Wutanfälle nach Cannabis- und Alkoholkonsum

46-Jähriger wegen Körperverletzung und Beleidigung angeklagt – Hitlergrüße und fremdenfeindliche Äußerungen

Amtsgericht in Backnang. Archivfoto: E. Layher

© Edgar Layher

Amtsgericht in Backnang. Archivfoto: E. Layher

Von Hans-Christoph Werner

BACKNANG. Vor dem Amtsgericht hat sich ein 46-jähriger Gelegenheitsgärtner wegen Körperverletzung und anderer Delikte zu verantworten. Aufrecht sitzt er da. Die Arme liegen auf dem Tisch. Das Haar etwas schütter, die Gesichtsfarbe kräftig. Wird er gefragt, gibt er klar und deutlich Antwort. Auch das gesteht er auf Frage des Richters unverhohlen ein: Am Morgen des Verhandlungstages hat er einen Joint geraucht. Denn Cannabis, so sagt der Angeklagte, ist seine Medizin. Er sei Cannabis-Aktivist. Wie ein roter Faden zieht sich seit seinem 16. Lebensjahr der Genuss des Rauschgifts durch das Leben des Angeklagten. Nur seines Sohnes wegen habe er einmal für neun Monate ausgesetzt. Aber jetzt raucht er wieder täglich.

Vier Anklageschriften hat die Staatsanwältin zu Beginn der Verhandlung vorgelesen. Jede enthält zwischen einem und fünf Vorfällen, die sich der Angeklagte hat zuschulden kommen lassen. In Verbindung mit Alkoholgenuss lässt der Cannabiskonsum den Angeklagten immer wieder ausrasten. Wut, so sagt der Angeklagte selbst, eine furchtbare Wut kommt dann über ihn. Einer der Vorfälle hat sich vor den Toren des Amtsgerichts im Backnanger Stiftshof abgespielt. Davon existiert eine Videoaufnahme, die sich der Richter angesehen hat. Auch er muss konstatieren, dass der Angeklagte da ein ganz anderer sei. Immer wieder brüllt er, verschafft seiner Wut durch Schimpftiraden Luft. Mitunter aus nichtigen Anlässen. An einem Maiabend des Jahres 2018 ist der Angeklagte in der Fabrikstraße unterwegs, hat zuvor mit dort wohnenden Freunden getrunken. Die Besucher des „Königreichsaals“ sind im Aufbruch begriffen. Der 46-Jährige entbietet den Hitlergruß, trommelt einer Wegfahrenden auf die Motorhaube ihres Wagens. Die „Zeugen Jehovas“, Belästigungen gewöhnt, versuchen, den Schreihals zu beruhigen. Aber das misslingt. Der Wütende reißt seine Kappe vom Kopf und versetzt seinem Gegenüber eine Kopfnuss. Ein anderer will ihn fotografieren. Das versetzt ihn noch mehr in Rage. Nach einem Gerangel entkommt der Schreier, wird von einer Polizeistreife dann aber ganz in der Nähe aufgegriffen. Ansprechbar sei der Angeklagte gewesen, berichtet die involvierte Polizeibeamtin. Da der Angetroffene keine Papiere bei sich hat, wollen die Beamten ihn mit aufs Revier nehmen. Er steigt freiwillig in den Wagen, versetzt aber dann der Beamtin unvermittelt einen Schlag aufs Auge.

Ein anderes Mal ist der Angeklagte zur Zeit des Freitagsgebets vor der Moschee in der Wilhelmstraße unterwegs. Den plaudernd auf der Straße stehenden Gemeindegliedern entbietet er wiederum den Hitlergruß und fügt „Fuck Islam“ hinzu. Um seine Verachtung auszudrücken. So nennt es die Staatsanwältin in der Anklageschrift. Strafbar als Beleidigung. Im Februar 2019 grölt der Angeklagte in der nach Backnang fahrenden S-Bahn ausländerfeindliche Parolen. Ein Fahrgast ist wegen eines Kindes besorgt und fotografiert den Lästerer. Dieser entreißt ihm das Handy, flüchtet aus dem Zug und wirft das Handy in einem Papierkorb auf dem Bahnsteig.

Angeklagter wähnt sich im Dritten Weltkrieg

Im November 2019 will der Angeklagte, unter Cannabis- und Alkoholeinfluss, in einem Supermarkt der Innenstadt einkaufen. Versehentlich wird er angerempelt, von türkischen Mitbürgern. Mit der Hand formt der Angeklagte eine Pistole, richtet sie auf die Köpfe seiner Gegenüber und verbindet das mit den Worten „Peng! Dreckskanake!“. Wiederholt tut er das. Im Januar dieses Jahres dann im Stiftshof. Wieder ist es der Hitlergruß, den der Angeklagte darbietet und brüllt: „Deutschland den Deutschen.“ Ein Mitarbeiter der Stiftskirchengemeinde, zufällig vor Ort, will beruhigen. Auch dieser Versuch wird mit Schlägen quittiert.

Die Verteidigerin, für ihren Mandanten sprechend, räumt all die aufgelisteten Vorfälle ein. Einzelne Dinge, so sagt sie, haben sich nach der Erinnerung ihres Schützlings anders abgespielt. Aber der Angeklagte gesteht: Auch wenn er selbst keine genaue Erinnerung mehr hat, es mag sich alles durchaus wie vorgetragen abgespielt haben. Zweimal sei er in den vergangenen Monaten wegen seines Tuns in der Psychiatrie gewesen. Auf Nachfrage des Richters beschreibt er seine Anfälle. Komme es über ihn, dann müsse er einfach schreien und spucken. Überfallartig überkomme ihn die Wut. Daneben ist der Angeklagte der Überzeugung, sich inmitten des Dritten Weltkriegs zu befinden. Eine Unterwanderung durch den Islam drohe. Über seine Facebook-Seite hat der Angeklagte diese Ansichten der Welt kundgetan. Das haben wiederum andere aus Backnang, die ihn kennen, gelesen. Und deshalb, so der Angeklagte, werde er angegangen. So fürchtet er Attacken der „Links-Faschisten“, wie er diesen Personenkreis nennt. Seitdem hat er sich bewaffnet und führt gerne Axt und Messer in einem Rucksack mit sich.

Ein Sachverständiger ist der Verhandlung gefolgt. Auch er stellt einige Fragen an den Angeklagten. Wie der Angeklagte sich denn fühle, will er wissen, wenn er einen Joint geraucht habe. Gut, sagt dieser, entspannt und zugleich konzentriert. In der Psychiatrie aber hat man dem Angeklagten offenbar eine durch Cannabis ausgelöste Psychose bescheinigt. Aber auf seinen Cannabiskonsum will der Angeklagte nichts kommen lassen. Die Entlassbriefe aus der Psychiatrie will er gerne zum zweiten Verhandlungstag in der kommenden Woche mitbringen.

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Erstellt:
18. April 2020, 06:00 Uhr

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