Turmgespräch mit Bertram Ribbeck: „Was gut für den Körper ist, ist gut fürs Klima“

Turmgespräche Bertram Ribbeck ist Vorsitzender der Initiative Klimaentscheid Backnang. Im Interview spricht er darüber, wo es in Backnang noch Handlungsbedarf in Sachen Klimaschutz gibt, was schon gut läuft und warum es wichtig ist, sich auf lokaler Ebene fürs Klima einzusetzen.

Blickt Bertram Ribbeck vom Stadtturm, fallen ihm aktuelle Bauprojekte und die Verkehrssituation in Backnang ins Auge. Fotos: Alexander Becher

© Alexander Becher

Blickt Bertram Ribbeck vom Stadtturm, fallen ihm aktuelle Bauprojekte und die Verkehrssituation in Backnang ins Auge. Fotos: Alexander Becher

Was war für Sie der Moment, in dem Sie gesagt haben, Sie wollen sich fürs Klima einsetzen?

Ich war eigentlich schon immer interessiert an dem Thema. Die Erde ist für mich ein wunderbarer Planet, den wir geliehen haben. Und mit einer Leihgabe versuche ich sorgsam umzugehen, weil ich das meinen Kindern und Enkelkindern so weitergeben möchte, dass sie auch was von der Schönheit, von dem intakten Ökosystem haben. Intensiver habe ich mich dafür interessiert, als Fridays for Future aufkam und dann die Scientists for Future. Da habe ich zum ersten Mal etwas über Kipppunkte erfahren. Das sind sich selbst verstärkende Prozesse, die sich wechselseitig verstärken, sodass es irgendwann einen Punkt gibt, wo das nicht mehr rückgängig zu machen ist. Ich benutze gerne ein Bild aus dem Haushalt: Man stellt sich vor, man kocht ein Ei hart. Irgendwann gerinnt das Eiweiß, dann kriegt man es nicht mehr flüssig. Das Problem ist: Allein diese bedrohlichen Fakten bringen noch niemand zum Handeln. Das erzeugt eher die Reaktion „Ich will es gar nicht so genau wissen“ und eine Hilflosigkeit oder Erstarrung. Deswegen ist mir noch wichtiger zu betonen, dass das, was gut fürs Klima ist, wie ein klimafreundlicher Umbau der Stadt, auch zu mehr Lebensqualität und Aufenthaltsqualität in der Stadt führen wird. Also mehr Grün, weniger Lärm, mehr Platz für Kinder, mehr Sicherheit für uns alle. Das sind ja alles positive Eigenschaften, die durchaus anzustreben sind – mal völlig unabhängig vom Thema Klimaschutz.

Klimawandel ist ja ein weltweites Problem. Warum ist es wichtig, dass sich Initiativen vor Ort einsetzen?

Auf den CO2-Preis haben wir natürlich lokal keinen Einfluss. Aber es gibt auch kommunalpolitische Themen wie zum Beispiel die Ausweisung neuer Gewerbegebiete. Wir unterstützen die Initiative „Ländle leben lassen – Stoppt den Flächenverbrauch!“, aber wir erkennen auch an, dass das ein kommunalpolitisch sehr ambitioniertes Thema ist. Deswegen ist es auch wichtig, sich lokal zu engagieren, denn lokal werden diese Dinge entschieden. Wir treten dafür ein, dass man sich in Zukunft klarmacht – bevor man sich für ein neues Gewerbegebiet entscheidet –, wie viel CO2-Schaden richtet das an und ist man bereit, diesen Schaden möglichst gering zu halten. Und ist man bereit, den Schaden, der sich nicht gering halten lässt, durch andere Klimaschutzmaßnahmen monetär zu kompensieren.

Was können Bürger im Alltag tun, um das Klima zu schützen? Oft ist das ja auch ein Thema, das mit Verzicht in Verbindung gebracht wird.

Was gesund für dich ist, ist auch gesund fürs Klima. Zum Beispiel weniger und dafür hochwertigeres Fleisch. Und dann nicht nur irgendwo hinfahren, um dort Sport zu machen, sondern wirklich die Bewegung im Alltag integrieren. Also Fahrrad fahren, zu Fuß gehen und das Auto weniger benutzen. Und ich denke, bei dem Thema Konsum ist es auch wichtig zu wissen, dass die CO2-Schadenskosten meistens nicht hinterlegt sind. Zum Beispiel habe ich gelesen, dass ein durchschnittlicher Deutscher über 50 Kleidungsstücke pro Jahr kauft und das macht eine erhebliche Umweltbelastung. Da sage ich: lieber hochwertigere Waren und diese länger nutzen. Die Last der umweltgerechten Entscheidung darf jedoch nicht allein dem einzelnen auferlegt werden. Die Politik muss auch Rahmenbedingungen setzen, damit es einfacher ist, sich ökologisch zu verhalten. Nur traut die Politik sich das nicht so richtig, weil sie Angst vor der Wahl hat.

Bertram Ribbeck ist seit 1994 als Hausarzt in Backnang tätig. Seine Botschaft: Was dem Körper guttut, das hilft oft auch dem Klima.

© Alexander Becher

Bertram Ribbeck ist seit 1994 als Hausarzt in Backnang tätig. Seine Botschaft: Was dem Körper guttut, das hilft oft auch dem Klima.

Wie meinen Sie das?

Nehmen wir als lokales Beispiel mal den Autobahnzubringer, der soll ja dreispurig ausgebaut werden. Auch wenn man den öffentlichen Nahverkehr noch so gut ausbaut, wird das sicher nicht dazu beitragen, dass mehr Leute auf den öffentlichen Verkehr umsteigen. Dabei frage ich mich: Wo kriegt man so viel Klimaschutz für null Euro, einfach indem man etwas sein lässt? Es ist ja nicht so, dass der Autobahnzubringer eine schlaglochübersäte Schotterpiste wäre. Aber dieses „etwas lassen“ ist gerade beim Thema Verkehr heiß umkämpft.

