Wo sich das Träumen wieder lohnt
Roter Samt an den Wänden, Ledersessel mit verstellbarer Lehne, Fußhocker, über allem thront die goldverzierte Lichtkuppel: Prachtvoll feiert das Metropol sein Comeback. Zum Start hört Pächter Heinz Lochmann viel Lob. Wer ist dieser Mann, der sich als „kinoverrückt“ bezeichnet?
Von Uwe Bogen
Stuttgart - Das Metropol in Stuttgart ist aktuell sein elftes Lichtspielhaus in Deutschland, für insgesamt 70 Kinosäle zwischen Berlin und Backnang ist er verantwortlich: Heinz Lochmann, der Chef der Traumpalast-Kette mit Sitz in Rudersberg, widerspricht nicht, wenn man ihn „kinoverrückt“ nennt. Die Welt der Filme ist eine Welt aus Liebe, Nervenkitzel und Leidenschaft. Die Leidenschaft des ausgebildeten Bäckers ist es, heruntergekommene Kinos vor dem Untergang zu retten.
In Hamburg hat der Cineast, der auch Film-Dialoge auswendig vortragen kann, das 1913 eröffnete Passagen-Kino, Deutschlands ältestes Lichtspielhaus, das noch immer regulär bespielt wird, zum beliebtesten Kino der Hansestadt gemacht. Dazu wurde es bei einer Abstimmung gewählt. Nun also eröffnet der 65-Jährige mit seinem Sohn Marius Lochmann sowie mit dem Rest der Familie am Mittwochabend an historischer Stätte des alten Stuttgarter Bahnhofs das traditionelle Metropol. Vier Jahre lang war es geschlossen, hart ist darum gerungen worden, weil der Eigentümer dort eine Boulderhalle unterbringen wollte.
Der Architekt Heinz Jürgen Schuhmacher aus Hannover hat ein rot leuchtendes Schmuckstück geschaffen, eine überzeugende Mischung aus alter Pracht und hochmoderner Technik. Kaum ein Gast widerspricht Heinz Lochmann, wenn er sagt, er wolle das Metropol zum „schönsten Kino in Süddeutschland“ machen. Ganz fertig ist es aber noch nicht.
Die ersten Besucher stimmen geradezu Lobeshymnen an. Eine Frau sagt, sie sei „hingerissen“ angesichts dieser Schönheit. Ein Mann erinnert sich an seine ersten Kinobesuche im Metropol, an seine ersten Küsse im Dunkeln. „Was für ein Frevel wäre es gewesen, wenn man daraus eine Kletterhalle gemacht hätte“, befindet ein weiterer Gast. Vor allem die Lichtkuppel der 1950er, die im großen Saal wieder freigelegt wurde, fasziniert das Publikum. Mit einem „Soft Opening“ ging es am Mittwochabend los, noch sind nur zwei der drei Säle fertig. Zur Vorab-Premiere des Fantasy-Films „Hagen - Im Tal der Nibelungen“ – bundesweiter Kinostart ist erst am Donnerstag – sind die Regisseure Cyrill Boss und Philipp Stennert angereist. Die offizielle Eröffnungsparty folge später, sagt Lochmann, erst müsse sich alles einspielen. Der neue Balkon mit 16 Logenplätzen ist noch nicht geöffnet.
Kino ist ein Ort zum Träumen. Lochmanns Hartnäckigkeit bei seinem Einsatz für Metropol hat sich ausgezahlt: Hier lohnt sich das Träumen wieder! Einst hat Lochmann im Café Kipp in Stuttgart seine Konditorenlehre gemacht, war abends gern ins Metropol gegangen, um Filme wie „Krieg der Sterne“ anzuschauen.
Sein Leben nahm Mitte der 1970er Jahre dann eine Wendung: Nach dem Tod seiner Tante hat er sich um ihre Löwenlichtspiele in Rudersberg gekümmert – und Feuer für eine Branche gefangen, die große Gefühle erleben lässt. Sein Unternehmen expandiert seitdem immer weiter in die Republik hinein.
Schon vor vier Jahren, als die Innenstadtkinos das Metropol verließen, weil ihnen die Miete zu teuer geworden war, wollte der „Kinofreak aus Rudersberg“ übernehmen. Damals durfte er nicht. Die Union Investment hatte stattdessen einen Vertrag mit den Betreibern von Boulderhallen aus dem Osten Deutschlands unterzeichnet. Dem Klettern gehöre die Zukunft, nicht den Kinos, erklärten die Eigentümer, wogegen sich eine Initiative zur Rettung des Metropol-Kinos mit regelmäßigen Demonstrationen wehrte – mit Erfolg. Das Denkmalamt stoppte schließlich die Kletterpläne.
Erst im zweiten Anlauf bekam Heinz Lochmann den Zuschlag. Mit den Denkmalschützern, sagt er, habe er „sehr gut“ zusammengearbeitet. Die strengen Auflagen seien für ihn „kein Fluch“, sondern eher „Bereicherung“ gewesen. Am Ende war sowieso immer klar: Bezahlen muss das Traumpalast-Unternehmen! „Um Geld allein geht es nicht“, sagt der Seniorchef. Er hat Spaß an schönem Ambiente, an der Verneigung vor großen Epochen der Vergangenheit, an High-Tech und bequemen Plätzen.
Um die Lichtkuppel im großen Saal freilegen zu können, ließ er eine Wand um vier Meter versetzen. Schließlich sei er Schwabe, sagt er: „Wenn wir Schwaben was machen, dann richtig!“ Mit dem Charme der Historie verbindet er die Annehmlichkeiten der Moderne: Bequem soll man sitzen, den besten Sound hören, auf die beste Leinwand blicken. Dass die Kinokonkurrenz in der City nicht begeistert ist, dass man dort nun Umsatzeinbußen befürchtet, weil man einen Kuchen ja nur einmal verteilen könne, versteht Heinz Lochmann nicht: „Mit den drei Sälen im Metropol kommen wir gerade mal auf 580 Plätze“, sagt er. „Das müsste für die anderen verkraftbar sein.“ Im großen Saal gibt es angesichts der Beinfreiheit und den verstellbaren Lehnen nur noch 300 Plätze, früher waren es mal 500.
Noch sei der Umsatz in den Kinos nicht so gut wie vor Corona, sagt Heinz Lochmann, aber man sei auf einem guten Weg. Dass vor einem Jahr in Hollywood die Autoren streikten, habe obendrein für Einbußen gesorgt, weil Blockbuster fehlten. Doch nun kämen wieder die Knaller, zu denen er den in Stuttgart gedrehten Film „Cranko“ zählt, der ebenfalls im Metropol läuft.
Zum Start des regulären Kinobetriebs sind keine Vips geladen. Die Besucher zahlen selbst. Das Metropol ist gut besucht, aber es gibt noch freie Plätze.
„Hier ist es so bequem wie daheim auf dem Sofa“, schwärmt ein junger Mann, der in Reihe zehn seine Lederlehne zurück schiebt und sich ausstreckt – mit den Füßen auf dem Hocker. „Nein, es ist noch bequemer als daheim“, widerspricht sein Nebensitzer. Netflix habe starke Konkurrenz bekommen, ist zu hören. Kino kann so schön sein!