Klimawandel im Südwesten
Wo Baden-Württembergs Wälder im Sterben liegen
In einigen Gebieten Baden-Württembergs setzt der Klimawandel dem Wald mittlerweile so stark zu, dass rigorose Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Dazu gehört die Pflanzung junger Bäume in großem Stil – und etwas, das es in diesen Wäldern vermutlich noch nie gegeben hat.

© Falti
Der Forstarbeiter Lutz Rönsch pflanzt junge Eichen auf einem Waldstück im Rheintal nördlich von Karlsruhe.
Von Thomas Faltin
Es gibt Sätze, die treffen so hart wie ein Keulenschlag. Einen solchen Satz sagt Max Reger, der Präsident des Landesbetriebs Forst BW, während er durch den lichten Hardtwald bei Graben-Neudorf (Landkreis Karlsruhe) mit dessen vielen Kiefern und Buchen geht: „Auf manchen Waldflächen in Nordbaden sind wir mit unserem Latein am Ende.“
Tatsächlich haben die heißen Sommer vor allem seit 2018 dem Wald im ganzen Südwesten stark zugesetzt. Doch in der Rheinebene, wo es am heißesten ist, können viele Bäume nicht mehr – sie stehen im wahrsten Sinne des Wortes im Brennglas des Klimawandels. Ihnen fehlt das Wasser und der Schatten, die Blätter kriegen Sonnenbrand. Misteln bevölkern zu Dutzenden die Baumkronen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich dort mit der Traubenkirsche und der Kermesbeere zwei invasive Arten aus Nordamerika rasant ausbreiten, die auf dem Boden nichts anderes mehr hochkommen lassen. Wenn dann noch Maikäfer-Engerlinge im Boden sind, die alle Wurzeln wegfressen, ist gar nichts mehr zu retten.
Ein geplanter Einschlag ist kaum noch möglich
Noch seien es nur etwa 1000 Hektar, die so massiv betroffen sind, sagt Bernd Schneble, der Forstbezirksleiter des Hardtwalds. Bei insgesamt 323 000 Hektar an Staatswald in Baden-Württemberg könnte man das vernachlässigen. Doch mit weiter steigenden Temperaturen werden diese Zonen, in denen der Wald ums Überleben kämpft, zunehmen. Neben Nordbaden seien vor allem Tauberfranken und der Südschwarzwald gefährdet, so Schneble. Im Hardtwald sind die Auswirkungen deswegen schon jetzt extrem: 70 bis 90 Prozent des geschlagenen Holzes stammten aus „Ereignissen“, also wenn Bäume wegen der Hitze, des Borkenkäfers oder nach Stürmen absterben. Anderswo sind es 20 Prozent.
Was aber tun in solchen Wäldern? Max Reger räumt offen ein, dass man manche schlechte Standorte tatsächlich aufgibt und sich selbst überlässt – die Traubenkirsche überwuchert dann alles. Das dürfte ein Novum in der Waldgeschichte des Landes sein. Doch dort gebe es im Repertoire der 55 häufigsten Baumarten kaum noch welche, die sich auf Dauer halten könnten. Andere solche Gebiete holze man ab und lege offene Naturschutzflächen an.
Um die guten Standorte aber kämpft Forst BW. Und wie. Die vergangenen zwei, drei Förstergenerationen setzten im Wald auf sogenannte Naturverjüngung – aus Eicheln und Bucheckern wuchsen von selbst junge Bäume. Mittlerweile wird in größerem Stil aktiv gepflanzt, weil die Förster dann jene Arten auswählen können, von denen man vermutet, dass sie mit dem Klimawandel am besten zurechtkommen. Dazu gehören im Rheintal die Eiche, aber auch Feldahorn, Buche oder Speierling.
Doch das ist aufwendig und teuer, wie Max Reger auf einer der größten Pflanzflächen im Hardtwald, die so groß wie drei Fußballfelder ist, erklärt. Nach dem Fällen der Kiefern muss der Boden mit einem Bagger abgezogen werden, weil sonst die Traubenkirsche sofort wieder nachwachsen würde. Dann muss mühselig von Hand im Abstand von 1,5 Metern ein kleiner Schößling in ein kleines Loch in der Erde gepflanzt werden. Ein ganzer Trupp an Forstarbeitern ist damit eine Woche beschäftigt.
Bäume aktiv anzupflanzen, ist sehr teuer
Rund 30.000 Euro kostet diese Aufforstung pro Hektar. Da im Jahr etwa 30 Hektar mit insgesamt rund 700 000 Bäumchen bepflanzt werden, ist das jährlich fast ein Millionenbetrag. Insgesamt wurden bisher 420 Hektar bepflanzt.
