Woher rührt der Tempoflickenteppich auf den Straßen im Kreis?

Ob Tempo 30 in Oppenweiler, 50 in Maubach oder 70 auf anderen Abschnitten – die Geschwindigkeitsbegrenzungen auf den Straßen im Rems-Murr-Kreis erscheinen Autofahrern bisweilen als Wundertüte. Auch für viele Gemeinden ist die Situation nicht zufriedenstellend, aber der Spielraum ist begrenzt.

Tempo 30 trotz Bundesstraße: Bei der Ortsdurchfahrt von Oppenweiler ist der Spagat gelungen. Foto: Tobias Sellmaier

© Tobias Sellmaier

Tempo 30 trotz Bundesstraße: Bei der Ortsdurchfahrt von Oppenweiler ist der Spagat gelungen. Foto: Tobias Sellmaier

Von Kai Wieland

Rems-Murr. Wer auf der Bundesstraße14 zwischen Backnang und Schwäbisch Hall ein Ortsschild passiert, bremst sein Fahrzeug im Idealfall ab und fährt 50 – es sei denn, auf dem Schild steht Oppenweiler. In der Ortsdurchfahrt der Gemeinde gilt mittlerweile nämlich sogar Tempo 30. Ein paar Kilometer entfernt kämpft die Gemeinde Aspach hingegen für durchgängig Tempo 30 innerorts sowie für Tempo 50 auf dem Autozubringer, der mittlerweile ebenfalls Bundesstraße ist.

Damit ist die Gemeinde in bester Gesellschaft. Ob im Interesse des Lärmschutzes, der Sicherheit auf den Straßen oder des Verkehrsflusses: Tempo 30 für Ortsdurchfahrten war und ist in vielen Gemeinden immer wieder Thema, ob in Burgstetten, Allmersbach im Tal, Großerlach oder auch in den Backnanger Stadtteilen.

Während auf der einen Seite wenige Autofahrer über Geschwindigkeitsbegrenzungen jubeln, erscheint andererseits die Uneinheitlichkeit nicht immer plausibel. Doch woher rührt der Tempoflickenteppich auf den Straßen?

Gemeinden haben kaum Einfluss

Mitnichten handelt es sich dabei um willkürliche Maßnahmen der Gemeindeverwaltungen. Im Gegenteil haben diese zumeist kaum Einfluss auf die Geschwindigkeitsvorgaben auf Bundes-, Landes- und Kreisstraßen, selbst wenn diese auf Gemeindegebiet verlaufen. Stattdessen obliegt dies den Straßenverkehrsbehörden, deren Ermessensspielraum allerdings ebenfalls eng gefasst ist.

„Genau genommen handelt es sich um einen Verwaltungsakt, auf den auch kein politisches Gremium wie etwa der Gemeinderat einen Einfluss hat“, erklärt Patrizia Rall, Bürgermeisterin von Allmersbach im Tal. „Ich würde mir in manchen Fällen die stärkere Berücksichtigung der kommunalen Stellungnahmen, natürlich innerhalb des Rechtsrahmens, wünschen.“

Der gesetzliche Rahmen ist eng

Gerade dieser Rahmen lässt allerdings wenig Spielraum. „Ursächlich für den Flickenteppich sind die rechtlichen Gegebenheiten der Straßenverkehrsordnung“, bestätigt Tobias Großmann, Leiter des Stadtplanungsamts Backnang.

Im Hinblick auf den Lärmschutz wurde in der Stadt kürzlich ein Entwurf erarbeitet, welcher unter anderem Tempo 30 in den Ortsdurchfahrten von Heiningen, Waldrems, Strümpfelbach, Steinbach und Maubach vorsieht und ab 19. Juni zur Beteiligung der Bürger offengelegt wird. „Wenn es nach uns ginge, würden wir durchgängig Tempo 40 anordnen. Das beruhigt den Verkehr und hält dennoch den Fluss aufrecht“, sagt Großmann. Die rechtlichen Grundlagen dafür sind allerdings nicht gegeben.

Gemäß Straßenverkehrsordnung kann eine Streckenbeschränkung mit Tempo 30 dauerhaft für örtliche Gefahrenstellen ausgewiesen werden, wenn gewisse Kriterien – bezogen etwa auf die Unfallstatistik, einen unübersichtlichen Fahrbahnverlauf oder Fahrbahnschäden – erfüllt werden.

Eine zeitlich befristete Anordnung ist in der Nähe bestimmter Einrichtungen wie Schulen, Altenheimen oder Kindergärten möglich. Drittens kann der Lärmschutz Tempo 30 rechtfertigen, wenn Grenzwerte im gesundheitsgefährdenden Bereich überschritten werden und ein entsprechender Lärmaktionsplan vorliegt.

