Unternehmen im Rems-Murr-Kreis haben kaum mehr Aufträge

Firmen der Metall- und Elektroindustrie im Rems-Murr-Kreis sind mit hohen Energie- und Rohstoffpreisen und Unsicherheit an den Märkten konfrontiert. Nach einem schwierigen Jahr für Tesat stehen die Zeichen des Backnanger Raumfahrtunternehmens jetzt auf Wachstum.

Tesat hat optische Kommunikationsterminals (OCT) an Lockheed Martin geliefert, die das Unternehmen in Kleinsatelliten einbaut. Foto: Tesat

Tesat hat optische Kommunikationsterminals (OCT) an Lockheed Martin geliefert, die das Unternehmen in Kleinsatelliten einbaut. Foto: Tesat

Von Florian Muhl

Rems-Murr. „Die Weltwirtschaft befindet sich in schwierigem Fahrwasser. Das trifft unsere exportorientierte Metall- und Elektroindustrie besonders heftig“, sagte Michael Prochaska, Vorsitzender der Südwestmetall-Bezirksgruppe Rems-Murr, gestern bei der Vorstellung der aktuellen Umfrage unter Mitgliedsfirmen (siehe Infotext). Als Hauptgründe für die weltweite Krise macht Prochaska, der auch Vorstand für die Bereiche Personal und Recht beim Motorsägenhersteller Stihl ist, die geopolitischen Unsicherheiten und massiv gestiegene Finanzierungskosten aus.

„Die Auftragseingänge sind stark rückläufig. Die hauptsächlich während der Coronazeit aufgebauten Auftragspolster verringern sich nun sukzessive und wirken zunehmend weniger als Puffer“, sagte der Bezirksgruppenvorsitzende. Pressereferent Thomas Widder von Südwestmetall Stuttgart drückte das Problem der Branchenfirmen entsprechend der Jahreszeit plakativer aus: „Die Auftragsbestände schmelzen weg wie Schnee in der Sonne.“

Neben globalen Gründen gebe es aber auch viele hausgemachte, warum die Wirtschaft nicht mehr rundlaufe. „Zu hohe Steuern und Sozialabgaben, zu viel Bürokratie, zu geringe öffentliche Investitionen in Zukunftsbereiche sowie ein wachsender Arbeits- und Fachkräftemangel“, erklärte Prochaska. „Unser Land ist dringend reformbedürftig.“ Auch deshalb würden die Unternehmen der Politik in der Umfrage ein schlechtes Zeugnis ausstellen. 48,3 Prozent bewerten die Arbeit der Ampelkoalition mit der Note „5“. 13,8 Prozent geben der Bundesregierung sogar eine „6“, während 34,5 Prozent noch eine „4“ für angemessen halten. „Für eine Versetzung würde dieses Zeugnis wohl kaum ausreichen“, bemerkte der Arbeitgebervertreter.

Hauptgeschäft mit den USA, keine Zusammenarbeit mit Russland und China

„Tesat hat wahrscheinlich in Deutschland den größten zusammenhängenden Raumfahrtstandort“, stellte Tesat-Geschäftsführer Thomas Reinartz gestern sein Unternehmen vor und wartete mit folgenden Zahlen auf: „1100 Mitarbeiter, 60.000 Quadratmeter Fläche, 17.000 Quadratmeter Reinraum, mitten in der Backnanger Innenstadt gelegen und von der Stadt ausdrücklich unterstützt.“ Tesat baue Equipment und qualifiziere Bauteile auch für die großen Missionen wie beispielsweise das Europäische Servicemodul (ESM), also für die nächste Mission zum Mond. „Wir sind in allen Segmenten tätig“, so der Firmenchef. Sein Unternehmen befände sich mitten in der Transformation. „Wir müssen uns weiterentwickeln von einer Programmorganisation hin zu einer produktgetriebenen Organisation.“ Das aber koste Geld. „Wir haben letztes Jahr 20 Millionen investiert in Gebäude und Fertigung, wir werden dieses Jahr wieder mindestens 20 Millionen investieren müssen.“ Das vergangene Jahr bezeichnete Reinartz auf das Unternehmen bezogen als „sehr interessant“. Warum? „Wir haben den größten Auftragswert seit Jahren erreicht, wir haben über 350 Millionen bekommen.“ Mitgeholfen habe die Konzernmutter Airbus, von der wesentliche Aufträge kamen. Der Umsatz allerdings sei hinter den Zielvorstellungen zurückgeblieben. Im vergangenen Jahr hatte der Tesat-Chef noch von einer Vorgabe von 300, 400 Millionen Euro gesprochen. 260 Millionen sind’s letztlich geworden, so wie ein Jahr zuvor auch. Dieses Jahr sollen aber die 300 Millionen erreicht und dann auch stabil gehalten werden. Mit Abstand der wichtigste Markt sei der in den USA. „Die Amerikaner beauftragen alle 15 Monate eine neue Konstellation mit fast 250 Leo-Satelliten.“ Leo steht für „Low Earth Orbit“ und beschreibt die Erdumlaufbahn von niedrig fliegenden, schnell umlaufenden Fernmeldesatelliten. Reinartz wies darauf hin, dass das amerikanische Raumfahrtbudget rund 40 Milliarden Euro betrage. Dort spiele die Musik. Der Tesat-Chef geht aber davon aus, dass das Backnanger Unternehmen auch bei europäischen Programmen zum Zuge kommen wird, um nicht zu stark das Geschäft in die Vereinigten Staaten zu verlagern. Bewusst gibt es keine Geschäfte mit Russland und auch nicht mit China.

