„Wichtig ist gegenseitige Annäherung“
Das Interview: Jennifer Reinert berichtet über den Stand der Integration Geflüchteter in der Gemeinde Weissach im Tal
Wie lebt eine Gemeinde mit den Flüchtlingen, die sie in den vergangenen fünf Jahren aufgenommen und untergebracht hat? An vielen Orten gab es starke Vorbehalte, als Unterkünfte eingerichtet werden sollten. In Weissach im Tal brannte sogar eine geplante Bleibe für Flüchtlinge. Wie steht es heute um die Integration? Jennifer Reinert, Integrationsbeauftragte der Gemeinde Weissach im Tal, gibt Antworten.

© Pressefotografie Alexander Beche
„Meine Aufgabe ist es, zu vermitteln und zu unterstützen“: Jennifer Reinert. Foto: A. Becher
Von Armin Fechter
Wie viele Geflüchtete leben in Weissach?
Aktuell haben wir 155 Personen bei uns, davon sind 89 anerkannt. 52 sind in laufenden Asylverfahren, darunter eine Familie, die seit 2013 in Deutschland ist und immer noch kein Ergebnis hat. 21 Personen leben noch in einer Gemeinschaftsunterkunft in der Welzheimer Straße. Insgesamt sind nur 14 Geflüchtete abgelehnt.
Der Landkreis löst seine Gemeinschaftsunterkünfte wie in der ehemaligen Druckerei in der Stuttgarter Straße nach und nach auf. Was bedeutet das für Sie in der Gemeinde?
Für mich als Integrationsmanagerin bedeutet das nicht wirklich eine Änderung, weil ich nur für Personen in der klassischen Anschlussunterbringung zuständig bin. Die Gemeinschaftsunterkunft liegt nach wie vor in der Zuständigkeit des Landkreises. Leute aus der Gemeinschaftsunterkunft kommen bei verschiedenen Fragen zwar zu mir, aber ich bin nicht der primäre Ansprechpartner. Die Gemeinschaftsunterkünfte sind aktuell relativ leer, das heißt, in diesem Jahr, im nächsten Jahr kommen sehr wenige in Anschlussunterbringung.
Wie leben die Menschen in Weissach? Finden sie Wohnraum?
Wir haben gemeindeeigene Wohnungen, die wir quasi als Obdachlosenunterkünfte belegen. Fünf Familien haben Privatwohnungen finden können. Wir als Gemeinde haben auch Privatwohnungen angemietet, weil unsere Bestände in den Hochzeiten nicht ausreichten.
Was unternimmt die Gemeinde, um die Integration der Menschen voranzubringen?
Meine Aufgabe ist es, Integrationspläne für alle Erwachsenen zu erstellen. Somit habe ich einen guten Überblick: Wer steht wo? Dann werden die Themen sukzessive besprochen: Welchen Schulabschluss bringen die Leute mit? Wo stehen sie im Sprachkurs? Braucht jemand einen Alphabetisierungskurs? Später kommen die Ziele Arbeit, Ausbildung. Man bespricht: Wo möchten die Menschen hin? Was können sie leisten? Was bringen sie mit? Da ist es meine Aufgabe, zu vermitteln und zu unterstützen.
Etwa die Hälfte der Menschen sind Kinder. Welche Betreuung steht ihnen offen?
Bei Kindern ist es uns sehr wichtig, dass sie schnell in Einrichtungen kommen. Ab drei Jahren sind alle im Kindergarten. Wir haben auch viele schon in der Krippe oder ab zwei Jahren im Kindergarten. Schulkinder gehen sowieso ab der ersten Woche in die Schule. Viele besuchen die Kernzeitbetreuung, wo sie Kontakt zu ortsansässigen Kindern haben, die deutsche Sprache hören und bei den Hausaufgaben betreut werden. Wir achten auch darauf, dass sie Zugang zu einem Hobby finden. Wir kooperieren zum Beispiel mit dem Fußballverein, dem SVU. Viele unserer Jungs spielen dort. Es gibt auch Angebote beim Turnverein, Mutter-Kind-Turnen, Kindertanzen, Kinderturnen. Wir haben die Kunstschule „Die Klammer“ vor Ort – wenn Kinder Anzeichen von Traumata zeigen, ist es ganz wichtig, dass sie sich kreativ betätigen können. Wir haben sogar Kinder, die haben Blockflöte gelernt. Ganz neu haben wir in Kooperation mit der Evangelischen Gesellschaft Stuttgart eine soziale Gruppe für vier- bis sechsjährige Kinder eingerichtet, um Defizite im Sozialverhalten, aber auch in der Fein- und Grobmotorik abzubauen.
