Verein Sternenstunde bietet Reittherapie für Kinder an
Der Verein Sternenstunde 2022 e.V. bietet in Kooperation mit Sternentraum 2000 e.V. auf einer Reitanlage in Erdmannhausen Reittherapie für Kinder und Jugendliche an. Auch Emily und Marie-Sophie Kloos aus Sachsenweiler schwingen sich hier regelmäßig aufs Pferd.
Von Kai Wieland
Aspach/Erdmannhausen. In aller Seelenruhe schreitet das Shetlandpony Kelly von einem blauen Hütchen zum nächsten. Seine Reiterin, die fünfjährige Emily Kloos aus Backnang-Sachsenweiler, sitzt dabei entspannt im Sattel und kann sich ganz auf ihre Aufgabe konzentrieren: Unter den Hütchen sind Gegenstände versteckt, etwa ein Ball, Katzenfutter oder ein Hufeisen. Gleich daneben, auf einem parallel dazu aufgebauten Parcours, sitzt ihre neunjährige Schwester Marie-Sophie auf der Quarter-Horse-Stute Nelly und geht dort mit großem Eifer derselben Aufgabe nach. Die Gegenstände auf beiden Seiten bilden jeweils Paare, welche die Geschwister richtig zuordnen und zusammenbringen sollen – was ihnen mit Unterstützung der Reittherapeutin Lisa Blaschke und der Praktikantin Selma Grote auch spielend gelingt.
Die kreative Memory-Variante zu Pferde ist Teil einer Therapieeinheit, die der Verein Sternenstunde mit Sitz in Aspach auf einer von ihm angemieteten Reitanlage in Erdmannhausen anbietet. Carolin Heitz, die den Verein gemeinsam mit der Reittherapeutin Nathalie Dieterich gegründet hat (siehe Infotext), bezeichnet die Anlage und insbesondere die Reithalle als „Sechser im Lotto“. Mit sechs Therapiepferden, darunter zwei Shetlandponys, schenken sie hier insbesondere Kindern und Jugendlichen mit körperlichen, psychischen, mentalen oder sozialen Beeinträchtigungen und Schwierigkeiten eine kleine Auszeit vom Alltag. Der Nutzen der Therapie reiche darüber aber weit hinaus, versichert Carolin Heitz. „Es geht nicht nur darum, ein Kind auf ein Pferd zu setzen und fertig“, widerspricht sie einem Vorurteil, mit dem der Verein bisweilen zu kämpfen habe. „Unsere Pferde leisten eine wichtige und anspruchsvolle Arbeit.“
Drei bis sechs Monate dauere die Ausbildung eines Therapiepferds mindestens, erklärt die Vereinsvorsitzende. Trotzdem sei nicht jedes Pferd für den Einsatz mit Patienten und vor allem Kindern geeignet. „Es gibt Rassen, die vom Wesen cooler und deshalb besser geeignet sind, aber es ist auch eine Charaktersache. Manche Pferde haben da echt Lust drauf und gehen in der Arbeit mit Kindern richtig auf.“ Nicht nur für den Therapieerfolg ist das entscheidend, sondern es trägt auch der Verantwortung Rechnung, welche der Verein für seine Pferde wahrnimmt. „Uns ist wichtig, dass es auch den Tieren Freude macht. Sie sind unsere Partner, nicht unsere Sportgeräte.“
Vielfältige Schicksale und Geschichten
Nelly und Kelly scheinen für ihren Job als Co-Therapeuten jedenfalls wie geschaffen zu sein. Mit im wahrsten Sinn des Wortes tierischer Geduld lassen sie sich vor der Trainingsstunde von Emily und Marie-Sophie striegeln und die Hufe auskratzen, natürlich unter der Aufsicht von Lisa Blaschke. „Fertig?“, fragt sie Emily, die mit einem entschlossenen „Nein!“ widerspricht und die Hände offensichtlich kaum von „ihrem“ Pferd lassen kann. „Sie spricht immer von ihrem Pony“, sagt Mama Simone Kloos schmunzelnd. „Es hört sogar auf Emily.“
Mit Carolin Heitz kam die Bäckereiverkäuferin beim Tierarzt ins Gespräch. Simone Kloos berichtete ihr vom Tethered-Cord-Syndrom, das bei ihrer jüngeren Tochter diagnostiziert wurde. Dieses führt zu Lähmungserscheinungen und beeinträchtigt auch Emilys Wachstum in der Hüfte und in den Beinen, weswegen sie Orthesen trägt. Heitz lud die Familie daraufhin zur Reittherapie ein und damit die ebenfalls pferdebegeisterte Marie-Sophie nicht im Schatten zurückbleibt, integriert Lisa Blaschke sie bisweilen ebenfalls in die Stunde. „Das machen wir in Ausnahmefällen, weil die Geschwister von Kindern mit schwerwiegenden Diagnosen oft in den Hintergrund treten, dabei aber selbst ihr Päckchen zu tragen haben“, erklärt Blaschke. Auch für die Geschwisterbeziehung sei es in diesem Fall förderlich, wenn die beiden ab und zu eine gemeinsame Stunde erleben.