Das nachfolgende Problem aber ist: In den heißen Sommern würden diese jungen Bäumchen schnell vertrocknen, und alle Arbeit wäre umsonst gewesen. Im Hardtwald regnet es nur noch etwa 600 Millimeter im Jahr, im Hochschwarzwald sind es drei Mal so viel. Seit etwa fünf Jahren hat Forst BW in der Rheinebene deshalb eine Maßnahme eingeführt, die es vermutlich so in der baden-württembergischen Historie des Waldes auch noch nie gegeben hat: Die Schößlinge werden bewässert.
Im Wald sind Brunnen ins Grundwasser gebohrt worden, und mit einem Traktor zieht der Forstwirtschaftsmeister Andreas Boda eine Spritzmaschine, wie man sie aus der Landwirtschaft kennt, und die riesige Schlauchtrommel zu den Pflanzflächen. 25 000 Liter versprüht die Maschine pro Stunde, meist wird nachts bewässert, damit nicht so viel davon verdunstet. Auf einem Waldstück sind die Eichen jetzt schon fünf Jahre alt, sie brauchen künftig keine Unterstützung mehr. Bernd Schneble spricht deshalb von einem Erfolg: „Trotz der letzten extremen Dürrejahre haben wir es geschafft, die Pflanzen zu erhalten.“ Jetzt wisse man, dass es funktionieren kann – künftig wäre es sinnvoll, verstärkt Tröpfchenbewässerung einzusetzen, um Wasser zu sparen.
Insgesamt will Forstpräsident Max Reger die schwierige Entwicklung im Wald nicht dramatisieren oder gar skandalisieren – in Baden-Württemberg sei man noch lange nicht so weit wie etwa im Harz, wo der Borkenkäfer tausende von Hektar abgetötet habe. Grundsätzlich habe Forst BW zusammen mit der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt in Freiburg auch gute Instrumente gegen den Klimawandel entwickelt. So gibt es etwa Karten, auf denen eingezeichnet ist, welche Baumarten sich noch eignen, je nachdem, wie stark die Temperaturen steigen. Dafür sind wichtige Parameter, wie der Zugang zu Wasser, die Höhe oder die Bodengüte eingeflossen. Vor Ort ist die Erfahrung der Förster unersetzbar. Im Hardtwald kennt Revierleiter Joachim Freiberger den Wald ganz genau und weiß, wo etwa sumpfigere Ecken sind, auf denen auch noch Arten wachsen könnten, die mehr Wasser brauchen.
Ohne Frage aber befindet sich der Wald in einer Zeit des dramatischen Umbruchs. Alte Konzepte helfen nur noch bedingt, und nicht jede Veränderung ist vorhersehbar. „Aber die Zeit drängt – wir haben keine 50 Jahre mehr, um herum zu experimentieren“, so Reger. Aus diesem Grund setzt Forst BW auf die Devise: das Risiko streuen und viele Baumarten pflanzen. So entstehen nicht nur artenreiche Mischwälder, sondern es ist auch nicht ganz so gravierend, wenn eine Baumart dann doch ausfällt, etwa wie zuletzt die Esche durch einen invasiven Pilz.
Baumarten aus anderen Regionen der Erde zu pflanzen, sei dagegen nur bedingt eine Lösung, meint Reger weiter. So sehe er mediterrane Arten kritisch, weil im Südwesten auch in Zukunft im Frühjahr Spätfröste auftreten könnten – das würden diese Bäume nicht überleben. Reger: „Wir müssen strukturiert vorgehen und können es uns nicht leisten, dass es am Ende auf großen Flächen nicht funktioniert.“ Etwa im Kreis Ludwigsburg wird deshalb getestet, welche Arten sich eignen könnten, und da hat derzeit die Hainbuche vor der Atlaszeder die Nase vorn.
Vor einigen Jahren war die Kritik an den deutschen Förstern laut, befeuert vor allem durch die Bücher von Peter Wohlleben, der es tendenziell für richtig hält, den Wald sich selbst zu überlassen – die Natur wisse selbst am besten, was richtig für sie ist. Mittlerweile sei es ruhiger geworden um diese Thesen, sagt Max Reger. Und fügt, während er in einer aufgegebenen Fläche steht und die krumm wuchernden Traubenkirschen um sich herum betrachtet, hinzu: „Es würde mich interessieren, wie Peter Wohlleben an solchen Orten weiterkommen wollte.“