Wer auf die Murrbahn angewiesen ist, braucht gute Nerven
Wenn die Anfahrt zur Fehlzeit wird: Bei der Murrbahn gibt es immer wieder Probleme. Zugausfälle und Verspätungen sind häufig. Doch wenn der Arbeitgeber aber pünktliche Antrittszeiten einfordert, hilft das alles nichts. Glück hat, wer diesem Druck nicht ausgesetzt ist.
Von Christine Schick
Murrhardt. Möglicherweise sind die Hochzeiten der Probleme auf der Murrbahn mit Streckensperrungen im Sommer und mit Zugausfällen aus den unterschiedlichsten Gründen im Spätherbst und Winter (wir berichteten) vorbei, aber der Illusion eines reibungslosen Verkehrs wird sich vermutlich niemand hingeben. Das ist besonders für diejenigen ein Problem, die schlichtweg auf Pünktlichkeit angewiesen sind. Zu ihnen gehört Maren Trefz aus Murrhardt. Die junge Frau hat im Oktober ihre Ausbildung zur medizinischen Technologin in der Radiologie (MTR) am Katharinenhospital in Stuttgart begonnen. „An sich würde es locker reichen, mit dem Zug um 6.50 Uhr zu fahren, wenn er pünktlich wäre“, sagt sie. Aber das Risiko, dass er ausfällt oder später eintrifft, ist ihr einfach zu groß. Also nimmt sie die Bahn um 6.20 Uhr, um pünktlich um 8 Uhr in der Klinik sein zu können.
Das Auto ist keine wirkliche Alternative
Was ihre Startzeit anbelangt, ist ihr Arbeitgeber streng. Jede Fehlminute wird aufgeschrieben und das Kontingent über die dreijährige Ausbildungszeit umfasst exakt 60 Tage. Einen kompletten Fehltag hat sie im November bereits kassiert, als durch eine gerissene Oberleitung auf der Strecke kein Durchkommen mehr war und sie deshalb – in Oppenweiler gestrandet – irgendwann den Zug zurück nach Murrhardt nehmen musste. Zu dieser Unnachgiebigkeit sagt die 19-Jährige: „Für mich ist die Situation schwierig, weil ich auf den Zug angewiesen bin, aber ich kann die Haltung verstehen, weil wir ja auch Geld für die Ausbildung bekommen.“ Auf der Murrbahn hat sie in letzter Zeit schon so einiges erlebt, etwa überfüllte Züge und Zugumleitungen, aber auch außerplanmäßige Probleme aufgrund einer liegen gebliebenen Bahn bei Winnenden bis hin zu aggressiv aufgeladener Stimmung im Waggon.
Auf die Frage nach Alternativen sagt Maren Trefz, dass sie zwar rein theoretisch aufs Auto umsteigen könne, aber befürchtet, dabei nicht viel zu gewinnen. Stau und schwierige Verkehrsverhältnisse sind derzeit auch auf Stuttgarts Straßen Alltag. Bliebe noch der Umzug in die Landeshauptstadt. Es gäbe die Möglichkeit, einen Platz in einem Appartementhaus des Hospitals zu beantragen. „Ich habe das Formular schon ausgefüllt“, erzählt sie. Zur Zeit des Gesprächs hat sie den letzten Schritt, es auch abzuschicken, aber noch nicht vollzogen und würde dies auch gerne vermeiden, weil sie eigentlich in Murrhardt bleiben möchte. Die 19-Jährige ist in der Walterichstadt fest verankert, spielt dort Handball und ist bei der Stadtkapelle engagiert.
Mia Millenet versucht ebenfalls, mit den schwierigen Rahmenbedingungen auf der Murrbahn klarzukommen. Die 18-Jährige macht gerade ihr Freiwilliges Soziales Jahr bei der Kunststiftung Baden-Württemberg in Stuttgart. Sie steht morgens kurz vor 7.26 Uhr am Bahnhof in Sulzbach an der Murr bereit, um mit dem Zug kurz nach 8 Uhr am Hauptbahnhof der Landeshauptstadt zu sein und dann die U15 zu erwischen. Zumindest, wenn ihre Bahn kommt. In der Zeit der Streckensperrung und der Umleitung der Züge über Marbach am Neckar dauerte die Anreise sehr viel länger, aber auch nach dieser schwierigen Phase kommt es immer mal wieder zu Überraschungen. Als sie beispielsweise eine Stunde früher von der Arbeit loskonnte, wollte sie den 18.25-Uhr-Zug nehmen, aber der kam nicht. „Das ist eine Problembahn, sie fällt relativ oft aus“, sagt die 18-Jährige. Hinzu kommen Ausfälle wegen Personalmangels oder Oberleitungsschäden. Schwierig findet sie dann in Bezug auf Durchsagen im Regen stehen gelassen zu werden.
