Wundersamer Stadtspaziergang durch Backnang

Die Märchenerzählerin Stefanie Keller hat ihr Publikum zu einer verschmitzt-frivolen Tour durch die Gassen Backnangs mitgenommen. In der Rolle der Hübschlerin Fanny präsentierte sie einen amourösen Stadtspaziergang.

Stadtrundgang mit Hübschlerin Fanny. Foto: Alexander Becher

© Alexander Becher

Stadtrundgang mit Hübschlerin Fanny. Foto: Alexander Becher

Von Armin Fechter

BACKNANG. Die Nacht bricht an, über der Stadt breitet sich tiefblaue Dunkelheit aus, als sich 40 Interessierte bei der einstigen Schmiede am Burgplatz einfinden. Der Schwäbische Albverein hat zu der Veranstaltung am Abend des Internationalen Frauentags eingeladen. Als Gast dabei ist „eine Frau mit Vergangenheit“, wie der Vorsitzende Albert Dietz dem Rundgang schelmisch vorausschickt, ehe er an Stefanie Keller übergibt. Die in ein rotes Gewand gehüllte Erzählerin rückt ihren Korb zurecht und fragt forsch in die Runde: „Wer weiß, was eine Hübschlerin ist?“ Eher ein bisschen zaghaft fällt das Wort Animierdame. Gespielt trotzig stellt sie klar, dass sie keineswegs eine Dirne sei: „Ich werde an Königshöfe eingeladen und zu Bischöfen gerufen.“ Und ihr Name „Fanny“ habe auch nichts mit der berühmten Fanny Hill zu tun, deren „Memoiren“ – ein Roman in Briefform – heute als Klassiker der erotischen Weltliteratur gelten. Vielmehr geht er, wie sie später auf Nachfrage klarstellt, auf den zweiten Teil ihres eigenen Vornamens Stefanie zurück.

„Glaubt ihr denn“, fragt sie weiter, „dass das Leben zwischen Mann und Frau ein einfaches ist?“, um selbst die Antwort zu geben: „Es war noch nie einfach!“ Und wie zum Beweis lässt sie die erste Erzählung folgen, ein Warm-up, das auf das Verhältnis zwischen den Geschlechtern anspielt und dabei einen weiten Bogen bis zur Schöpfungsgeschichte spannt. Als es nämlich zuletzt galt, die Frau zu schaffen, waren schon alle bestimmenden Eigenschaften an andere Kreaturen vergeben, nichts war mehr übrig. Also stattete der Schöpfer die Frau mit einer schillernden Mischung an Wesenszügen aus, die er einzeln bereits anderwärts gebraucht hat, wie etwa mit der Fruchtbarkeit des Hasen, der Geschwätzigkeit der Elster und den kalten Füßen des Pinguins.

Der Mann kann nicht ohne die Frau

Diese Mixtur wurde dem Mann aber bald zu bunt, mal wollte er die Frau dem Schöpfer zurückgeben, dann wollte er sie wiederhaben. Es zeigte sich: Er kann nicht mit ihr, aber auch nicht ohne sie. Die gewitzte Frau hingegen ließ wissen: Sie kann sehr wohl mit ihm, aber gut auch ohne ihn leben.

Geschickt baut Stefanie Keller die örtlichen Gegebenheiten in ihre Geschichten ein. Auf dem Stiftshof, der nächsten Station, versammelt sie das Publikum beim Tugendbrunnen und wartet mit der Geschichte von einem alten Brunnen auf, der die Wahrheit kundtun konnte und Lügen durch eine aufsteigende Fontäne enthüllte. Doch seit dem Tag, als eine schöne junge Frau ihrem zweifelnden Gatten mithilfe einer List ihre stete Treue vorgaukelte, ist das Wasser in dem Brunnen versiegt.

Vor dem Turmschulhaus, in dem die Galerie der Stadt Backnang untergebracht ist, hören die Teilnehmer und Teilnehmerinnen die Geschichte von dem blinden Maler, der die ganze Welt mit seinen schönen Bildern betörte. Weil seine Werke auf so wundersame Weise zustande kamen, stieg ihr Wert ins Unermessliche. Niemand zweifelte an seiner Kunst. Nur ein reicher Mann wagte es, den Maler auf die Probe zu stellen – und er sollte recht behalten. Denn als er den vorgeblichen Blinden in ein Bad lockte, in dem ihn eine große Schar nackter Frauen erwartete, vermochte dieser seine Regung nicht zu verheimlichen. So war er des Luges und Truges überführt.

Drei Krüge als Lohn

Weitere Themen

Eine Station weiter, vor der Stadtmauer beim Murrwehr, geht es erneut ums Thema Wahrheit. Einer Frau war beim Wasserschöpfen in den Fluten der Krug entglitten. Ihr lautes Klagen über das Missgeschick erreichte Gott, der in den Fluss hinabstieg und der Unglücklichen erst einen goldenen, dann einen mit Edelsteinen verzierten Krug als Ersatz anbot. Doch die Frau blieb standhaft, sie wollte nur das alte Gefäß zurückhaben. Darauf schenkte Gott ihr für ihre Ehrlichkeit alle drei Krüge. Eines anderen Tages wurde ihr Gatte von den Fluten verschlungen. Wieder erschien Gott, er tauchte in die Strömung und förderte erst einen ansehnlichen Jüngling zutage, dann einen noch viel schöneren jungen Mann und zuletzt ihren Ehemann. Die Frau aber entschied sich für den Jüngling. Denn, so ihre Überlegung, hätte sie den Ehemann gewählt, hätte Gott ihr alle drei geschenkt – dafür hätte ihre Kraft aber in ihrem vorangeschrittenen Alter nicht mehr gereicht. Mit wissendem Augenzwinkern verkündet Fanny ihren Merksatz: Wenn Frauen lügen, dann nur nach reiflicher Überlegung und zum Wohle aller.

Eine neue Seite des Gänsekrieges

In diesem Stil geht es auf dem Stadtspaziergang weiter – zum Storchen, an den Platz in der Schillerstraße und schließlich zum Gänsebrunnen vor dem Rathaus. Dort erzählt Stefanie Keller die Geschichte vom Backnanger Gänsekrieg. Der wahren Begebenheit aus der städtischen Historie, die einen berechtigten Platz an diesem Tag hat, gewinnt die Hübschlerin aber eine neue Seite ab: Die Frauen traten in den Streik; nicht nur die Herde, sondern auch die Betten blieben kalt. Einer von ihnen gelang es schließlich, den Herzog, der leiblichen Freuden recht zugetan war, nach einem tiefen Blick in die Augen für die Sache der Protestierenden einzunehmen. Weil die Gänsehaltung fortan wieder erlaubt war, wurden Freudenfeuer entfacht und auch das Feuer der Leidenschaft durfte von neuem glühen, ja sogar der strengste aller Ratsherren lächelte nun selig über das Geschnatter der Backnanger Gänse.

Über den Ölberg und den Freithof führte die Tour zum gemütlichen Abschluss in die Ölmühle in der Stuttgarter Straße. In der geselligen Runde, bei Akkordeonmusik und weiteren Geschichten aus dem schier unerschöpflichen Repertoire der Märchenerzählerin klang der ergötzliche Abend aus.

Neuer Termin Weil der amouröse Stadtspaziergang mit Hübschlerin Fanny sehr schnell ausgebucht war, bietet der Albverein einen weiteren Termin an: am Samstag, 21. September. Die Veranstaltung wird dann neu ausgeschrieben.

Zum Artikel

Erstellt:
11. März 2024, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen