Vielfalt als Bereicherung: Scora-Projekttage in der Eduard-Breuninger-Schule

Drei Tage lang beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte der EBS Backnang intensiv mit Rassismus und Antisemitismus. Im Rahmen der sogenannten Scora-Projekttage entdecken sie auch, wie erschreckend präsent diese Themen sind, obwohl man es vielleicht gar nicht immer bemerkt.

Robert Ogman referierte über das jüdische Leben in Deutschland in der Aula der Eduard-Breuninger-Schule Backnang. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Robert Ogman referierte über das jüdische Leben in Deutschland in der Aula der Eduard-Breuninger-Schule Backnang. Foto: Alexander Becher

Von Simone Schneider-Seebeck

Backnang. Unübersehbar steht der Pavillon im Eingangsbereich der Eduard-Breuninger-Schule. Die bunten Scora-Flyer machen gleich klar, worum es hier geht – das Projekt „Schools opposing Racism and Antisemitism“. Die kaufmännische Schule ist eine von 15 Schulen des Regierungsbezirks Stuttgart, die an diesem Projekt teilnehmen dürfen. Bereits im März 2020 hatte das erste Kontaktseminar in Israel stattgefunden, musste aber vorzeitig aufgrund des Ausbruchs der Coronapandemie verkürzt werden, wie Rektor Wolfgang Waigel erzählt.

Dennoch habe man in den vergangenen zweieinhalb Jahren viel gemeinsam auf die Beine stellen können – wie nun auch an den verschiedenen Ausstellungen im Schulhaus zu sehen ist. Etwa die Plakate, die die beteiligten Schulen zum Thema jüdisches Leben erstellt haben und die als Wanderausstellung seit Juli 2022 unterwegs sind, oder eine Bücherausstellung. Erst vor zwei Wochen hatte eine israelische Delegation der Partnerschule der Eduard-Breuninger-Schule einen Besuch abgestattet.

In den vergangenen drei Tage konnten nun die Scora-Projekttage stattfinden. Zahlreiche Veranstaltungen, Vorträge und Workshops luden die 850 Schülerinnen und Schüler sowie die 65 Lehrkräfte dazu ein, sich intensiv mit den Themen Antisemitismus und Rassismus zu beschäftigen. Auch im Unterricht war dies Gegenstand. Ein gesellschaftspolitisch sehr wichtiges Thema, denn das Zusammenleben von Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen fordert immer heraus. Die Vielfalt als Bereicherung und Chance wahrzunehmen und nicht als Bedrohung, das ist das Ziel des Scora-Projekts.

Ausgrenzung und Verfolgung am Beispiel der Gestapo-Zentrale in Stuttgart

Leon und Jakob haben den Workshop „Ausgrenzung und Verfolgung am Beispiel der Gestapo-Zentrale in Stuttgart (Hotel Silber)“ besucht. Interessant dabei ist die andere Sichtweise, denn hier geht es um die Geschichte der Täter. In Kleingruppen wurden die einzelnen Räume bearbeitet und vorgestellt, so etwa die Deportation der jüdischen Bewohner. „Da wurden Leute wie Dinge beschrieben“, erinnert sich Jakob an einen Erlass der Geheimen Staatspolizei (Gestapo). Es sei schon etwas anderes, wenn man erfährt, dass es direkt vor der Haustür passiert, finden die beiden in Anspielung auf das KZ in Welzheim. In Naslis Workshop beschäftigte man sich mit Quararo – einem Demokratielernspiel, bei dem es um Entscheidungen geht, die mithilfe einer vorher bestimmten Wahlform zu bestimmten Fällen getroffen werden, etwa wie per Mehrheitswahl. „Ich fand es sehr, sehr interessant, weil jeder eine andere Meinung gehabt hat. Jeder hat in diesem Fall anders gedacht.“

Stolpersteine waren das Thema von Tülin und Kai. Im Zuge dessen forschten sie im Cannstatter Stadtarchiv intensiv nach der Künstlerin Alice Haarburger. Dabei fiel etwa auf, dass sie ab 1941 mit dem zusätzlichen Namen Sarah gelistet und ab 1942 nicht mehr in den sogenannten Judenlisten geführt wurde. In den damaligen Telefonbüchern gab es extra Spalten, in denen die jüdischen Bewohner Stuttgarts vermerkt und so auf einen Blick erkennbar waren. „Sie wurden schon im Telefonbuch ausgegrenzt“, sagt Tülin. Erschüttert zeigen sich beide über die Deportationspläne, die ebenfalls im Archiv zu lesen sind. „Es war schwer zu lesen, weil dieser Plan durchgeführt wurde“, ergänzt Tülin.

Wie entwickelte sich der Judenhass?

