Wolfsexperte: „Ein Miteinander ist durchaus machbar“

Interview Der Großerlacher Peter Herold von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe hält es für wahrscheinlich, dass bald auch Wölfe in der Region bleiben. Am Dienstag gibt es einen Kinoabend zum Thema in Backnang.

Wölfe im Schwäbischen Wald? Durchaus möglich, meint Peter Herold. Symbolfoto: stock.adobe.com/Miller_Eszter

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Wölfe im Schwäbischen Wald? Durchaus möglich, meint Peter Herold. Symbolfoto: stock.adobe.com/Miller_Eszter

Herr Herold, Sie sind Ansprechpartner der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe in Baden-Württemberg. Wie kam es denn zu Ihrem Einsatz für den Wolf?

Als studierter Naturschutzbiologe interessiert man sich natürlich für die Natur. In den 90ern, als ich studiert habe, hat man noch von der Nahrungspyramide gesprochen. Und ich habe mich immer schon für die Spitze dieser Pyramide interessiert. Als der Verein gegründet worden ist, hat noch keiner dran gedacht, dass wir jemals wieder wilde Wölfe in Deutschland haben würden. Da ging es nur darum, die Leute über den Wolf aufzuklären. Und als dann die ersten Wölfe in Deutschland auftraten, waren wir diejenigen, die das Thema Herdenschutz angeschoben haben. Das sind die beiden großen Themen, die wir beackern: die Aufklärung und der Herdenschutz. Wir unterstützen Weidetierhalter auch aktiv.

Sie waren bis vor Kurzem selbst Tierhalter. Wie geht das zusammen?

Das stößt meistens auf Unverständnis. Ich habe das große Ganze im Blick und nicht nur meine eigene kleine Welt. Als Biologe und Naturschützer ist mir bewusst, dass der Wolf eine unheimlich wichtige Funktion hat, und wir sollten sie ihn erfüllen zu lassen. Zudem sehe ich, dass ein Miteinander von Wolf und Weidetierhaltung durchaus machbar ist, wenn man vernünftigen Herdenschutz betreibt. Den haben wir verlernt, weil der Wolf 150 Jahre lang kein Thema war. In anderen Ländern, wo der Wolf immer da war, bewertet man die Situation auch völlig anders. Aber jemand, der zum Beispiel als Hobby fünf Schafe hält, der sieht nur: Da kommt der Wolf, der war vorher nicht da. Vorher habe ich meine Schafe eingezäunt, damit sie nicht weglaufen, und alles war gut. Und jetzt habe ich durch den Herdenschutz erheblich mehr Aufwand und ich gehe jeden Morgen zu meinen Schafen mit dem Gefühl: Hoffentlich ist heute Nacht nichts passiert. Und da ist es klar, dass der anders zum Wolf steht als ich, der ich mich intensiv mit dem Nutzen des Wolfs für unser Ökosystem beschäftige. Weil er die Zusammenhänge möglicherweise nicht sieht, sondern nur, dass der Wolf ihm potenziell gehörigen Ärger macht oder Leid verursacht, wenn er zuschlägt.

Wie sicher kann Herdenschutz sein?

Es gibt natürlich keine 100-prozentige Sicherheit bei Herdenschutzmaßnahmen, aber ich bin überzeugt, auf 98 Prozent kann man relativ schnell kommen.

Wie?

In der Regel reden wir erst mal über einen wolfsabweisenden Zaun. Das ist die Grundlage. Natürlich können Wölfe lernen, über den Zaun zu springen. Es kommt aber extrem selten vor, weil es der Natur des Wolfs eigentlich zuwider ist. Schwieriger wird es, wenn man überlegt, mit Herdenschutzhunden zu arbeiten. Was die Sicherheit der Weidetiere angeht, ist das noch mal ein ordentliches Stück obendrauf. Da sind wir bei 99,9 Prozent Sicherheit. Das ist aber nicht für jedermann was.

