Über das Haustier des Jahres: „Wo ein Pferd verhungert wird der Esel fett“
Trotz seines schlechten Images wurde der Esel zum Haustier des Jahres bestimmt. Martin Klumpp und Iris Striegel erzählen, was die Begegnung mit dem Vierbeiner bewirken kann und dass der Esel den Vergleich mit dem Pferd nicht scheuen muss.

© Alexander Becher
Beschwichtigend redet Martin Klumpp auf seine Eselin Gretel ein. Fotos: Alexander Becher
Von Valentin Schmid
Kirchberg an der Murr/Weinstadt. Wer einen anderen als Esel bezeichnet, meint das nicht als Kompliment. Das Tier gilt als störrisch und dumm, ihm eilt kein guter Ruf voraus. Trotzdem hat die Stiftung Bündnis Mensch&Tier den Esel zum Haustier des Jahres 2022 auserkoren — Grund genug, um einmal nachzufragen, was den Vierbeiner eigentlich genau ausmacht.
Beherzt klopft Martin Klumpp den Staub von Jakobs Hals. Seit acht Jahren wohnen der braune Esel und dessen graue Gefährtin Gretel bei ihm. Da er selbst mit Landwirtschaft aufgewachsen ist, fällt es ihm leicht, sich um Wasser, Heu und die Stallpflege zu kümmern.

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Die beiden Esel Gretel (links) und Jakob.
Die erste bewusste Begegnung mit einem Esel habe jedoch erst deutlich später stattgefunden: bei einem Weihnachtsmarkt in Vorderbüchelberg. Da gehörte das Tier zu den Darstellern eines lebendigen Krippenspiels, und „ich hab gleich so einen Draht gehabt zu dem Esel“. Danach habe er sich intensiver mit den Vierbeinern beschäftigt und ein Buch zum Thema gekauft, erzählt Klumpp. Beim jährlichen Eselrennen in Hößlinswart sei dann schließlich der Kontakt zu einem Eselhalter auf der Schwäbischen Alb entstanden, der bereit war, zwei Exemplare abzugeben.
Das Vorurteil des „dummen Esels“ stimmt nicht
Weshalb er sich gerade für Jakob und Gretel entschieden hat, daran erinnert sich Martin Klumpp noch ziemlich detailliert: „Du gehst dahin und da merkst du, der spricht dich an“. Zum Kaufzeitpunkt waren beide Tiere ein Jahr alt, jetzt haben sie ungefähr ein Drittel ihres Lebens hinter sich.
Dem Vorurteil, Esel seien dumm, tritt der Kirchberger entschieden entgegen. „Er überlegt immer, ob es gut für ihn ist, weiß, was er tut und was er will.“ Von diesem Charakterzug rührt übrigens auch die sprichwörtlichen Eselsbrücke her, erklärt Martin Klumpp. Da das Tier unter der spiegelnden Wasseroberfläche nicht erkennt, wie tief ein Gewässer ist, weigert es sich grundsätzlich, es zu durchqueren, und ist daher auf eine Brücke angewiesen. Natürlich wirke der Esel dadurch manchmal störrisch, gibt Klumpp zu, aber im Grunde sei er ein geselliges und intelligentes Wesen. Am besten könne man sein Verhalten mit dem Sprichwort „Das Pferd führt man, einen Esel bittet man“ auf den Punkt bringen.
Insgesamt sind Esel sehr genügsam
Jakob will manchmal nicht auf die Koppel, weil ihn die Pferdebremsen so plagen. Um wenigstens die Augen zu schützen, experimentiert Klumpp mit einem selbst hergestellten Mittel aus Schwarztee, Essig und Knoblauch. Die darin enthaltenen ätherischen Öle sollen die kleinen Plagegeister abschrecken. „Da kommst du dir vor wie Miraculix“, sagt Klumpp schmunzelnd. Insgesamt seien Esel jedoch ziemlich genügsam. „Wo ein Pferd verhungert wird der Esel fett“, lautet ein weiteres Sprichwort. Viele halten die Esel, wo Unkraut wächst, weiß Klumpp. Eine Gabel Heu am Tag reiche für zwei Tiere vollkommen aus. Auch in Bezug auf das Wetter seien Esel auffällig unempfindlich. Selbst „bei Gewitter haben sie es nicht so eilig. Du als Mensch denkst, er muss schnell rein“, aber der Esel bleibe im prasselnden Regen „ganz gemütlich“.