Das Auto ist auch keine Alternative
Froh ist die junge Sulzbacherin, dass das Team der Kunststiftung Verständnis hat, wenn sie sich aufgrund der Schwierigkeiten im Zugverkehr verspätet. Inwiefern hat sie schon über Alternativen nachgedacht? Mia Millenet macht gerade ihren Führerschein. „Ich versteh die Leute, die sagen, dass sie aufs Auto umsteigen wollen“, stellt sie fest. Aber einerseits will sie das aus Umweltschutzgründen vermeiden, andererseits weiß sie – da die Kunststiftung ab und zu ein Stadtmobil mietet –, wie schwer ein Durchkommen in der Innenstadt ist.
Auch ihre Mutter Michaela Millenet, die bei der Volkshochschule Murrhardt arbeitet und bewusst Bahn fährt, auch wenn es nur eine Haltestelle von Sulzbach an der Murr aus ist, ist im Alltag regelmäßig mit Verspätungen und Zugausfällen konfrontiert. Entsprechend voll seien dann die Gleise und Züge mit teils nur zwei Waggons. Zu wünschen übrig lässt für sie vor allem die Information über den aktuellen Stand – ob per Anzeige oder Durchsage. „Wenn man Glück hat, heißt es dann noch, der Zug fährt vom anderen Gleis ab.“ Michaela Millenet räumt ein, auch schon schwach geworden zu sein und bei den Problemen Ende November aufs Auto umgestiegen zu sein.
Sabine Dietrich fährt seit vielen Jahren Bahn und ist neben Überlegungen zum Umweltschutz angesichts des Autoverkehrs und der Staus, die sie tagtäglich aus dem Zug schon bei der Anfahrt nach Stuttgart wahrnehmen kann, auch nicht gewillt, umzusteigen. „Ich bin aber auch keine typische Pendlerin und insofern privilegiert“, sagt sie. Diese Einordnung rührt daher, dass sie sich an vielen Punkten auf Probleme beim Zugverkehr einstellen kann. Wenn sie um 7.50 Uhr in Murrhardt startet, ist der erste Ansturm vorbei, ähnlich sieht es bei der Rückfahrt kurz vor 19 Uhr aus.
Wechsel ins Homeoffice bei Problemen
„Wenn ein Zug ausfällt, bleibe ich länger“, sagt Dietrich, die als Geschäftsführerin bei einer Gesellschaft für erneuerbare Energien arbeitet. Drei- bis viermal pro Woche fährt sie ins Büro nach Stuttgart, kann aber auch ins Homeoffice wechseln, was sie während der Streckensperrung stärker genutzt hat. Somit hat sie die Möglichkeit, den Druck, der durch die schwierige Lage auf der Murrbahn entsteht, selbst etwas zu reduzieren. „Was ich mir aber wünsche, ist eine bessere Informationspolitik“, sagt die 61-Jährige. Wenn ein Zug einfach von der Anzeige verschwindet, aber keine Durchsage kommt, sei das einfach zu wenig. Selbiges gilt für bei Problemen eingesetzte Pendelbusse, die einen Hinweis an der Frontscheibe zum Zielort vermissen lassen. „Ich denke, die Menschen sind einfach müde, weil Ausfälle und Probleme in letzter Zeit ständig Thema waren“, sagt sie.
Zwei berufstätige Männer aus Murrhardt, die der Bahn bereits jahrzehntelang die Treue halten und nach Stuttgart pendeln, aber nicht mit Namen erwähnt werden möchten, lassen sich in diese von Sabine Dietrich beschriebene Gruppe einordnen. Die Wahrnehmung, dass es im Zugverkehr einfach hinten und vorne nicht mehr klappe, die Bahn zu einer Zeitvernichtungsmaschine geworden sei, sorgt bei ihnen für Resignation. Beide haben sich unter anderem an politische Vertreter gewandt, ohne ein für sie spürbares Ergebnis. Der Wunsch, dass auf der Schiene etwas geht, ist immer noch da, gleichzeitig fühle man sich mit Blick auf die Probleme alleingelassen.