Von welchen Kosten sprechen wir denn bei so einem Zaun?

Das hängt von vielen Faktoren ab: Material, Gelände, ob man ihn bauen lässt oder selbst baut. Wir haben bei unseren Ziegen die Flächen neu eingezäunt, mit einem wolfsabweisenden Zaun. Für unser Zaunmaterial für die beiden Weiden mit zusammen knapp zweieinhalb Hektar habe ich inklusive der Weidezaungeräte mit Fernbedienung, Pfosten, Litzen, Sicherungssysteme für die Weidetore et cetera knapp 4000 Euro bezahlt.

Was ist dabei wichtig?

Der Knackpunkt ist meistens die Erdung der Zäune, die funktioniert bei vielen Leuten nicht. Und der beste Zaun nützt nichts, wenn der nicht „beißt“. Der Wolf muss, wenn er an den Zaun kommt, einen so heftigen Stromschlag bekommen, dass er drei Tage später noch seine Nase nicht gebrauchen kann. Das macht er einmal, vielleicht zweimal. Dann bleibt er von Zäunen weg.

Aber eine Förderung kriegt man dafür hier nicht.

Hier nicht, nein. Das geht nur innerhalb der Förderkulissen. Ein Gebiet kann zur Förderkulisse werden, wenn ein Wolf über mindestens sechs Monate „resident“, also dort fest ansässig ist. Das ist in meinen Augen der Fehler dabei. Ansonsten hat Baden-Württemberg eine, finde ich, sehr vorbildliche Förderung. Ich bin in der AG Luchs und Wolf, die das Umweltministerium berät, und versuche seit Jahren, den Verantwortlichen klarzumachen, dass es viel sinnvoller wäre, präventiven Herdenschutz zu fördern. Das würde viel sozialen Sprengstoff aus der Sache rausnehmen, wäre sinnvoller und auf lange Sicht kostengünstiger. Immerhin: Die Herdenschutzberatung kann jeder in ganz Baden Württemberg in Anspruch nehmen. Das ist schon mal sehr gut, denn die ist mittlerweile wirklich gut. Übrigens: Außerhalb der Förderkulissen wird jeder Wolfsriss entschädigt. Innerhalb muss man nachweisen, dass ein Grundschutz vorhanden war, um eine Entschädigung zu bekommen.

Wie wahrscheinlich ist es denn, dass wir in der Region in näherer Zukunft Wölfe haben werden?

Ich gehe fest davon aus, dass wir in absehbarer Zeit auch hier ein Rudel haben werden. Wenn nicht hier, wo denn dann? Es wird gerne gesagt, die Region sei viel zu dicht besiedelt, da kriege ich als in der Großstadt Aufgewachsener einen Lachkrampf. Viele stellen sich den Wolf als Symbol für Wildnis, für die ungestörte Natur vor. Und in der Kulturlandschaft, so die Argumentation, hat er keinen Platz. Aber der Wolf hat uns in den letzten 20 Jahren gezeigt, dass er keine Wildnis braucht. Er hat kein Problem damit, dass wir in seinem Lebensraum leben.

Was würden Sie Menschen raten, die dem mit Bangen entgegensehen?

Das gehört zu den Aufgaben, die wir uns als Gesellschaft zum Schutz der Wölfe gemacht haben: Wir müssen raus zu den Menschen und ihnen erklären, wie der Wolf tatsächlich tickt. In unserem Kulturraum war der Wolf immer negativ konnotiert. Zu früheren Zeiten hat der Wolf auch tatsächlich Existenzen bedroht. Wenn er die wenigen Tiere riss, die eine arme Bauernfamilie hatte, standen Existenzen auf dem Spiel. Aber heute ist das anders. Deswegen gehen wir in Schulen und Kindergärten und versuchen, den Kindern von Anfang an ein realistisches Bild vom Wolf zu vermitteln, damit die gar nicht erst auf diesen Blödsinn reinfallen.

