Weinstube Kunberger: Von der Spelunke zu Backnangs kultiger Stammkneipe
Nachtleben in alten Zeiten (11) In den 70er- und 80er-Jahren war die Weinstube Kunberger des griechischen Wirtsehepaars Dimitros und Despina Siasiakis für viele Menschen aus dem Raum Backnang das Kultlokal. 1991 – nach 17 Jahren – musste „Mitsos“ aber schließen.
Von Florian Muhl
Backnang. Es ist der 31. August 1991. An diesem Samstag drängen sich einige Hundert Menschen auf dem Marktplatz und vor der Gaststätte Kunberger. Es ist dort so voll wie sonst am Straßenfest. Der Grund ist ein erfreulicher, der Anlass umso trauriger: Das griechische Wirtsehepaar Dimitros „Mitsos“ und Despina Siasiakis feiert zusammen mit Freunden und Gästen ein großes Abschiedsfest. Die beiden heute 85- und 87-Jährigen waren damals schon zu einer Art Institution geworden. Nach 17 Jahren musste der Wirt, der von vielen auch „Mitsou“ genannt wird – eine Anspielung sowohl auf den Vornamen des Griechen wie auch auf den Ruhetag am Mittwoch (Mitzu) – seine Weinstube aus finanziellen Gründen schließen, weil die Pacht verdoppelt werden sollte, wie sich der Wirt erinnert. Damals trauerten viele Stammgäste um das Lokal mit den beliebten Pächtern (siehe auch Infotext unten).
Zeitsprung. Es ist der 8. November 1952, als ein Bericht in der BKZ mit folgenden Zeilen beginnt: „Eines der schönsten Motive, das den Fremden beim Betreten unserer Stadt überraschend zu fesseln vermag, ist der Blick von der Treppe beim Marktplatz auf das Rathaus, das von einem Kranz von Giebelhäusern im Rund malerisch umsäumt wird. Und aus dieser Häusergruppe hebt sich das Fachwerk der Weinstube Kunberger reizvoll ab.“ Der Grund für den Bericht: Die Familie Kunberger, die damals seit nahezu 150 Jahren das Haus im Familienbesitz hatte, entschloss sich zum Freilegen des Fachwerks und ließ den ursprünglichen Zustand der malerischen Außenfront wieder herstellen. Ein Schmuckstück war entstanden.
Der harte Weg von der Spelunkezum gut gehenden Kultlokal
Rund 20 Jahre später. Die einst liebliche Weinstube ist zur Spelunke verkommen. Mitsos, der zu dieser Zeit mit seiner Frau einen Lebensmittelladen im Seelacher Weg betrieb, diesen aber wegen harter Konkurrenz aufgeben musste, suchte nach einem neuen Standbein. Da kam ihm die Info der damaligen Kunberger-Pächterin gerade recht, dass sie zurück nach Griechenland gehen wolle. Zusammen mit einem befreundeten Automatenaufsteller, der finanziell besser gestellt war, hat Mitsos die Kaution von 30000 Mark stemmen können und den Pachtvertrag im Jahr 1974 erhalten.
„Der Anfang war schlecht“, erinnert sich Mitsos. Denn den Kundenstamm hat er zunächst auch übernommen. „Da waren nur Drogen, Kartenspieler, Säufer, alles Verrückte, ein schlechtes Miteinander.“ Der neue Wirt hat sich das nur kurz angeschaut, dann ein Machtwort gesprochen: „Ich bin hier der Chef. Die nicht mit meinen Regeln einverstanden sind, sollen rausgehen.“ Jeder, der sich gegen Mitsos gestellt hat, erhielt Hausverbot. Die Folge: „Dann war’s total leer. Nur 50 bis 70 Mark Umsatz am Tag.“ Krisenstab im Hause Siasiakis. Die neue Strategie: Despina, die zu der Zeit noch in Waiblingen arbeitete, kam nach rund einem halben Jahr zurück und übernahm die Küche. Und Mitsos sagte: „Ich muss eine neue Atmosphäre schaffen und neue Gäste anlocken.“ Der Kunberger-Wirt ist dann zum Club Junges Europa (CJE) gegangen, hat sich vorgestellt und Werbung in eigener Sache gemacht. Diese Werbeaktion hat schließlich Früchte getragen. Nach einer Durststrecke von über einem Jahr hat sich die Gaststube wieder langsam gefüllt.
Stets ist es friedlich zugegangen
„Er hat ja öfters Probleme mit der Polizei gehabt“, erinnert sich Wolfgang, eines der Urgesteine, den alle treuen Gäste unter dem Spitznamen „Cochise“ kennen. „Da war’s Zweie, Dreie, dann ist die Polizei gekommen und Mitsos hat Strafe zahlen müssen“, erzählt der 73-Jährige. Stets sei es friedlich zugegangen, „Schlägereien waren nie ein Thema“. Er erinnert sich noch an die Sitzordnung: „Unten sind die Alternativen und Punks gehockt und hinten oben, eine Stufe höher, die Normalen.“ Und dann sei gleich rechts im Eck auch eine Rock-Ola-Musikbox gestanden. Da protestiert Mitsos: „Da waren alle drin, Deutsche, Jugos, Türken und Griechen waren drin.“ Der Wirt erinnert sich an ganz besondere Gäste: „Die kamen zu dritt von einer Baustelle und einer hatte ein Riesenaquarium dabei, mit einer Forelle drin.“ Erwin habe der geheißen. „Der hat gesagt: ‚Kannst du mir die grillen?‘, und hat auf die Forelle gezeigt.“ Mitsos nahm das zunächst für bare Münze und habe dann erst gemerkt, dass es im Spaß gesagt war..
