Zeit sicher ein paar unbürokratische aber sehr, sehr gute Entscheidungen getroffen.“

Auch wenn oder gerade weil zwei sehr erfolgreiche Jahre zurückliegen: „Das hat eine ganze Menge Kraft gekostet.“ Die Mitarbeitenden hätten alle gut mitgezogen und seien überzeugt gewesen, dass sie am Standort sicher seien. „Wir müssen schauen, da den Druck entsprechend herauszunehmen“, zog Basche ein Fazit. Auch wegen der vollen Auftragsbücher habe es einen „exorbitanten Schichtbetrieb“ gegeben, teilweise sei man dreischichtig gefahren. „So hatten wir keinerlei Ausfälle in unseren Lieferketten.“ Wenn es Verzögerungen gegeben habe, dann habe es an Kapazitätsproblemen in der eigenen Mannschaft gelegen. „Das lag daran, das wir zwar eine Menge Mitarbeiter eingestellt haben, aber nicht ganz den Kapazitätsbedarf decken konnten, den wir gesehen haben.“ Das sei jetzt die größte Herausforderung fürs neue Jahr. Derzeit hat Tesat „gut 1100 Mitarbeiter“, wie Basche sagte. Zudem werde das Unternehmen in den Standort investieren, mehr als in den letzten Jahren. Eine große Herausforderung wird sein, qualifizierte Fachkräfte zu finden, weil da der Markt leer sei.

Hintergrund Der Arbeitgeberverband Südwestmetall ist einer der größten industriellen Arbeitgeberverbände Deutschlands. Er vertritt in Baden-Württemberg die arbeitsrechtlichen, tarif-, sozial- und bildungspolitischen Interessen von mehr als 1600 Mitgliedsbetrieben der Metall- und Elektroindustrie. Die Bezirksgruppe Rems-Murr als eine von insgesamt 13 regionalen Vertretungen betreut 96 Mitgliedsbetriebe mit knapp 20000 Beschäftigten im Rems-Murr-Kreis.
Umfrage im Rems-Murr-Kreis: M+E-Unternehmen blicken verhalten optimistisch in die Zukunft

Konjunkturumfrage Einer aktuellen Umfrage der Bezirksgruppe zufolge hoffen und erwarten die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (M+E) nach der enttäuschenden wirtschaftlichen Entwicklung im vergangenen Jahr nun eine Erholung für das laufende Jahr.

Beteiligung An der Umfrage haben sich 43 von insgesamt 70 angeschriebenen Unternehmen beteiligt.

Auftragsbestand Derzeit bezeichnen im Kreis 55,8 Prozent der befragten Unternehmen ihren Auftragsbestand als gut (Vorjahr: 32,4 Prozent). 30,2 Prozent bewerten ihn als befriedigend (27,0) und 14,0 Prozent beurteilen ihn als schlecht (40,5).

Geschäftsentwicklung Angesichts der anhaltenden Lieferkettenprobleme erwartet aber mit 48,8 Prozent weniger als die Hälfte der Unternehmen für 2022 eine ansteigende Geschäftsentwicklung (Vorjahr: 37,8 Prozent). 44,2 Prozent rechnen nur mit einer gleichbleibenden Entwicklung (27,0) und 7,0 Prozent sogar mit einer rückläufigen (35,1 Prozent).

Ertragssituation Ihre Ertragssituation schätzen die Firmen als eher verhalten ein: Nur 32,6 Prozent bezeichnen sie als gut (Vorjahr: 24,3 Prozent), während 39,5 Prozent sie als lediglich befriedigend ansehen (18,9). Mit 27,9 Prozent bewerten mehr als ein Viertel der Unternehmen sie sogar als schlecht (56,8).

Maschinenbau Lediglich 30,8 Prozent erwarten steigende Geschäfte (20,0). Mit 69,2 Prozent rechnen über zwei Drittel nur mit einer gleichbleibenden Geschäftsentwicklung (30,0). Ein großes Problem sind die gestörten Lieferketten: 92,3 Prozent der Unternehmen erklären, dass sie von Lieferengpässen und Materialmangel betroffen sind.

Metallerzeugung In der Metall-Branche erwarten 50,0 Prozent der Unternehmen eine steigende Geschäftsentwicklung (28,6). Ebenfalls 50,0 Prozent prognostizieren eine gleichbleibende Geschäftsentwicklung (28,6). Allerdings sehen sich sogar 100 Prozent der befragten Firmen durch Lieferengpässe und Materialmangel beeinträchtigt.

Elektroindustrie 50,0 Prozent der Unternehmen gehen von steigenden Geschäften aus (66,7) und 50,0 Prozent von gleichbleibenden (16,7). Lieferengpässe und Materialmangel nennen 87,5 Prozent als eine Belastung. 37,5 Prozent bezeichnen ihre Ertragssituation als gut (66,7), aber 50,0 Prozent lediglich als gleichbleibend (0,0).

Fahrzeugbau Bei den Automobilzulieferern rechnen immerhin 71,4 Prozent der Unternehmen mit steigenden Geschäften (50,0) und jeweils 14,3 Prozent mit gleichbleibenden (25,0) oder rückläufigen Geschäften (25,0). Aber ebenfalls 71,4 Prozent der Unternehmen sehen sich von Lieferengpässen und Materialmangel betroffen.

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Erstellt:
9. Februar 2022, 06:00 Uhr

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