Weniger Bauaufträge im Rems-Murr-Kreis
Nach Lieferkettenproblemen und Personalmangel trifft die Baubranche derzeit besonders der Rückgang an Aufträgen. Akteure aus dem Rems-Murr-Kreis berichten, was ihrer Meinung nach geschehen muss, damit die Bauwirtschaft keinen weiteren Schaden nimmt.

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Ein eigenes Haus bauen lassen: Davon sehen derzeit viele Menschen ab, die Auftragszahlen gehen zurück. Foto: Talbau
Von Anja La Roche
Rems-Murr. Der Bauboom in den vergangenen Jahren hat den Mangel an Wohnraum in Deutschland und auch im Rems-Murr-Kreis nicht beseitigt. Dennoch gehen die Bauaufträge derzeit stark zurück. Woran das liegt und was sich die Bauunternehmer wünschen, darüber haben wir mit verschiedenen Akteuren gesprochen.
Wie sieht die Auftragslage aus?
Dass die Aufträge im Rems-Murr-Kreis insgesamt deutlich zurückgehen, bestätigt Gregor Gierden vom Branchenverband Bauwirtschaft Baden-Württemberg. „Wir haben zwar keine regionalen Zahlen, aber wir wissen aus den Gesprächen, dass die Auftragslage in den Landkreisen nicht so unterschiedlich ist“, sagt er. Besonders stark eingebrochen seien die Aufträge für den Wohnungsbau. Um 18 Prozent sei die Auftragssumme im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft, berichtet Gierden. Der preisbereinigte Wert, der die Inflation mitrechnet, liege sogar bei minus 22 Prozent. Gierden vergleicht dabei Werte von Mai 2023 und Mai 2022. Insgesamt sei die Auftragssumme im Hauptbaugewerbe um 28 Prozent geringer als im Vorjahr. „Im Moment zehren die Unternehmen noch von bestehenden Aufträgen, das könnte sich gegen Ende des Jahres noch ändern.“
Beispiele aus dem Kreis
Die Firma Talbau aus Weissach im Tal verzeichnet noch keine größeren Einbußen. „Derzeit ist unsere Auftragslage verhältnismäßig gut“, sagt der Geschäftsführer Sven Feil. Denn die Firma könne noch auf den Bestand zurückgreifen. „Aber auch wir stellen einen geringeren Auftragseingang fest.“ Um 50 Prozent sei er im Vergleich zum Vorjahr geschrumpft. Auch die Immobiliengesellschaft Aspa aus Backnang berichtet, dass seit etwa 15 Monaten die Verkaufszahlen bei Neubauwohnungen sinken.
Warum gehen die Zahlen zurück?
Die hohen Baupreise würden gerade im Wohnungsbau viele Interessenten abschrecken, sagt Gierden. Hinzu komme, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen in einem Jahr von etwa einem auf über vier Prozent angehoben habe. „Das macht sich natürlich bemerkbar.“ Des Weiteren hat die Regierung die Förderbeträge gesenkt, was besonders den Wohnungsbau treffe. Sven Feil ergänzt: „Unter anderem hat der zeitweilige, abrupte Stopp der KfW-Förderung schon im zweiten Halbjahr 2022 zu weniger Aufträgen geführt.“ Die Förderung unterstützt Familien und Einzelpersonen bei der Finanzierung ihres Eigenheims.
Verunsichert habe zudem die neuerliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Juli, dass das vereinfachte Bebauungsplanverfahren (Paragraf 13b, Baugesetzbuch) gegen Europarecht verstößt. Bereits verkaufte Häuser müssten nun neu genehmigt werden. Das verunsichere potenzielle Auftraggeber und verzögere laufende Projekte.
