Vertreibung aus dem Paradies
Politiker und Bürger haben sich zu sehr daran gewöhnt, dass die Steuereinnahmen sprudeln
SteuernDer Haushalt von Finanzminister Scholz blendet zu viele Probleme aus.
Es gehört zur Jobbeschreibung eines Finanzministers, dass er Empörung und Kritik von allen Seiten ertragen muss. Der einstige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück brachte das einmal auf den Nenner, in diesem Amt habe man die „prädestinierte Arschkarte“. So gesehen erlebt der gegenwärtige Amtsinhaber Olaf Scholz nichts Außergewöhnliches: Am Montag verschickte der Sozialdemokrat seine Eckwerte für den Haushalt 2020 ans Kanzleramt – mitsamt der Planung für die kommenden Jahre. An diesem Mittwoch wird sich das Bundeskabinett erstmals mit der Vorlage befassen.
Seine Kollegen werden nicht den Daumen senken. Das Zahlenwerk ist gründlich vorbereitet, auch in Absprache mit den anderen Häusern. Trotzdem ist der Aufschrei wieder groß: Die Verteidigungspolitiker wollen mehr Geld für die Verteidigung, die Entwicklungspolitiker mehr für die Entwicklung. Länder und Kommunen sind gegen Kürzungen bei der Flüchtlingshilfe. Die Wirtschaft klagt, es werde zu viel Geld ins Soziale und zu wenig in die Forschung gesteckt. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Das alles ist Teil der üblichen Auseinandersetzung. Klagen gehört zum Geschäft und Klappern zum Handwerk. Scholzens Papier ist erst einmal ein Entwurf. Den Bundeshaushalt legt nicht die Regierung fest, sondern der Bundestag. Das Ringen ums Geld hat gerade erst begonnen. Im parlamentarischen Verfahren wird noch vieles geschehen. Die entscheidenden Abstimmungen über den Haushalt 2020 sind für Ende November geplant. So läuft das jedes Jahr.
Und doch gibt es diesmal einen gewaltigen Unterschied: Politik und Bürger erleben gerade ihre Vertreibung aus dem Paradies. In Zeiten der Hochkonjunktur hat sich die Republik daran gewöhnt, dass die Steuereinnahmen sprudeln, und zwar nicht alle, aber doch sehr viele Wünsche vom Staat erfüllt werden können. Nun verliert die Wirtschaft hierzulande deutlich an Schwung, wie die Wirtschaftsweisen am Dienstag noch einmal betonten. Der Bund muss seine Ausgaben anpassen. Im Finanzministerium ist bereits vom „Kohle-Ausstieg“ die Rede, womit nicht der klimaschädliche Brennstoff gemeint ist, sondern das liebe Geld.
Scholz geht mit seinen Planungen für die kommenden Jahre also ein beträchtliches Risiko ein. Oberstes Ziel ist es, die schwarze Null zu halten, also ohne neue Kredite auszukommen. Das ist gewissermaßen Teil der Staatsräson. Aber Scholz will es auch jenen zeigen, die behaupten, dass Sozialdemokraten nicht mit Geld umgehen können und immer nur neue Schulden machen.
Dafür greift der Finanzminister tief in die Trickkiste. Er kalkuliert damit, dass die Ressorts ihr gesamtes Geld gar nicht ausgeben. Zugleich baut Scholz Schritt für Schritt die Asylrücklage ab – rund 35 Milliarden Euro. Das Nato-Ziel, wonach alle Mitgliedstaaten bis zur Mitte des kommenden Jahrzehnts annähernd zwei Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben sollen, schlägt der Minister kurzerhand in den Wind – was US-Botschafter Richard Grenell wieder mal ganz undiplomatisch auf die Palme bringt. Für den Fall eines harten, also ungeregelten Brexits gibt es keine Vorkehrungen. Das Gleiche gilt für kostspielige Pläne im Bereich der Sozialpolitik, insbesondere die von der SPD geforderte Grundrente. Von Steuersenkungen, wie sie die Wirtschaft will, ist keine Rede.
„Es wird schon irgendwie gut gehen“ könnte die Überschrift für Scholz’ Finanzplanung lauten. Das ist eine sehr optimistische Herangehensweise. Etwas anderes ist in einem Wahljahr aber kaum zu erwarten.
thorsten.knuf@stzn.de