Wann sollen die Bürger in Backnang mitreden dürfen?
Die Grünen im Backnanger Gemeinderat wollen bei allen Projekten, die mehr als drei Millionen Euro kosten, die Bürgerschaft beteiligen. OB Maximilian Friedrich möchte die Bevölkerung lieber im Einzelfall gezielt einbinden.

© Pressefotografie Alexander Beche
Die Workshops zur Quartierentwicklung auf dem IBA-Gelände stießen vor drei Jahren auf großes Interesse. Im Dialog mit Experten und Mitgliedern des Gemeinderats konnten interessierte Bürgerinnen und Bürger ihre Ideen einbringen. Archivfoto: Alexander Becher
Von Kornelius Fritz
Backnang. Alle fünf Jahre wählen die Bürgerinnen und Bürger ihren Gemeinderat, aber wie kann man die Bevölkerung in der Zeit dazwischen in politische Prozesse und Entscheidungen einbinden? Diese Frage stellen sich Kommunalpolitiker regelmäßig. Ein Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Gemeinderat hat die Diskussion darüber nun auch in Backnang wieder neu entfacht. Darin fordert die Fraktion die Stadtverwaltung auf, die Bürgerschaft künftig bei allen Entscheidungen, „die Haushaltsmittel von über drei Millionen Euro beanspruchen und von grundsätzlicher Bedeutung für die Stadt sind, miteinzubeziehen“.
Als Beispiel aus der Vergangenheit nannte Grünen-Fraktionschef Willy Härtner den Beschluss zum Neubau der Karl-Euerle-Halle. Er selbst sei für die neue Halle, betonte Härtner, allerdings hätte er es gut gefunden, wenn auch die Backnanger Bevölkerung zu dem Großprojekt mit einem Volumen von rund 20 Millionen Euro befragt worden wäre. Stadtrat Volker Dyken von den Backnanger Demokraten hatte bereits 2019 einen Bürgerentscheid zum Hallenneubau gefordert, dafür im Gemeinderat aber keine Unterstützung bekommen.
Bürgerentscheid ist für den OB nur „Ultima Ratio“
Auch der aktuelle Antrag der Grünen stieß sowohl bei der Verwaltung als auch bei den anderen Fraktionen auf Widerspruch. „Wir verstehen ihr Anliegen“, meinte Oberbürgermeister Maximilian Friedrich, eine Pflicht zur Bürgerbeteiligung ab einer bestimmten Investitionssumme halte er aber für den falschen Weg. Die im Antrag genannten drei Millionen erreiche man schon bei größeren Kanalsanierungen, erklärte Friedrich. „Ich glaube nicht, dass dies das richtige Thema für eine Bürgerbeteiligung wäre.“ Die CDU-Fraktionsvorsitzende Ute Ulfert sieht auch die Gefahr, dass die Entscheidungsprozesse dadurch langsamer und komplizierter werden. Siglinde Lohrmann (SPD) befürchtet, dass sich vor allem Betroffene mit persönlichen Interessen zu Wort melden würden.
Friedrich plädierte dafür, Beteiligungsformate gezielt dort auszuwählen, wo es sinnvoll sei. Dies ist in Backnang in der Vergangenheit auch immer wieder passiert. So fand etwa zur geplanten Neuentwicklung des IBA-Geländes im Backnanger Westen 2019 ein sogenannter „Dialogherbst“ mit insgesamt vier Workshops und einer Abschlussveranstaltung statt. Auch vor dem Bau des Annonaygartens und des Wonnemar hatten die Bürger die Möglichkeit, ihre Ideen und Wünsche zu äußern.
