Waiblinger steht wegen versuchten Totschlags an Ärztin vor dem Stuttgarter Landgericht

Als klar war, dass ein Richter wegen Zwangseinweisung kommt, rastete ein Patient im Zentrum für Psychiatrie in Winnenden aus.

Der Fall des 31-jährigen Waiblingers wird vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Archivfoto: Alexander Becher

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Der Fall des 31-jährigen Waiblingers wird vor dem Stuttgarter Landgericht verhandelt. Archivfoto: Alexander Becher

Von Heike Rommel

Winnenden/Waiblingen/Stuttgart. Wegen versuchten Totschlags an einer 61-jährigen Ärztin des Winnender Zentrums für Psychiatrie steht ein 31-jähriger Waiblinger vor dem Stuttgarter Landgericht. Die Anklageschrift umfasst noch weitere Tatvorwürfe. Vor der Schwurgerichtskammer unter Vorsitz von Richter Norbert Winkelmann geht es nicht um eine Bestrafung des Angeschuldigten, sondern darum, ob dessen Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet wird oder nicht. Der Mann leidet an paranoider Schizophrenie und ist deshalb schuldunfähig. Der Staatsanwalt legte dem 31-Jährigen zur Last, am 15. Dezember gegen 23 Uhr seine 53-jährige Mutter mit Faustschlägen und Fußtritten so zugerichtet zu haben, dass diese ins Rems-Murr-Klinikum eingeliefert werden musste. Die Prügel bekamen in dem Waiblinger Wohnhaus Nachbarn mit und alarmierten die Polizei, welche den Angeklagten erst gar nicht mit aufs Revier nahm, sondern gleich ins ZfP brachte. In einem Isolationszimmer soll dieser zunächst einmal einem Pfleger eine Platzwunde am Kopf verpasst haben, bevor er mit den Fäusten gegen den Kopf der Ärztin geschlagen habe. Die Ärztin sei zu Boden gegangen und habe sich dabei das Handgelenk gebrochen. Am Boden, so der Ankläger weiter, habe der Patient der Ärztin mit den Füßen lebensgefährliche Kopfverletzungen beigebracht. Nur das „beherzte Eintreten mehrerer Mitarbeiter“ habe noch Schlimmeres verhindert. Zu seinem Prozess wurde der Mann aus dem besonders gesicherten Zentrum für Psychiatrie Weißenau gebracht, wo er vorläufig untergebracht ist. Ein vorläufiges Gutachten, so seine Verteidigerin, die um Pausen bat, deute darauf hin, dass sich ihr Mandant nicht länger als eine knappe Stunde konzentrieren könne. Aus dem Lebenslauf des 31-Jährigen geht hervor, dass er mit der Scheidung seiner Eltern nicht zurechtkam und dann auch nicht mit dem neuen Freund seiner Mutter, den er ebenfalls verprügelt haben soll. In der Berufsschule habe der Waiblinger mit dem Kiffen angefangen. Andere Drogen, so sagte dieser selbst, habe er nur ausprobiert. Die Mutter hatte ihren Sohn schon früher in die Psychiatrie gebracht. Überdies hat sie sich dafür eingesetzt, dass er auf die Erlacher Höhe kommt. Dort habe er eine Fensterscheibe eingeschlagen. Nachdem er eine Geldstrafe abgesessen hatte, lebte der Angeklagte in einem Keller, bis die Mutter ihm den Strom abstellte. Dann wohnte er „verwahrlost“, wie es aus der Gerichtsakte hervorging, in einem Zimmer in Waiblingen.

Die Mutter schilderte als Zeugin vor Gericht, das ihr Sohn zur Tatzeit in einem „desolaten Zustand“ gewesen sei. Über das Landratsamt habe sie es geschafft, dass ein psychiatrisches Gutachten erstellt wird, und immer wieder im Amtsgericht angerufen mit der Bitte, dass ihr Sohn unter Betreuung gestellt wird. Am Tatabend habe der Sohn sie angerufen und mitgeteilt, er habe Angst, sein Nachbar würde ihn umbringen. Die Mutter holte ihn in das Haus, in dem sie wohnt, während der Sohn bei der Polizei anrief und dieser meldete, seine Mutter wolle ihn umbringen. „Dann ging er auf mich los“, sagte die Mutter. Von einem sichergestellten Schraubenzieher, mit dem der Sohn nach ihr gestochen haben soll, wusste sie vor Gericht nichts. Das hatte ein 32-jähriger Nachbar bei der Polizei angegeben, welcher mit einer ebenfalls 32-jährigen Nachbarin der Mutter zu Hilfe kam.

Die aufgrund ihrer Verletzungen immer noch arbeitsunfähige Ärztin aus dem ZfP Winnenden kam mit einer Anwältin als Zeugenbegleitung in den Saal. Ihrer Aussage nach sah sie den Patienten am 20. Dezember das erste Mal, um zu prüfen, ob er noch fixiert im Isolierzimmer bleiben muss. In der Überzeugung, „dass der Angeklagte nicht vorhat, einen Übergriff zu starten“, band sie ihn los, sagte ihm aber auch, dass er nicht aus dem ZfP entlassen werden könne und ein Richter unterwegs sei, um seine Zwangseinweisung zu verlängern. Es stünde eine richterliche Anhörung an. Da tickte der Patient aus. „Ich dachte, ich komme hier nicht mehr heil oder vielleicht auch nicht mehr lebend raus“, erzählte die Ärztin, sie hätte nur noch gesehen, wie der Fuß des Patienten auf ihr Auge zukommt, und dann sei ihr schwarz vor Augen geworden. Der Prozess wird fortgesetzt.

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Erstellt:
14. Juni 2022, 06:00 Uhr

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