Bei der Integration setzt die Gemeinde stark auf das ehrenamtliche Engagement von Paten. Wie ist es dazu gekommen?
Das ist gewachsen. Wir haben den Arbeitskreis Integration schon 2014 gegründet, bevor die ersten Geflüchteten tatsächlich kamen. Wir haben mit zwei Familien und zehn, fünfzehn Ehrenamtlichen begonnen – eigentlich eine Überversorgung. Da hat sich aber schnell gezeigt, wie wertvoll eine 1:1-Betreuung ist, weil man dann auch ein Vertrauensverhältnis aufbauen kann.
Wie arbeiten die Paten? Welche Erfahrungen machen sie dabei?
Die Paten arbeiten aufsuchend. Der Erstkontakt ist immer vor Ort bei den Menschen. Ich gehe mit, stelle mich und auch den Paten vor. Das erleichtert den Paten den Start sowie ihre Akzeptanz durch die offizielle amtliche Anknüpfung. Die Leute wissen dann: Es klingelt nicht irgendjemand, von dem man nicht weiß, ob er Gutes oder Böses will. Die Paten geben Lebenshilfe von A bis Z. Ob es der Kauf einer Waschmaschine ist, die Suche nach einem WLAN-Anschluss oder nach einem Arzt, Bewerbungen schreiben, einen Sprachkurs suchen.
Die Paten haben sich selbst Leitlinien gegeben. Inwieweit gelingt es, die Ziele zu erreichen, die sie sich gesteckt haben?
Oberstes Ziel ist ein friedliches gesellschaftliches Zusammenleben. Das gelingt uns hier sehr gut. Ich höre sogar immer wieder die Frage: Habt ihr eigentlich noch Flüchtlinge in Weissach? Die Leute leben so im Ortsbild mit, dass sie gar nicht mehr auffallen – selbst die Frauen mit Kopftuch bewegen sich ganz normal im Alltag mit. Wir erleben aber schon auch, dass sich Geflüchtete teilweise zurückziehen und eher unter sich bleiben, vor allem wenn viele aus einer Bevölkerungsgruppe im Ort leben. Das würden wir in der Fremde vielleicht auch nicht anders machen. Sie vernetzen sich untereinander sehr stark. Das hätten wir gern noch ein bisschen anders.
Wie klappt es mit der Akzeptanz – für Sie als Frau? Und wie akzeptiert die Bevölkerung die Anwesenheit der Geflüchteten?
Ich hatte noch nie ein Problem. Ich gebe konsequent jedem, der hereinkommt, die Hand, auch muslimischen Männern, und ich hatte noch niemanden, der mir den Handschlag verweigert hat. Ich verstehe mich mit den Leuten gut, und sie schätzen es, dass ihnen geholfen wird. Auch in der Gesellschaft besteht Akzeptanz – dadurch, dass unsere Flüchtlinge hier keinen Ärger machen. Ich glaube, es ist den Menschen wichtig, dass es im Ort ruhig ist und alles so weiterläuft wie bisher.
Der ehrenamtliche Einsatz nimmt die Paten stark in Anspruch. Wie gehen sie mit emotionalen Belastungen um?
