Steven Brodt ist Tatortreiniger und Schädlingsbekämpfer – Auch das Entrümpeln von Messiewohnungen gehört zu seiner Arbeit
Insekten, Messiewohnungen und Orte, an denen Menschen gestorben sind, sind für Steven Brodt Arbeitsalltag. Als Tatortreiniger, Schädlingsbekämpfer und Desinfektor wird er oft mit Dingen konfrontiert, die andere Menschen sich im Traum nicht vorstellen können. Brodt liebt seinen Beruf – und bekommt dabei manchmal tiefe Einblicke in die menschliche Seele.

Steven Brodt reinigt oft Messiewohnungen. Auf dem Foto zu sehen ist die Wohnung eines Alkoholkranken, der dort auch gestorben ist. Fotos: privat (1), S. Latzel (1)
Von Silke Latzel
FELLBACH. Seinen „ersten Toten“ wird Steven Brodt nie vergessen: „Wir wurden zu einem Achtfamilienhaus gerufen und meine damaligen Kollegen haben mich völlig unbedarft in die Wohnung laufen lassen, ohne Maske. Und dann habe ich es gerochen: Dieser süßlich-stechende Geruch... Das hat mich fast umgehauen, es hätte nicht mehr viel gefehlt und ich hätte mich übergeben.“ Dass er heute dankbar um diese Erfahrung ist, wäre vermutlich übertrieben, doch er sagt: „Wer einmal den Leichengeruch in der Nase hatte, wird ihn nie wieder vergessen. Und das ist in meinem Beruf wichtig, denn ich erkenne schon bevor ich eine Wohnung betrete, ob darin ein Toter liegt.“
Hört man sich Brodts Geschichten an, mag man zunächst kaum glauben, dass der 42-Jährige seinen alten Beruf als Glaser freiwillig aufgegeben und sich entschieden hat, eine Ausbildung zum Schädlingsbekämpfer und Desinfektor zu machen. Auslöser war ein Problem mit Ameisen, das er zu Hause hatte. Und als er die Arbeit des Schädlingsbekämpfers beobachten konnte, war für ihn klar: „Das möchte ich auch machen.“ Mittlerweile blickt Brodt auf 20 Jahre Berufserfahrung zurück, hat sich mit einem Betrieb in Fellbach selbstständig gemacht und sechs Angestellte. „Wir haben alle Hände voll zu tun“, sagt er. Auch liebt er die Abwechslung in seinem Beruf. „Man weiß morgens nie, was der Tag bringt. Das ist sehr spannend und macht unheimlich Spaß.“
Tatortreiniger – das klingt nach Mord und Totschlag, Blut und Verwesung. Und nach einem Verbrechen. Aber: „Die Bezeichnung ist für einen Laien etwas irreführend“, so Brodt. „Ein Tatort ist für uns in der Branche nicht zwangsläufig ein Ort, an dem ein Verbrechen passiert ist. Es ist einfach ein Ort, an dem jemand gestorben ist. Das kann altershalber, durch eine Krankheit oder auch durch Suizid passieren. Verbrechen sind da wirklich eine Ausnahme.“
Oft verschwimmen die Grenzen zwischen den Einsätzen, deshalb ist Brodt nicht nur Tatortreiniger, sondern bekämpft auch jede Art von Schädlingen und entrümpelt Messiewohnungen. „Manchmal finden wir in den Messiewohnungen unter dem ganzen Unrat natürlich auch Tote, die wir vorher im wahrsten Sinne des Wortes nicht riechen, weil der Müll in der Wohnung so stark stinkt, dass der Leichengeruch überdeckt wird. Oberste Regel in diesem Fall: Wir rufen zuerst die Polizei. Und erst wenn von deren Seite eine Freigabe erteilt wird, gehen wir in die Wohnung. Auch die Leiche schaffen wir nie selbst fort, darum kümmert sich der Bestatter.“ Brodt und sein Team kommen also immer erst, wenn die Leiche weg ist – und sind dann dafür zuständig, die Wohnung oder das Haus so zu desinfizieren und zu reinigen, dass danach „wieder Menschen hier leben können, ohne gesundheitliche Schäden davonzutragen.“
Einsätze gegen Läuse und Flöhe mag Steven Brodt gar nicht
Besonders dieser Punkt sei nicht zu unterschätzen, denn „je nachdem, wie lange ein Mensch schon tot ist, bevor er gefunden wird, ist die Umgebung mehr oder weniger verunreinigt. Sobald die Person länger als 24 Stunden tot ist, wird es zu einem Problem, denn dann treten die Körperflüssigkeiten aus.“ Auch die Jahreszeit spiele eine Rolle: „Im Sommer verwest die Leiche schneller als in einer unbeheizten Wohnung im Winter. Da kommen dann Speckkäfer, Fliegen und Maden.“ Besonders schlimm seien für ihn jedoch die Fälle, bei denen Menschen in der Badewanne gestorben sind. „Der Körper zerfällt im Wasser schneller und am Ende hat man dann eine Flüssigkeit, die ähnlich ist wie Pudding. Und die Wanne dann wieder sauber zu bekommen, das ist wirklich ein Akt.“ Oft passiere es aber auch, dass Menschen sterben und einfach auf den Boden fallen. „Je nachdem, wie lang der Tote da dann schon liegt, kann es sein, dass wir bis auf den Estrich alles herausreißen müssen.“