Zum Thema Antisemitismus diskutierte Bless mit seiner Klasse gemeinsam mit einem jüdischen und einem muslimischen Studenten. Wie entwickelte sich der Judenhass und was waren die Folgen? Auf die Frage von Bless, ob der jüdische Student selbst antisemitische Erfahrungen gemacht habe, hatte die Antwort gelautet: „Er hat erst mit 18 Jahren seinen Freunden gesagt, dass er Jude sei, weil er Angst hatte, dass etwas passieren könnte.“

In Julias Workshop ging es um Verschwörungstheorien und Fake News. Viele hätten sich zu Beginn gefragt, was dies denn mit dem Thema Rassismus und Antisemitismus zu tun habe, doch sei dies im Laufe der Diskussionen ersichtlich geworden. Denn Verschwörungstheorien bieten scheinbar einfache Erklärungen für Geschehnisse, die man nicht so leicht erklären könne. Und damit könnten Menschen oft schlecht umgehen. Erschreckend sei, dass heutzutage dieses Phänomen schon fast alltäglich sei. „Es ist krass zu sehen, wie uns das beeinflusst“, so Julia. Der Workshop habe dazu beigetragen, dass man etwas Gutes mitnehmen könne.

Demografie und Geschichte von Israel

Leni und Floré werden Anfang November zusammen mit Caroline Fehr, die das Gespräch moderierte, nach Israel zur Partnerschule reisen. In dem von ihnen besuchten Workshop ging es daher um Israel an sich, die Geografie, die Demografie und die Geschichte des Landes. Erschreckend fanden es beide, dass viele eindeutig antisemitische Aussagen auch heute noch in der deutschen Bevölkerung als vollkommen normal angesehen werden, wie eine Umfrage gezeigt hatte. Auch der Nahostkonflikt war ein Thema und sie haben festgestellt: „Es ist schwierig und kompliziert. Wir haben gemerkt, wie schwierig es ist, dazu eine Aussage zu machen. Es war auf jeden Fall gut, etwas über die Hintergründe zu erfahren.“

Ein spannender Vortrag über jüdisches Leben heute rundete die Projekttage ab. Robert Ogman, in New York geboren, seit etwa 15 Jahren in Deutschland und Bildungsreferent der Landeszentrale für politische Bildung, zeigte anschaulich die Geschichte des Judentums auf. Dabei bediente er sich kleiner filmischer Beiträge aus verschiedenen Bereichen, etwa Musikclips, Gespräche, Originalaussagen und bezog dabei auch das Publikum mit ein, etwa als es um die Sprache des Liedes „Mayn Shtetele Belz“ ging.

Manches klingt vertraut, anderes fremd – Jiddisch als Verschmelzung zwischen hebräischer und deutscher Sprache. Eindringlich auch sein Appell zu Beginn seines Vortrags: „Wir sind keine Opfer. Wir wurden nur in bestimmten Situationen zu Opfern gemacht.“ Daher solle man Juden auch nicht nur auf die drei großen Themen Nahostkonflikt, Shoah und Antisemitismus beschränken. „Wir gucken nach vorn!“

Daten und Fakten zum Scora-Projekt

Konzept Im Februar 2019 entstand in einem Gespräch zwischen Giora Salz, dem Landrat des Oberen Galiläa, und der Abteilungspräsidentin Schule und Bildung Claudia Rugart die Idee, zehn neue Schulpartnerschaften zwischen israelischen Schulen und Schulen im Regierungsbezirk Stuttgart ins Leben zu rufen. Ziel sollte es sein, nicht nur die unmittelbare Begegnung zwischen den Jugendlichen, den Lehrerinnen und Lehrern und auch den Schulleitungen zu ermöglichen, vielmehr sollten alle Partnerschulen gemeinsam ein pädagogisches Konzept entwickeln, dem sie sich verpflichten würden. Kern dieses Konzepts ist die Weiterentwicklung der Schulkultur, in der alle am Schulleben Beteiligten Antisemitismus und Rassismus und auch andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten nicht tolerieren und eine Kultur prägen, in der Vielfalt und Unterschiedlichkeit begrüßt und als Bereicherung verstanden werden.

Termine Vom 12. bis 14. Oktober fanden die ersten Scora-Projekttage in der Eduard-Breuninger-Schule statt. Diese stehen auch in Zusammenhang mit der Schulpartnerschaft mit der Atid Raziel School Herzeliya (nördlich von Tel Aviv). Seit fast einem Jahr haben sich die Schülerinnen und Schüler beider Schulen häufig in digitalen Formaten getroffen und ausgetauscht. Beide Schulen sind entschlossen, daraus auch eine „richtige“ Partnerschaft mit regelmäßigen Schüleraustauschen und entsprechenden Mobilitäten werden zu lassen. Die erste Reise startet am 2. November. Der Rems-Murr-Kreis als Schulträger unterstützt den Austausch mit 130 Euro pro Person.

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Erstellt:
15. Oktober 2022, 06:00 Uhr

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