Was bräuchte es für eine Kommunikation und Diskussion beim Thema Klima, damit es da besser vorangeht?

Das Thema Klimakommunikation ist herausfordernd. Einerseits ist es wichtig zu kommunizieren, dass wir eine Verantwortung haben. Ich habe mal ausgerechnet, wie viel CO2-Schaden entsteht bei rund 15000 Kilometern Autofahren. Je nach Verbrauch liegen wir bei 450 bis 600 Euro im Jahr. Und das ist den meisten von uns Autofahrern gar nicht bewusst. Und ich frage mich: Wie kann es gelingen, dass wir Autofahrer bereit sind, uns an diesen Kosten zu beteiligen oder zumindest diese Kosten möglichst gering zu halten? Und dann brauchen wir mehr positive Botschaften. Ein klimafreundlicher Umbau der Stadt – also mehr Grün, mehr Platz für Kinder, weniger Lärm, Straßen als Begegnungsraum – kann auch positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen haben.

Also mehr darüber sprechen, was man tatsächlich vom Klimaschutz hat?

Genau. Ich denke tatsächlich auch, dass die Menschen sich am ehesten davon motivieren lassen, wenn sie sehen, was es bringt. Ein Beispiel: Ich nutze hauptsächlich das Fahrrad, um in die Stadt zu kommen. Aber das kommt mir gar nicht als Verzicht in den Sinn, weil ich lebe meinen natürlichen Bewegungsdrang aus, ich tu etwas für die Gesundheit, ich entschleunige. Es gibt viele Vorteile, sodass mir das Thema Verzicht gar nicht in den Sinn kommt. Natürlich ist es so, dass die notwendigen Maßnahmen zur Klimaanpassung große Veränderungen erfordern werden, und das löst Ängste aus. Aber man muss kommunizieren, dass wir darin auch Chancen haben.

Wo steht Backnang Ihrer Meinung nach aktuell beim Thema Klimaschutz?

Das Thema Wärmeplanung ist schon gut unterwegs, aber der zweite große Brocken ist der Verkehr. Das ist ein richtig großer Bereich und da hat sich aus unserer Sicht in Backnang noch nicht viel getan. Es gibt ja regelmäßig den Fahrradklimatest und da schneidet Backnang nie besonders gut ab.

Ein Punkt wäre also die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur?

Ja, dabei ist es natürlich so, dass wir oft keine zusätzlichen Radwege bauen können. Uns geht es darum, die Verkehrsflächen neu aufzuteilen. Wir fordern zum Beispiel, in der Sulzbacher Straße weniger Parkplätze anzubieten und damit Platz für einen angemessen breiten Radstreifen zu schaffen.

Zum Teil gibt es ja schon Radstreifen.

Ja, aber die enden plötzlich mitten in der Fahrbahn oder führen an geparkten Autos vorbei, das ist ein No-Go mit den sich öffnenden Türen. Ein Beispiel ist die Stuttgarter Straße, die stadteinwärts zweispurig ist. Hier könnte man überlegen, eine Spur für Rad- und eine für Autofahrer zu nutzen.

Was muss Backnang noch angehen?

Es gab schon vor zwei Jahren den Grundsatzbeschluss des Gemeinderats, dass man ein externes Planungsbüro beauftragen will, einen Klimafahrplan zu entwickeln. Erst gab es aber Schwierigkeiten, die Stelle der Klimamanagerin zu besetzen. Und jetzt hapert es anscheinend daran, dass die Zuschüsse für den Klimafahrplan noch nicht bewilligt worden sind.

Gerade mit Blick auf die eingangs erwähnten Kipppunkte: Sehen Sie denn noch mit Hoffnung in die Zukunft?

Es ist ehrlich gesagt eine Herausforderung. Aber ich würde mich nicht engagieren, wenn ich nicht die Hoffnung hätte. Hoffnung, dass mehr Menschen sehen, dass Gutes fürs Klima auch zu ihrer eigenen Lebensqualität beiträgt. Und dass dann tatsächlich ein Klima von Vertrauen, Großzügigkeit und Neugierde entstehen kann. Dazu möchten wir als Klimaentscheid Backnang beitragen. Denn wir wissen, dass die Aufgabe, unseren Kindern eine lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten zu sichern, nur gemeinsam gelingen kann. Daher lautet unser auch Motto: „Gemeinsam für ein gutes Klima!“

Das Gespräch führte Kristin Doberer.

Blick vom Turm

Klimaentscheid Im November 2020 hat sich die Initiative Klimaentscheid Backnang gebildet. Das Ziel: Backnang soll bis 2035 klimaneutral werden. Gefordert werden ein Klimaschutzkonzept, die Einbindung der Bevölkerung, Fördermaßnahmen vor Ort und eine nachhaltigere Stadtplanung.

Chancen Bertram Ribbecks erster Blick vom Stadtturm fällt auf das Areal Obere Walke. „Wir sind auf Innenraumverdichtung ja angewiesen. Das Projekt finde ich sehr spannend, gerade mit Blick auf neue Mobilitätskonzepte.“ Während er die Obere Walke als durchaus positives Bauprojekt einschätzt, sieht er an anderer Stelle vergebene Chancen. „Bei den Kronenhöfen hätte man über eine Fassadenbegrünung sprechen müssen“, meint er. Damit lasse sich die Temperatur in der Stadt um mehrere Grad Celsius absenken, was in Zukunft für mehr Aufenthaltsqualität sorgen würde.

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Erstellt:
19. Juli 2023, 06:00 Uhr

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