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Esel seien sehr genügsam, do der Besitzer.
Angesprochen auf den Esel als Lasttier, wie er auf der Südhalbkugel primär vorkommt, ändert sich Klumpps Gesichtsausdruck: „Die tun mir ganz arg leid.“ Eigentlich dürfe ein Esel nur gut 25 Prozent seines Körpergewichts tragen, oft würde ihm aber viel mehr aufgelastet. Nutztierhaltung sei ja in Ordnung, die Überlastung aus seiner Sicht aber ethisch nicht vertretbar.
Auch bei Besuchern sind die Esel sehr beliebt
Immer wieder halten Radfahrer an, um sich die Esel aus der Nähe anzusehen. Auch ein junges Mädchen aus Rielingshausen sei im Vorbeigehen auf die Esel aufmerksam geworden, berichtet Klumpp. Sie sei von Autismus betroffen und ganz auf die Esel fixiert, liebe es etwa, die Vierbeiner mit Karotten zu füttern. Eine Weile lang kam die 15-Jährige jeden Samstag mit ihrem Vater vorbei. Esel könnten gut mal 25 Jahre alt werden, meint Klumpp abschließend. Er hofft, dass sie bei ihm „ein glückliches Leben haben“, und ist fest entschlossen, sie bis zum ihrem letzten Tag zu behalten.
Auch Iris Striegel aus Weinstadt hat sich ausführlich mit den Langohren beschäftigt. Angefangen hat auch sie mit zwei Eseln „und dann hat mein Sohn sich zur Konfirmation einen dritten Esel gewünscht“. Sicherlich ein ungewöhnliches Geschenk für einen 14-Jährigen, aber die Tiere haben es der Familie einfach angetan — so sehr, dass am Ende noch ein vierter Esel her musste, damit bei den gemeinsamen Spaziergängen jedes Kind mit einem Esel laufen konnte.
Eselwanderungen als Nebenerwerb
Nach einem Kindergeburtstag der jüngsten Tochter, bei dem sie mit den Eseln zu einer nahe liegenden Grillstelle wanderten, habe sich die Idee dann herumgesprochen. Erst kamen andere Eltern auf sie zu, dann eine Gruppe von Erzieherinnen, später auch Teams von Firmen. Mit der Zeit entstand aus den Eselwanderungen ein kostendeckender Nebenerwerb.
Je nach Wandergruppe steht mal mehr der Spaß und mal mehr der Lerneffekt im Vordergrund, erklärt Striegel. „Mit Erziehern oder Therapeuten besprechen wir das tiefgreifender.“ Im Gegensatz zu Rudeltieren wie Hunden oder Pferden sei der Esel nicht bereit, sich unterzuordnen. „Von seiner Natur aus ist er ein Partner“, daher müsse die Chemie zwischen Mensch und Esel einfach stimmen.
„Von Eseln kann man Gelassenheit lernen“
Striegel: „Der Esel spiegelt Ihr Verhalten wieder“, das merke man am besten beim Versuch, den Esel zum Weitergehen zu bewegen. Wenn man ungeduldig an seiner Leine zieht, würde der Esel auch gerne mal drei Schritte rückwärtsgehen. Hilfreicher sei da ein freundlich erklärter Kompromiss nach dem Motto „Du läufst nicht? Dann frisst du jetzt aber auch nicht.“
Im Laufe einer mehrstündigen Eselwanderung beginne jeder Teilnehmer zwangsläufig auch, sich selbst zu reflektieren, führt Striegel weiter aus. „Man kann von ihnen eins lernen: die Gelassenheit, Dinge anzunehmen, die man nicht ändern kann.“
Im Rems-Murr-Kreis gibt es mehre Anbieter geführter Eselwanderungen für Einzelpersonen, Familien, Gruppen und bei besonderen Anlässen.
Eselmomente mit Daniela Fink, systemische Coachin. Startpunkt: Degenhofer Straße 101, 71364 Winnenden-Hertmannsweiler. Weitere Informationen unter www.eselmomente.de, E-Mail: info@eselmomente.de
Gundelsbacher Esel von Iris Striegel. Startpunkt: Gundelsbacher Tal, Buocher Weg 23, 71384. Weitere Informationen unter www.gundelsbacher-esel.de, E-Mail: info@gundelsbacher-esel.de