Chipproduktion
Wie gefährlich ein Hurrikan auch für Mercedes ist
In den USA hat das Unwetter die zwei wichtigsten Quarzminen für die weltweite Chipproduktion lahmgelegt. Deshalb läuten jetzt bei Mercedes die Alarmglocken.
Von Peter Stolterfoht
Zuallererst richtet sich bei Mercedes-Benz der Blick auf die menschlichen Tragödien, für die Hurrikan „Helene“ verantwortlich ist. Rund 250 Todesopfer sind in den USA bisher zu beklagen, Tausende sind verletzt, Zehntausende haben ihren gesamten Besitz verloren. „Unsere Gedanken sind bei den Familien und Angehörigen derer, die von dem Hurrikan betroffen sind“, heißt es in einer Stellungnahme des Konzerns auf Anfrage dieser Zeitung zu den Folgen der Naturkatastrophe für den Konzern.
Am verheerendsten hat der stärkste Wirbelsturm seit „Katrina“ 2005 im Südosten der USA gewütet. Dabei kam es in den vergangenen Tagen und Wochen zu großflächigen Überschwemmungen, die auch die Autoindustrie an einem neuralgischem Punkt trifft. Dieser liegt in Spruce Pine in North Carolina. Dort wird in zwei Minen Quarz abgebaut, der für die weltweite Produktion von Mikrochips dringend benötigt wird. Die Firmen Sibelco und Quarz Comp sind dabei systemrelevant, weil sie mit der Förderung des hochreinen Quarzes rund 70 Prozent des weltweiten Bedarfs für die Halbleiter- und Hochtechnologiebranchen abdecken.
Spruce Pine: kleiner Ort, große Bedeutung
Seit dem 26. September steht der Bergbaubetrieb in Spruce Pine still, nachdem der durch das 2000-Einwohner-Örtchen fließende North Toe River über die Ufer getreten ist. Dies führte zu lang anhaltenden Stromausfällen. Außerdem sind die Zufahrtsstraßen zu den Minen und die angrenzende Eisenbahnlinie nicht mehr nutzbar.
Dies hat Auswirkungen auf die Autoindustrie, die bei den Zulieferern und Herstellern in voraussichtlich drei Monaten bemerkbar werden. Solange sichert der Lagerbestand an hochreinem Quarz noch den Bedarf der Halbleiterproduktion. Halbleiter sind der Hauptbestandteil von Mikrochips in elektronischen Geräten.
„Die Auswirkungen auf unsere Zulieferer sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollständig abschätzbar. Wir stehen in engem Austausch mit unseren Lieferanten und arbeiten, falls notwendig, an gemeinsamen Lösungen“, so ein Sprecher von Mercedes-Benz. Damit richtet sich der Blick auf den weltgrößten Zulieferkonzern Bosch. Die aktuelle Situation beschreibt dort eine Sprecherin so: „Bosch kann aktuell seine globalen Lieferketten aufrechterhalten. Wir beobachten die weitere Entwicklung der Situation und mögliche Auswirkungen auf die für uns relevanten Beschaffungsmärkte sowie vorgelagerte Lieferketten.“
Der Südosten der USA ist noch weit davon entfernt, alle durch „Helene“ verursachten Schäden zu beseitigen, und schon steuert der nächste Hurrikan auf Florida zu. „Milton“ soll am Mittwoch die Küste erreichen. Mit unabsehbaren Folgen – auch für die Autoindustrie, der das Klima immer mehr Produktionsprobleme bereitet.
Den Engpass gab es schon einmal
Was ein Chip-Engpass für die Branche bedeutet, hat sich vor drei Jahren gezeigt. Wegen der Coronapandemie rissen Lieferketten, Halbleiter wurden zur Mangelware. Plötzlich standen Bänder still. Mercedes-Benz – zum Beispiel – konnte von Anfang Juli bis Ende September 2021 nicht mehr wie gewünscht Fahrzeuge ausliefern und musste einen Auslieferungsrückgang von 30 Prozent zum Vergleichszeitraum des Vorjahres hinnehmen. Trotz einer damals steigendenden Nachfrage. Und 2023 kam es bei Mercedes zu Einbußen, weil Bosch nicht mit der Lieferung von 48-Volt-Batterien nachkam.
Ohne Mikrochips geht im Auto gar nichts mehr, das gilt für die Verbrenner wie für Fahrzeuge mit Elektroantrieb, bei denen noch einmal rund 400 Halbleiter mehr verbaut werden als in einem Wagen mit herkömmlichen Motor – dort sind es etwa 1000. Computerchips sind beispielsweise für Assistenzsysteme von zentraler Bedeutung.