Welchen Fehlinformationen unterliegen die Leute im Bezug auf den Wolf?

Dass er für Menschen gefährlich sei. Wenn man sich die Fakten anschaut, sieht man: Alles Mögliche ist gefährlich da draußen, aber der Wolf sicher nicht. Es gibt Auflistungen davon, wie viele Menschen jedes Jahr durch welche Tiere zu Tode kommen. Der Einzige, der da nicht auftaucht, ist der Wolf. Die vielleicht zweitwichtigste Falschinformation ist die: Herdenschutz funktioniert nicht. Das ist faktisch Nonsens. In der Schweiz etwa hat sich gezeigt, dass trotz steigender Wolfszahlen die Risse immer mehr zurückgehen.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach vonseiten der Gesetzgebung ändern?

In erster Linie alles, was dem Zaunbau im Weg steht. Es kann nicht sein, dass man einem Weidetierhalter einen ordnungsgemäßen wolfsabweisenden Zaun verbietet. Das gleiche beim Thema Hunde. Da gibt es rechtliche Vorgaben, die Herdenschutzmaßnahmen unmöglich machen. Die müssten revidiert werden. Es gibt zwei Methoden im Umgang mit dem Wolf: Ausrotten oder Herdenschutz. Dazwischen gibt’s nichts. Wenn ich Herdenschutz will und Herdenschutzhunde einsetze und die bellen nachts, dann muss der Bürger das ertragen. Was wir auf keinen Fall machen sollten, ist, was von Jägerseite immer wieder gefordert wird: die Herabstufung im Naturschutzrecht, die Übernahme des Wolfs ins Jagdrecht und dann eine „Bestandsregulierung“, sprich Bejagung. Die Übernahme ins Jagdrecht würde alles nur komplizierter machen, denn das Naturschutzrecht steht zunächst über dem Jagdrecht. Das heißt, die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht ändert überhaupt nichts am Umgang mit ihm, außer dass jedes Mal zwei Rechtskreise betroffen sind und zwei Ministerien einvernehmlich entscheiden müssen. Zudem ist die Bejagung des Wolfs nicht nur sinnlos, denn es gibt in einem Wolfsrevier von 20000 bis 30000 Hektar nur ein Rudel mit zwei bis acht Tieren, mehr werden es nicht, sondern sie wäre zudem kontraproduktiv, da sie die Rudelstrukturen zerstören und damit zusätzliche Nutztierrisse und weitere Probleme bewirken würde.

Das Gespräch führte Lorena Greppo.

Kinoabend Im Kino Universum in Backnang wird am Dienstag, 4. Juni. in Kooperation mit den Ortsgruppen den BUND und Nabu sowie der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe der Film „Im Land der Wölfe“gezeigt. Nach der Filmvorführung können Fragen und Anliegen rund um den Wolf mit Experten besprochen werden.
Zur Person Peter Herold

Wolfsexperte: „Ein Miteinander ist durchaus machbar“

Werdegang Peter Herold (Jahrgang 1969) hat Biologie mit Schwerpunkt Naturschutz studiert und in Ökolandbau promoviert. Zudem war er schon früh im Nebenerwerb Landwirt. Bis Ende vergangenen Jahres hatte er einen Biolandbetrieb mit Ziegenhaltung und Käserei in Großerlach.

Ehrenamt Der 55-Jährige ist offizieller Ansprechpartner der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe für Baden-Württemberg. Unter anderem unterrichtet er in der Naturparkschule in Wüstenrot zum Thema Wölfe.

Verein Die Gesellschaft zum Schutz der Wölfe ist ein bundesweit organisierter Umwelt- und Naturschutzverband mit etwa 1200 Mitgliedern, dessen Ziel eine Koexistenz von Mensch und Wolf in Deutschland ist.

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Erstellt:
1. Juni 2024, 06:00 Uhr

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