Die Gemeinden sind zu Plänen für Hauptstraßen verpflichtet

Die Erstellung dieser Pläne für Hauptverkehrsstraßen ist für Gemeinden verpflichtend, das Vorgehen folgt der EU-Umgebungslärmrichtlinie. In Aspach wurden freiwillig alle Ortsdurchfahrten in den Lärmaktionsplan aufgenommen. „Die Kreisstraßen in unseren Ortslagen und die Landesstraße durch Kleinaspach sind die für uns wichtigsten Straßen, an denen eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 Kilometer pro Stunde gewünscht wird“, erklärt Bürgermeisterin Sabine Welte-Hauff und kommt dabei auch auf die Schwierigkeiten des Ablaufs zu sprechen.

So gelten für den Lärmaktionsplan neue Vorgaben zu Verkehrszählungen und zur Berechnung der Lärmwerte, wodurch bestehende Werte nicht mehr anerkannt und neue Erhebungen notwendig würden. „Die Lärmbelastungen selbst dürfen nur berechnet und nicht gemessen werden. Dieser Prozess muss vollständig nachgewiesen werden und es muss ermittelt werden, auf welche Straßen der Verkehr ausweichen könnte, um die fiktiv erreichten Geschwindigkeitsreduzierungen zu umgehen.“

Kritik an den Lärmaktionsplänen

In Großerlach, wo Tempo 30 unter anderem im Hinblick auf die Ortsdurchfahrten von Grab und Liemersbach ebenfalls Thema ist, sieht Bürgermeister Christoph Jäger die Lärmaktionspläne und die Kosten, welche diese verursachen, kritisch. „Für die Bundesstraße durch Großerlach habe ich für ein pragmatisches Vorgehen geworben, bei dem tatsächliche Messungen durchgeführt werden. Damit könnte man die Wirksamkeit einer Reduzierung auf Tempo 40 bereits nachweisen.“ Dafür fehle aber eine gesetzliche Grundlage.

So bleibt es bei dem aufwendigen und langwierigen Prozess, der jedoch durchaus, wie in Oppenweiler, zum Erfolg führen kann. Aber ist Tempo 30 von der Bevölkerung überhaupt gewünscht? „Als Anwohner hätten es die Leute gerne. Dann steigen sie ins Auto und fahren zur Arbeit, und da ist es andernorts wieder nicht mehr so toll“, beschreibt Jäger die gemischte Stimmungslage in seiner Gemeinde. „Das ist der Klassiker, aber natürlich auch menschlich.“

Es ist eine Einschätzung, die sich in Oppenweiler bestätigt. Die Akzeptanz für die abgesenkte Geschwindigkeit sei überwiegend vorhanden, sagt Bürgermeister Bernhard Bühler. „Sie bringt neben der Lärmreduzierung auch mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer. Von Auswärtigen bekomme ich dagegen regelmäßig Kritik zu hören, insbesondere in verkehrsarmen Zeiten wird es als Zumutung gesehen.“

Eine Initiative macht Hoffnung

Die Gemeinden Aspach und Großerlach, aber auch der Rems-Murr-Kreis haben sich mittlerweile der Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“ angeschlossen, welche die Schaffung der rechtlichen Voraussetzungen dafür fordert, dass Kommunen mehr Entscheidungsbefugnis in dieser Frage erhalten.

Frei von Kritik ist auch diese Initiative nicht, insbesondere Verkehrsunternehmen befürchten die Störung des Verkehrsflusses durch eine Überstrapazierung von Tempo 30.

Auch Christoph Jäger hegte in dieser Hinsicht zunächst Bedenken. „Die Initiative ist unglücklich formuliert. In der Begründung klingt es, als solle Tempo 30 der Regelfall sein. Da hätten wir nicht zugestimmt“, sagt Jäger. „Im Forderungskatalog wird dann aber deutlich, da haben wir uns auch rückversichert, dass es vielmehr darum geht, einfach mehr Entscheidungsbefugnis zu erlangen.“

In der Gemeinde Aspach keimt derweil die Hoffnung, durch die Initiative Druck auf den Gesetzgeber ausüben zu können. „Durch den Beitritt vieler Gemeinden gewinnt die Initiative an Einfluss“, sagt Sabine Welte-Hauff. „Auch wenn Aspach nicht unmittelbar profitieren mag, dient der Beitritt der Durchsetzung des Wunsches vieler Städte und Gemeinden.“

Mehr Mitspracherecht gewünscht

Gründung Die Initiative „Lebenswerte Städte und Gemeinden durch angemessene Geschwindigkeiten“ wurde im Juli 2021 von den Städten Aachen, Augsburg, Freiburg, Hannover, Leipzig, Münster und Ulm gegründet.

Teilnehmer Über 700 Städte, Gemeinden und Landkreise beteiligen sich bereits an der Initiative oder haben sich dazu entschlossen, darunter der Rems-Murr-Kreis, die Gemeinden Großerlach und Aspach sowie die Landeshauptstadt Stuttgart.

Ziel Die Initiative setzt sich dafür ein, dass die Kommunen selbst darüber entscheiden dürfen, wann und wo welche Geschwindigkeiten angeordnet werden.

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Erstellt:
2. Juni 2023, 06:00 Uhr

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