Hohe Auflagen und lange Verfahren
„Gefühlt herrscht aktuell eine Strategie der Verhinderung von neuen Wohneinheiten, obwohl diese dringend gefordert und benötigt werden“, sagt Feil. Neben den sinkenden Aufträgen nennen die Befragten weitere Herausforderungen, die der Baubranche zu schaffen machen würden: lange Genehmigungsverfahren, teilweise unnötige Zusatzstandards, viele Auflagen, eine unzuverlässige Förderstrategie und auch die unsichere Heizungsstrategie. Die Genehmigungsverfahren würden auch deshalb so lange dauern, sagt Gierden, weil es bei den Behörden wenig Personal gebe.
Laut Kreisbaugruppe Waiblingen, der Baugesellschaft des Rems-Murr-Kreises, kommt es aufgrund der veränderten KfW-Förderung zudem dazu, dass abgeschlossene Planungen neu zertifiziert werden müssen, um die Fördermittel der Nachhaltigkeitsklasse zu erhalten. „Die aktuelle Marktsituation lässt es kaum zu, Vorhaben, insbesondere im öffentlich geförderten Mietwohnungsbau, wirtschaftlich zu entwickeln und zu bauen“, heißt es.
Alles ist natürlich nicht schlechter geworden. „Die Baupreise entwickeln sich im Großen und Ganzen stabil, dies ist nach Jahren von extremen Baupreissteigerungen positiv zu bewerten“, sagt Aspa-Geschäftsführer Andreas Grüll. Außerdem hätten sanierte Bestandsgebäude nach Jahren enorm hoher Preise teils stark an Wert verloren. „Wir sind überzeugt, dass der Markt wieder in Schwung kommt, gegebenenfalls motiviert durch Anreize der Politik.“
Fördermittel für sozialen Wohnbau
Beim sozialen Wohnungsbau sorgen zu knappe Fördermittel für Verzögerungen. Bereits Mitte Mai teilte das zuständige Landesministerium mit, dass das diesjährige Fördervolumen von 463 Millionen Euro bereits belegt ist. Deshalb warten Träger wie die Kreisbaugruppe mit dem weiteren Bau solcher Projekte. Bis auf ein Bauvorhaben mit 18 Wohneinheiten könne die Kreisbaugruppe dennoch alle für 2023 geplanten Wohnungen fertigstellen, sagt eine Sprecherin. „Die genannten Marktentwicklungen könnten sich erst ab dem Jahr 2024 bemerkbar machen.“
Sorge vor Stellenabbau
Sorge bereitet den Firmen und der Baugesellschaft, dass aufgrund der aktuell schmalen Auftragslage die Beschäftigungszahlen in der Branche zurückgehen, besonders bei den Handwerksbetrieben. „Das Handwerk hat in vielen Bereichen mittlerweile Auslastungsprobleme“, sagt Grüll. Gibt es weniger Handwerker, hätten Firmen wie seine in Zukunft erhebliche Probleme. Geht es nach der Bauwirtschaft BW ist das aber aktuell nicht zu befürchten. „Die Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter zu halten, weil zu erwarten ist, dass die Baukonjunktur wieder hochgeht“, sagt Gierden.
Politische Lösungen gefordert
Um die Branche wieder auf Trab zu bringen und damit auch das von der Bundesregierung gesetzte Ziel von 400000 neuen Wohnungen im Jahr zu realisieren, fordert die Kreisbaugruppe politisches Handeln. „Dies könnte durch steuerliche Maßnahmen und neue beziehungsweise veränderte Förderprogramme geschehen“, heißt es. Nicht nur im preisgedämpften, sondern auch im frei finanzierten Wohnungsbau sei dies notwendig, „da die Bauwirtschaft ansonsten erheblichen Schaden nehmen wird“.
Der Baubranche helfen könnten auch digitalisierte und dadurch schnellere Verfahren. „Wir hoffen, dass der Antrag der Landesregierung zur Digitalisierung der Baubehörden umgesetzt wird“, sagt Gierden. Darauf hofft auch die Kreisbaugruppe. „Im Bereich des öffentlichen Baurechts kann nur der Gesetzgeber die Bürokratie vereinfachen. Mit Blick auf die Digitalisierung wird dies mit der ausstehenden Novelle der Landesbauordnung betrieben.“