Mit meinen gut 20 Paten habe ich in der Regel einmal pro Woche Kontakt. Enttäuschungen, die entstehen, weil man mit einer anderen Erwartung rangeht, als die Realität bringt, werden gleich thematisiert. Ich hatte eine Patin – sehr selbstständig, keine Kinder, gut situiert, sehr zielstrebig im Leben –, die traf auf eine Frau, alleinerziehend, Analphabetin, nie eine Schule besucht. Die Patin kam mit einem straffen Plan: möglichst schnell Deutsch lernen, Kinder in den Kindergarten, in die Schule, Hobby, eine Wohnung, dann arbeiten gehen. Das hat nicht funktioniert. Für diese Frau ist es schon ein großer Schritt, jeden Tag die Kinder in den Kindergarten zu bringen. Wenn das mal läuft, setzen wir den nächsten Schritt. Man muss jeden nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten fördern und dann natürlich auch einfordern. Da kann es passieren, dass die Paten teilweise nicht die gleiche Ebene finden. Wichtig ist die gegenseitige Annäherung.
Welche Botschaft richten Sie da an Paten?
Dass eine Analphabetin keinen Doktortitel macht, ist uns klar. Aber sie sollte es schaffen, einigermaßen ihre Post zu verstehen und zu wissen, das ist ein Brief vom Jobcenter oder vom Landratsamt, und das ist eine Werbung.
Wo stößt die Betreuung an Grenzen?
Wir haben auch Menschen, die nicht zielstrebig hierherkommen. Entweder weil sie durch die Flucht sehr viel erlebt haben und jetzt froh sind, einmal zur Ruhe kommen zu können: keine Angst, kein Krieg, keine Gruppierungen im Nacken, die einem vielleicht Böses wollen. Oder auch Leute, die sich Deutschland vielleicht tatsächlich wegen der Sozialsysteme ausgesucht haben, oder Leute, die sagen, sie würden ja schon gern arbeiten, aber mir reicht als Mann mit vier, fünf Kindern ein Minijob. Da kommen Paten, die sich über ihre beruflichen und familiären Pflichten hinaus ehrenamtlich engagieren, schon an Grenzen.
Nicht alle Geflüchteten dürfen im Land bleiben. Wie sieht es da in der Gemeinde aus?
Die 14 Personen, die eine Duldung haben, sind ausreisepflichtig, ihre Anträge wurden gerichtlich abgelehnt. Die Leute in laufenden Verfahren erlebe ich als durchgängig sehr zielstrebig, weil sie genau wissen: Wenn ich jetzt hier eine Ausbildung mache und sie gut bestehe, habe ich eine Chance, bleiben zu dürfen.
Hat es schon Abschiebungen gegeben?
Wir hatten eine Abschiebung vor drei Jahren und seitdem keine mehr. Wie es mit den 14 geduldeten Personen weitergeht, weiß man nicht.
Wo sehen Sie Bedarf für zusätzliche unterstützende Angebote? Was sollte es geben?
Ganz dringend mehr private Mietwohnungen, weil es unsere Familien auf dem Wohnungsmarkt sehr schwer haben. Wenn in Weissach eine Wohnung ausgeschrieben ist, gibt es bis zu 300 Interessenten, und die Vermieter selektieren verständlicherweise. Wir brauchen unbedingt noch mehr qualifizierte Unterstützung in Sachen Ausbildung und Nachhilfe, auch für Menschen in Sprachkursen. Pensionierte Lehrer könnten da gut helfen oder jeder andere, der einen ordentlichen Schulabschluss hat.
1973 geboren, in Unterweissach aufgewachsen. 1994 Abitur am Wirtschaftsgymnasium in Backnang.
1994 bis 1996 Ausbildung zur Finanzassistentin bei einer Bank in Stuttgart. 1998 Wechsel zu einer Versicherung – Abteilung Finanzen und Investment.
2008 Elternzeit, ab 2009 Minijob in der Ortsbücherei der Gemeinde, 2013 Wechsel ins Rathaus, Geschäftsbereich Rente und Soziales sowie Initiierung und Fortführung der Fairtrade-Kampagne.
2014 Gründung des neuen Arbeitskreises Integration unter dem Geschäftsbereich Soziales. Seit 1. Oktober 2017 zu 50 Prozent Integrationsmanagerin im Rathaus Unterweissach; zusätzliche Aufgaben weiterhin Soziales und Fairtrade.