Wedel und Mützchen darf Safira behalten
Der Scherer nimmt sich die Alpakas der Familie Haas bei Murrhardt vor – Wolle wird versponnen oder zu Bettwaren verarbeitet
Einmal im Jahr werden auf dem Betrieb von Familie Haas im Murrhardter Teilort Hinterbüchelberg die rund 20 Alpakas geschoren, immer vor dem Sommer. Die Prozedur ist veterinäramtlich vorgeschrieben, sie dient den Tieren zur Regulation des Wärmehaushaltes in der heißen Jahreszeit.

Im Vorzimmer: Die Gesellen mit den großen, schwarzen Kulleraugen und den lustigen Flauschohren warten auf ihre diesjährige Schur. Fotos: J. Fiedler
Von Ute Gruber
MURRHARDT. Safira liegt angegurtet seitlich auf dem Tisch und bläst energisch die Backen auf. Dazu gibt die Alpakastute leise ein protestierendes „Iiiiiiih“ von sich. Ansonsten aber hält sie still und lässt die Scherprozedur schicksalsergeben über sich ergehen. Leise vor sich hin pfeifend fährt Marc Kindler mit dem surrenden Scherapparat gekonnt zuerst über Bauch und Rücken. Das seidig weiche, Vlies fällt in die bereitgehaltene Plastiktüte. „Das hier ist der kostbarste Teil“, erklärt Gabriela Pfeiffer, geborene Haas, „das gibt Strickwolle“. Dann kommen Brust und Hals dran, hier sind die Haare kürzer und damit schlecht zu verspinnen – ein neuer Sack: „Das ist für Betten.“ Die sogenannten Kamelhaardecken.
Die Haare an den Beinen sind gröber und eigentlich Abfall, Kindler ölt trotzdem sein Schurgerät und schert sie sauber ab: „Wie sieht das sonst aus?“ Sie landen auf dem Schubkarren als Pflanzendünger. Derweil stutzt die Tochter des Hauses mit der Handschere den Puschel auf der Stirn und den kurzen buschigen Schwanz in Form – Wedel und Mützchen darf Safira der Optik wegen behalten. Zuletzt gibt es noch Wurmkur und Vitamine und die Zehennägel werden abgeknipst – wenn sie schon mal so ruhig und praktisch auf Arbeitshöhe liegt. Dann wird sie vom Schragen gehievt – immerhin rund 60 Kilo Gewicht, auch wenn Safira jetzt fünf Kilo leichter ist. So viel wiegt die Wolle etwa.
Einmal im Jahr werden auf dem Betrieb von Familie Haas die rund 20 Alpakas geschoren: Die Schur dient zur Regulation des Wärmehaushaltes und ist veterinäramtlich vorgeschrieben, heißt es in der Fachliteratur. Die kleinen Vettern von Kamel und Dromedar stammen aus den Anden, an deren trockene Kälte sie angepasst sind. Kein Fett in ihrer Wolle schützt sie – anders als Schafe – vor mitteleuropäischem Regen, sie brauchen einen Unterstand. Ein Haarwechsel findet nicht statt – ohne Schur würden sie im deutschen Sommer verschmachten.
Vor 15 Jahren hatten Günter und Gisela Haas ihre ersten beiden Alpakastuten angeschafft. Zu 7000 Euro das Stück. „Alpakas, das war damals was ganz Neues“, erzählt Gisela Haas. Bei einer Tragezeit von fast einem Jahr entwickelte sich die Herde sehr langsam. Einnahmen brachten die Wollprodukte und der Verkauf der Hengstfohlen. Die bekommt man heute schon für knapp 1000 Euro, als Rasenmäher oder Therapietier.
Jedes Alpaka-Vlies wird einzeln gesponnen
Für Letzteres eignen sich diese genügsamen Wiederkäuer durch ihre leise und sanfte Art besonders. Sie verständigen sich mit einer Art Summen. Nur bei rabiaten Revierkämpfen oder großer Gefahr würden sie auch laut, erzählt Gisela Haas, die seit dem plötzlichen Tod ihres Mannes vor zehn Jahren den Hof mit ihren vier Kindern umtreibt. Sie ist fasziniert von der Weisheit der Tiere: „Sie werfen ihre Jungen immer am Vormittag und nur bei gutem Wetter.“ Überlebenswichtig im Hochgebirge, wo es bitterkalt wird, sobald die Sonne untergeht.
Auf dem Hof von Familie Haas sterben Alpakas meist eines natürlichen Todes. Einmal habe sie den Versuch gemacht und eins der überzähligen Männchen schlachten lassen, erzählt Gisela Haas. Braten und Salami wurden daraus. „Des kannsch selber essen“, war der unversöhnliche Kommentar des Nachwuchses bei Tisch: Zu präsent waren die , Kulleraugen und die Flauschohren des Tieres.
Etwas nackt und verloren sehen sie aus, die Fohlen zittern ein bisschen. Gisela Haas hat fürsorglich eine Wärmelampe in den Unterstand gehängt.
Da die Tiere verschiedene Farben haben, wird jedes Vlies in der Weiterverarbeitung extra gesponnen. Die Wollknäuel verkaufen sie auf den Murrhardter Märkten. Mit etwas handarbeitlichem Geschick kann man dann alsbald der Schafskälte trotzen – im mollig warmen Serafina-Pullover.

Die Wolle muss runter: Alpakas verfügen nicht über einen natürlichen Haarwechsel, und ohne Schur würden sie im Sommer verschmachten.

© Jörg Fiedler
Marc Kindler lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Seit seiner Kindheit schert der Kaminbauer in der Saison Weidetiere, früher nur Alpakas, mittlerweile auch Schafe oder mal einen Esel.