Die Geschichten, welche die jungen Menschen zu ihnen führen, seien vielfältig, sagt Carolin Heitz. Für Kinder mit ADHS oder Sprachstörungen sei die Therapieform ebenso geeignet wie für Kinder mit körperlichen Behinderungen. „Derzeit haben wir beispielsweise viele Anfragen aus dem Bereich Autismus.“ Auch sehr schwere Schicksale bis hin zur Hospizbegleitung seien darunter. „Ich nehme diese Geschichten immer mit nach Hause, deswegen halte ich mich eher an die Büroarbeit“, sagt Heitz. „Ich bin deshalb stolz, dass wir so tolle Leute wie Lisa haben, die damit umgehen können.“
Rund ein Jahr dauert die Ausbildung zur Reittherapeutin
Weitere Themen
Das Distanzieren sei oftmals nicht einfach, bestätigt Lisa Blaschke. Nach der Promotion im naturwissenschaftlichen Bereich entschied sich die junge Frau dafür, den Heilpraktiker zu machen und schließlich aufgrund ihrer eigenen Passion für die Vierbeiner diesen Weg einzuschlagen. „Ich hatte ja gesehen, dass mein Gehirn gut funktioniert“, sagt sie augenzwinkernd. „Mir haben aber Bauch und Herz dabei gefehlt.“ Rund ein Jahr dauerte die Ausbildung zur Reittherapeutin an einem privaten Ausbildungsinstitut. „Das läuft nicht über die IHK, aber es gibt Verbände, die nach Qualitätsstandards zertifizieren“, erklärt Blaschke.
Bei der institutionellen Anerkennung der Therapieform ist generell noch Luft nach oben. Von den gesetzlichen Krankenkassen werde die Leistung nicht übernommen, so Heitz. Aus diesem Grund ist der Verein stets auf Spenden angewiesen, profitiert aber vor allem von einem Kooperationsvertrag mit dem Verein Sternentraum (siehe Infotext). „Da sind wir super aufgestellt“, freut sich Heitz. „Unser Kooperationspartner finanziert uns 50 Therapieplätze, wobei auch die meisten Familien sich an den Kosten beteiligen wollen.“
36 Einzeltherapien werden vom Verein aktuell geleistet, dazu kommen eine integrative Gruppentherapie für acht Kinder mit und ohne Behinderung, ein Angebot für Jugendliche aus den Rems-Murr-Kliniken sowie Besuche mit den Shetlandponys im Altenheim – bei denen diese auch mal mit dem Aufzug zu den Patienten fahren.
Zum Ende der Stunde schwingt sich Emily gekonnt selbstständig aus dem Sattel, Kelly darf doch eine Runde durch die Halle wetzen. Marie-Sophie möchte am liebsten weitermachen, doch das nächste Kind wartet bereits auf seinen Moment.
Manchmal schaue sie sich in der Reithalle um und könne selbst kaum glauben, wie schnell aus einer Idee dieses großartige Projekt gewachsen sei, sagt Heitz. Es zeigt einmal mehr: Es lohnt sich immer, wieder aufs Pferd zu steigen – im übertragenen, manchmal aber auch im wörtlichen Sinn.
Gründung Über eine Freundin, die nach einem Reitunfall querschnittsgelähmt war, lernte Carolin Heitz die Reittherapeutin Nathalie Dieterich kennen. Diese arbeitete mit dem Verein Sternentraum aus Backnang zusammen, der den vielen Anfragen nach Reittherapien irgendwann aber nicht mehr nachkommen konnte. Aus einem Schicksalsmoment heraus, in dem Nathalie Dieterich zwei langjährige Therapiepferde einschläfern lassen musste, fassten die beiden Frauen im Jahr 2022 den Entschluss, einen eigenen Verein zu gründen.
Behandlungsfelder Das Angebot des Vereins richtet sich vorwiegend an Kinder und Jugendliche mit körperlichen und/oder geistigen Behinderungen, seelischen Beeinträchtigungen, sozialen Problemen, Entwicklungsschwierigkeiten oder in Lebenskrisen bis hin zur Hospizbegleitung. Darüber hinaus besucht der Verein auch beispielsweise Altenheime.
Ziele Im Rahmen der Therapie soll die kindliche Kompetenz gesteigert und damit Kreativität, Lernmotivation und Eigenverantwortung gefördert werden. Die Patienten sollen die Chance auf Selbstliebe, Sicherheit und Geistesentfaltung erfahren und ihre Ressourcen sollen gestärkt werden.
Kontakt Der Verein bietet seine Stunden auf der Reitanlage Schmierer in Erdmannhausen (Weihinger Weg 111) an. Weitere Infos findet man auf Instagram unter @sternenstunde_ 2022e.v sowie auf Facebook unter Sternenstunde2022e.V. Der Verein kann auch per E-Mail unter Sternenstunde2022@gmail.com kontaktiert werden.