Einer der ersten und noch immer treuen Mitsos-Gäste ist Werner Mögle. Im Alter von 21 hat der gelernte Elektromechaniker zusammen mit einem Arbeitskollegen und Kumpel erstmals die drei Treppenstufen zum Kunberger bestiegen, „weil wir das Lokal mal ausprobieren wollten“. Sein Eindruck: „Da bist du reingekommen – und die Bude ist einfach gelaufen. Das war wie ein Jugendtreff. Mitsos hat die Jungen hergezogen und das war ein bisschen alternativ. Er hat auch Diskussionen angestoßen.“ Besonders hat dem heute 70-Jährigen das unproblematische Miteinander gefallen. „Ich konnte mich, auch wenn ich niemanden gekannt hab’, einfach an einen Tisch dazusetzen und war integriert, das war offen und das war neu und schön.“
Die Beilage von Despina,ob groß oder klein, war legendär
Rustikal sei die Einrichtung gewesen. „Das Klo war berüchtigt. Das war schon sehr, sehr einfach. Das war damals nicht im Keller wie heute, sondern am Ende vom Tresen links“, erinnert sich Werner Mögle. „Und die Kneipe war schon ein bisschen abgeratzt, die Balken waren noch nicht so schön freigelegt, es war dunkel gehalten mit alten Tischen“, so der gebürtige Backnanger. Aber man habe in Gruppen von rund zehn Leuten gemütlich zusammengesessen. Auch er erinnert sich an die Musikbox. „Aber die war nicht wichtig, es wurde ja nicht getanzt und die wurde auch nicht so arg in Betrieb genommen.“
Was es an Speisen gab, weiß Werner Mögle noch: „Da gab’s die Beilage und die war Kult. Mitsos’ Sohn Ata hatte ein Schild über den Tresen aufgehängt: ‚Wer Despinas Beilage nachmacht oder fälscht oder nachgemachte oder gefälschte in Umlauf setzt und zum Verzehr bringt, wird mit Lokalverbot bestraft‘, oder so ähnlich.“ Auch an die Probleme, die Mitsos mit der Polizeistunde hatte, kann sich der 70-Jährige erinnern. Und an Carmen Grabowski von Casa Carmen (ehemals Deutscher Kaiser), die auf den Tischen getanzt habe. „Die war damals schwer aktiv.“ Und plötzlich sollte Schluss sein mit der guten Wohnstube. Werner Mögle hat die Abschlussparty noch vor Augen: „Die Marktstraße war blockiert, da ist die Polizei angekommen.“ Und jetzt, nach der Feier? „Das war dramatisch: Ein Jahr Kneipensuche, findet man sich wieder?“
Infos und Fotos erwünscht Für unsere nächsten Folgen, die sich Lokalen wie Onkel Toms Hütte und Casa Carmen (Deutscher Kaiser) sowie Diskotheken wie Gerberstube, Living und Old Dad widmen, suchen wir noch Fotos und Anekdoten. Schreiben Sie uns per E-Mail an redaktion@bkz.de.Trauer „Wir trauern um unsere Stammkneipe.“ Unter diesem Motto haben rund 700 Personen am 29. Juni 1991 eine großformatige Anzeige in der BKZ geschaltet. Der Anzeigentext lautete wie folgt: „Bittere Umstände und für Mitsou unerfüllbare Forderungen führen zum Ende einer Ära in der Backnanger Kneipenkultur. Drei Generationen Jugendlicher und Junggebliebener wurden 17 Jahre von unseren griechischen Freunden Despina, Mitsou, Christos, Atanasi und anderen herzlichst bewirtet. Dies soll nun abrupt vorbei sein. Wir wünschen uns, daß ,das Mitsou‘, dieses Stück Mittelmeer in Backnang, eine neue Bleibe findet und unser Anliegen von vielen Seiten tatkräftig unterstützt wird. Die Freunde und Besucher der Weinstube Kunberger.“
Eröffnung Nach einem langen Hickhack können Mitsos und Despina 1992 die Pils- und Weinstube „Zur Uhr“ eröffnen. Der 85-Jährige kann sich noch genau erinnern, als wäre es gestern. Dabei liegt die aufregende Zeit der Eröffnung seiner Gaststätte schon 31 Jahre zurück. „Am 5. Juni hab ich für die Handwerker aufgemacht, am 6. Juni war dann die offizielle Eröffnung.“ Eine riesige Fangemeinde atmete damals auf. In der Gaststätte „Zur Uhr“ hatte David Beil im August 1877 ein Lokal eröffnet, dass bis 1929 existierte. Danach wurde das Haus als Wohnraum genutzt.
Tradition Petra Wolf, die die Weinstube Kunberger seit beinahe zwölf Jahren betreibt, hält an der langjährigen Geschichte des Fachwerkhauses fest.