Einen Bürgerentscheid oder eine repräsentative Bürgerbefragung gab es in Backnang bisher allerdings nicht. Im Rathaus ist man darüber allerdings auch nicht traurig, denn Oberbürgermeister Maximilian Friedrich und die Verwaltungsspitze stehen dieser Form der direkten Demokratie skeptisch gegenüber. Eine Bürgerbeteiligung gehöre an den Beginn jedes Entscheidungsprozesses, um gemeinsam nach tragfähigen Lösungen zu suchen, und nicht in Form eines Bürgerentscheids an dessen Ende, lässt der OB über seinen Pressesprecher mitteilen. Ein Bürgerentscheid komme für ihn deshalb allenfalls als „Ultima Ratio“ infrage, wenn die Fronten bei einem Thema verhärtet und alle Bemühungen um einen Konsens vergeblich gewesen seien.
Beteiligung ist auch digital möglich
Die Gefahr, dass ein Bürgerentscheid die Bevölkerung in zwei Lager spaltet, sieht auch Lisa Weis von der „Allianz für Beteiligung“ in Stuttgart. Der mit Landesmitteln finanzierte Verein setzt sich für eine stärkere Einbindung der Bürgerschaft in politische Prozesse ein und unterstützt Kommunen bei der Umsetzung entsprechender Konzepte. Bürgerbeteiligung sollte die Beratungen im Gemeinderat aber nicht ersetzen, sondern diese ergänzen, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin. „Als Alltagsexperten können die Bürger wichtige Empfehlungen geben“, erklärt Weis.
Dabei registriert sie in den vergangenen Jahren auch schon deutliche Fortschritte: So haben sich inzwischen etliche Städte in Baden-Württemberg Leitlinien für mehr Bürgerbeteiligung gegeben. Eine davon ist die Stadt Heidelberg. Dort ist zum Beispiel eine Bürgerbeteiligung verpflichtend, sobald sich mindestens 1000 Bürger per Unterschrift dafür aussprechen. Damit die Bürger stets wissen, welche Projekte gerade geplant werden, veröffentlicht die Stadt zudem eine aktuelle Vorhabenliste im Internet.
In Backnang wird es auch künftig keine Beteiligungspflicht geben
Auch digitale Formen der Bürgerbeteiligung werden immer beliebter: So gibt es etwa in Geislingen an der Steige eine interaktive Ideenbörse. Dort können die Bürgerinnen und Bürger ihre Wünsche und Verbesserungsvorschläge online in einen Stadtplan eintragen. Wichtig bei allen Beteiligungsverfahren sei aber, dass man von Anfang an klar kommuniziere, was möglich ist und was nicht, erklärt Lisa Weis. Sonst bestehe die Gefahr, dass Erwartungen entstehen, die am Ende enttäuscht werden.
In Backnang wird es auch künftig keine Beteiligungspflicht geben. Die Grünen zogen ihren Antrag mangels Erfolgsaussichten wieder zurück, kündigten aber an, die Bürgerschaft künftig stärker als bisher einbinden zu wollen. Das sei das gute Recht jeder Fraktion, erklärte OB Friedrich: „Sie haben jederzeit die Möglichkeit, eine Bürgerbeteiligung zu beantragen.“
Von Kornelius Fritz
Die Bürgerschaft zu allen Projekten befragen, die mehr als drei Millionen Euro kosten – der Vorschlag der Grünen klingt zunächst gut. Bei genauerer Betrachtung hat er allerdings Schwächen: Denn entscheidend ist nicht die Höhe der Investitionssumme, sondern das Interesse in der Bevölkerung. Und das dürfte etwa bei einem neuen Spielplatz größer sein als beim Bau eines Hochwasserrückhaltebeckens, auch wenn Letzteres deutlich teurer ist. Statt pauschaler Regeln scheint es deshalb sinnvoller, das jeweilige Thema zu betrachten.
Das Ziel, die Backnanger Bevölkerung noch stärker in die Entscheidungsprozesse einzubinden, ist aber richtig. Wenn der Gemeinderat bereit ist, deren Wünsche und Empfehlungen aufzunehmen, umso besser. Schon bald bietet sich dafür die nächste Gelegenheit, wenn 2023 das strittige Thema einer Verkehrsberuhigung in der Grabenstraße auf die Tagesordnung kommt.
k.fritz@bkz.de