„Heute kriegen wir zwölf Monate Entwicklung und müssen einen am Tag bauen“

In Sachen Laserkommunikation habe Tesat das Produktportfolio in den vergangenen ein, zwei Jahren ausgebaut. Die Zeiten haben sich geändert: „Früher haben wir einen Laser alle zwei Jahre zusammengebaut, hat 20 Millionen gekostet, acht Jahre Entwicklung. Heute kriegen wir zwölf Monate Entwicklung und müssen einen am Tag bauen. Ab nächstem Jahr werden wir fünf bis zehn am Tag bauen müssen, wenn die in den Konstellationen kommen.“ Reinartz erklärt das geänderte Vorgehen bei der Entwicklung und Vermarktung: „Früher haben wir ein Projekt gemacht und haben über das Projekt angefangen, Investitionen zu steuern. Heute müssen wir erst investieren und dann sitzt du erst mal mit am Tisch bei Verhandlungen, dass die sagen: O.K., wir glauben, dass ihr in der Lage seid, auf diese Produktionskapazitäten hochzufahren.“

Umfrage im Rems-Murr-Kreis: M+E-Unternehmen blicken äußerst skeptisch auf die wirtschaftliche Entwicklung.

Konjunkturumfrage Das Ergebnis einer aktuellen Umfrage der Südwestmetall-Bezirksgruppe zeigt, dass die Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie (M+E) erneut vor einem sehr herausfordernden Jahr stehen. Weitere Kostenbelastungen sind in dieser Lage kaum zu stemmen.

Beteiligung An der Umfrage haben sich 29 von insgesamt 79 angeschriebenen Unternehmen beteiligt.

Auftragsbestand Derzeit bezeichnen im Kreis 6,9 Prozent der befragten Unternehmen ihren Auftragsbestand als gut (Vorjahr: 42,9 Prozent). 44,8 Prozent bewerten ihn als befriedigend (42,9) und 44,8 Prozent beurteilen ihn als schlecht (14,3).

Geschäftsentwicklung Angesichts des schwierigen konjunkturellen Umfelds erwarten nur 13,8 Prozent der Unternehmen für 2024 eine ansteigende Geschäftsentwicklung (Vorjahr: 17,1 Prozent). 44,8 Prozent rechnen nur mit einer gleichbleibenden (42,9) und annähernd so viele – 37,9 Prozent – sogar mit einer rückläufigen Entwicklung (Vorjahr: 40,0 Prozent).

Ertragssituation Ein ähnliches Bild ergibt sich bei der Ertragssituation: Nur 10,3 Prozent bezeichnen sie als gut (Vorjahr: 20,0 Prozent), während 31,0 Prozent sie immerhin noch als befriedigend ansehen (45,7). Mit 51,7 Prozent bewertet mehr als die Hälfte der Unternehmen sie allerdings als schlecht (34,3).

Maschinenbau Nur 20,0 Prozent erwarten steigende Geschäfte (Vorjahr: 35,7 Prozent). Ebenfalls 40,0 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Geschäftsentwicklung (35,7). Die Ertragssituation in der Branche ist ebenfalls durchwachsen: Nur 10,0 Prozent der Maschinenbauer bezeichnen sie als gut (21,4), aber 50,0 Prozent als schlecht (21,4).

Fahrzeugbau Bei den Automobilzulieferern rechnet kein einziges Unternehmen mit steigenden Geschäften (Vorjahr: 25,0 Prozent), 66,7 Prozent mit gleichbleibenden (25,0). Rückläufige Geschäfte erwartet hingegen ein Drittel der Unternehmen (33,3 Prozent, Vorjahr: 50,0). Keine Firma schätzt die Ertragslage 2024 als gut ein (Vorjahr: 0,0).

Metallerzeugung In der Metallbranche rechnen alle der befragten Unternehmen mit einer rückläufigen Geschäftsentwicklung im neuen Jahr (Vorjahr: 66,7 Prozent). Die Ertragssituation fürs abgelaufene Jahr sieht in der Branche hingegen weniger düster aus: 50,0 Prozent der Unternehmen bewerten sie als gut (Vorjahr: 0,0 Prozent).

Elektroindustrie In der Elektrobranche sieht es nicht viel besser aus. 14,3 Prozent der befragten Firmen gehen von steigenden Geschäften aus (Vorjahr: 0,0 Prozent). 42,9 Prozent rechnen mit einer gleichbleibenden Geschäftsentwicklung (57,1). Ihre Ertragssituation 2023 bezeichnen 0,0 Prozent (14,3) als gut und 57,1 (57,1) als schlecht.

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Erstellt:
13. Januar 2024, 06:00 Uhr

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