Steven Brodt ist ein fröhlicher Mensch, der gerne lacht und sehr detailreich von seinem Beruf erzählt. „Für mich ist das mittlerweile natürlich ein großes Stück weit Routine geworden, aber es menschelt schon sehr“, sagt er. Ekel empfinde er eigentlich kaum, das Einzige, was er nicht mag, sind Schädlingsbekämpfungseinsätze, bei denen es um Flöhe oder Läuse geht. „Wir tragen bei unserer Arbeit Ganzkörperschutzanzüge, Handschuhe und Masken. Aber bei dieser Art Ungeziefer besteht die Gefahr, dass man selbst befallen wird.“ Auch deshalb spielt der Eigenschutz für Brodt und sein Team eine große Rolle. „Auch in Messiewohnungen ist das wichtig, denn wir wissen ja nicht, was wir da alles finden.“
Dass die Dinge, die Brodt bei seiner Arbeit sieht, nicht spurlos an ihm vorübergehen, versteht sich von selbst. „Etwa bei Messiewohnungen sehen wir immer wieder, dass das einfach jeden treffen kann. Egal ob Arm oder Reich. Wir haben auch schon einmal ganze Bündel Geldscheine gefunden, die komplett von Kot zusammengeklebt waren. Oder bei Drogentoten: Wenn man sieht, wie diese Leben geendet haben, und dann vielleicht beim Aufräumen ein Fotoalbum findet, darin blättert und erkennt, dass dieser Mensch einmal ein ganz normales, vielleicht sogar behütetes Leben geführt hat, da wird einem schon ganz anders. Und es verändert auch den Blick auf das eigene Dasein.“ Was ebenfalls nicht einfach für ihn ist: „Wenn einem bewusst wird, dass man mit der Wohnung oft das ganze Leben eines Menschen einfach ,wegwirft‘, wenn kein Angehöriger mehr da ist, der etwas vom Besitz des Toten haben möchte, da schluckt man dann schon und hofft einfach, dass man selbst nicht so endet.“
Gerufen wird Brodt entweder von Hausverwaltungen und Betreuern, Angehörigen oder Stadt- und Gemeindeverwaltungen. „Die rufen an, wenn sich Anwohner über starken Geruch beschweren.“ Dann beginnt er mit der Erstbesichtigung. „Bei Messiewohnungen können wir ja auch dann erst abschätzen, wie viele Container wir brauchen.“ Dann folgt die großflächige Nebeldesinfektion, um die Keimbildung zu verringern. Ist die Wohnung geleert, wird streng nach Protokoll gearbeitet: Desinfektion mit Wasserstoffperoxid, falls nötig Schädlingsbekämpfungsmittel und zum Schluss Geruchsneutralisation mit Ozon. „Im besten Fall sind wir nach zwei Tagen fertig, im schlimmsten Fall brauchen wir Monate. Aber unser Motto ist: Geht nicht, gibt’s nicht.“ Nur einmal habe er aufgeben müssen: „Ein Fachwerkhaus war komplett von Ameisen befallen, die hatten das ganze Holz aufgefressen, die Balken sind mir in der Hand zerfallen. Da konnten wir nichts machen. Und das war kein schönes Gefühl, weil der Mann, der uns gerufen hatte, Hilfe gebraucht hat und wir ihm nicht helfen konnten.“
Gespräche mit Angehörigen sind oft sehr berührend
Was sagt Steven Brodt eigentlich zur NDR-Serie „Der Tatortreiniger“ mit Bjarne Mädel? „Den finden wir alle super. Auch wenn im echten Leben natürlich nie die Angehörigen bei einem stehen, während man den Tatort reinigt. Keiner möchte etwa nach einem Suizid mit Waffe dabei sein, wenn wir Blut und Haare von Wand und Boden entfernen.“ Trotzdem sei es auch ein Teil des Berufs, sich um die Angehörigen zu kümmern: „Viele wollen über das sprechen, was passiert ist. Und die Zeit nehmen wir uns dann. Manchmal berührt mich das schon so, dass ich auch weinen könnte.“ Auch deshalb hat Brodt eine Art Ritual, um mit den Fällen und dem Arbeitstag abschließen zu können: „Arbeitskleidung aus, Schlabberklamotten an. Und bei gutem Wetter ein Spaziergang mit meiner Familie, das macht meinen Kopf wieder frei.“
